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Eveline Schicker
TEXTE - KRITIKEN

TEXTE und KRITIKEN von Eveline Schicker-Figura

 

(Auswahl)


Kreisler-Abend im PapperlaPub

Mit frechen, heiteren und bösen Liedern und Texten von George Kreisler (1922-2011) 
überzeugten Kerstin Maus und Uwe Hanke in einem sehr ansprechenden Soloprogramm.

Der rührige Wirt der Annaberger Szenekneipe, Thomas Fischer, setzt mit Selbstverständlichkeit die unter seinen Vorgängern seit langem erfolgreiche Reihe musikalisch-literarischen Abenden fort, die gerne vom Publikum angenommen werden. Manche dieser Veranstaltungen, bei denen oft Publikumslieblinge des Theaters die Stars waren, sind inzwischen Legende. Wie die des Entertainment-Komödianten Jochen Hellwig, die Kästner- und andere Abende von Leander de Marel, oder in letzter Zeit, die gestalteten Lesungen aus der „Feuerzangenbowle” vonMichael Junge.

Am vergangenen Sonntag waren Georg Kreislers Chansons unter dem Programm-Titel “Wo sind die Zeiten hin - Ein Wiener Abend mit bösen Liedern” mit seinen unverwechselbaren sarkastischem Wiener „Heimatbild” hier zu hören. Die Schauspielerin und Sängerin Kerstin Maus und Chordirektor Uwe Hanke vom Annaberger Winterstein-Theater waren die Protagonisten des Abends und zumindest Letzterer für die Zuschauer ein Aha-Erlebnis, wirkt er doch sonst eher hinter der Bühne. In entspanntem, dennoch pointiertem Erzählstil führte er durchs Programm erläuterte den Zusammenhang von Mozart und Kreisler, spielte exzellent die Begleitungen quer durch die Musikgeschichte und sang selbst die besonders schwierigen Textexzesse teilweise in rasanter, aber dennoch verständlichen Geschwindigkeit. Sieh einer an, wozu eine so seriös daher kommende Respektsperson an solchen Abenden und Orten fähig ist! Gut, aber er muss ja auch sonst nicht selten den unterschiedlich begabten Choristinnen und Choristen Klang, Rhythmus und Ausdruck einhämmern! 
Kerstin Maus hingegen erfüllte die Wünsche an ihr Ausdrucks- und Spieltalent einmal mehr, was die Zuschauer bereits in „Sound of Music”, „Kiss me Kate” oder „Linie 1” am hiesigen Theater bewundern konnten. So kam ihr Können, verschiedenste stimmliche und charakterliche Nuancen zu färben, gut über die etwas spärlich beleuchtete Rampe, wenn sie mit Hanke u.a. zum „Tauben vergiften” im Wiener Park unterwegs war oder „ihre” „Frau Schmidt” mit der Gefährlichkeit kleinbürgerlichen Intoleranz ausgestattet, angeprangert wird. Georg Kreisler liefert aber auch scharfe Vorlagen mit seinen Angriffen auf die Wiener Antisemiten und Nazis. Deshalb er sich sein Wien auch so schön vorstellen kann„ohne die Wiener”! Man lacht hier kräftig darüber, stelle sich diese Aussage aber mal im Bezug auf die Erzgebirger vor...! 
Ganz aus sich heraus ging dann die gekonnt nuanciert singende und gestaltende Darstellerin bei ihrer „Todesträumerin” oder „Wie finden Sie das, Herr Direktor”, eine Ansprache an den Theaterleiter, der dies leider nicht miterlebte, ansonsten hätte er ihr vermutlich an diesem Abend dann noch einen festen Ensemble-Vertrag angeboten... 

Kerstin Maus kostete spielerisch und gesanglich dagegen die Eigenheiten des Menschlichen durch die Österreichisch-Ungarischen-Preußischen Gefilde persiflierend aus. Hanke konterte dann mit Genuss den „Musikkritiker”, der ja „so unmusikalisch” ist, köstlich den „Triangelspieler” und zusammen mit seiner Kollegin im Brustton der Überzeugung, dass es „Frühlingszeit” sei, was sich paar Stunden später dann zunächst doch noch einmal als ein etwas verfrühte Vorfreude herausstellte. 
Ein etwas österreichisch angehauchtes Drei-Gänge-Menü wurde in den beiden Pausen serviert. Der Abend im PapperlaPub war wieder einmal eine viel belachte, nachdenklich machende Veranstaltung, die Wiederholung und Zugaben fordert und die man gern empfehlen kann. Und wie gut wäre es, wenn dieser unterhaltsame und gescheite Kreisler-Abend an anderen Orten wiederholt werden könnte.

Eveline Figura



Lustig ist das Ganovenleben

(7.2.2013) Mit der schrillen Komödie „Zwei wie Bonnie und Clyde“ unterhielten Gisa Kümmerling und Dennis Pfuhl als Gangster-Paar das Publikum zur Premiere am Donnerstag im Annaberger Theater prächtig.

Was echte Komödianten aus einem eigentlich schwachen Stück herausholen können, war am Donnerstag zur Premiere der Komödie„Zwei wie Bonni und Clyde“ von Tom Müller und Sabine Misiorny auf der Studiobühne des Annaberger Theaters zu besichtigen. 
Zu erleben sind zwei Stunden permanentes Scheitern wegen Naivität, Dummheit, Selbstüberschätzung und viel Pech eines kriminellen Paares, das sich mit dem Einbruch in eine Sparkassenfiliale seine Hochzeitsreise finanzieren will und sich dabei das USA-Gangster-Duo aus den 1930er Jahren Bonni Parker und Clyde Barrow zum Vorbild nimmt. Dass andere immer schon vor ihnen an der Kasse waren, von Chantal und Manni (wie sie im Stück heißen) die falschen Geld-Tüten mitgenommen wurden, oder die Strumpf-Gesichtsmasken nicht immer durchsichtig waren, treiben das Stück mit vielen Gags, Slapstick, Witzen und Witzchen, über und unter dem Tisch, zwischen unzähligen Schuhkartons (gesponsert vom Schuhhaus Sehm, Annaberg) sowie mit gekonnter Mimik, Gestik und Sprachbeherrschung durch die beiden Protagonisten voran. 
Gisa Kümmerling als naive und teilemanzipierte Gangsterbraut Chantal hat dafür ein schier unerschöpfliches komödiantisches Register zur Verfügung, das sie in zahlreichen Rollen an unserem Theater schon oft zum Einsatz bringen konnte, sich aber an diesem Abend damit selbst übertraf. Dabei handelt es sich nicht nur um eine mimisch und gestisch umfangreiche Palette, die ihr zur Verfügung steht, sondern auch um einen sehr differenzierten Umgang mit Stimmmodulationen und Sprachbeherrschung. Ihr Vater, der legendäre ehemalige Intendant, Regisseur und Schauspieler des Hauses, Roland Gandt, hätte garantiert seine helle Freude an der schauspielerischen Entwicklung seiner Tochter. 
Das Publikum honorierte die überaus komödiantischen Leistungen von Gisa Kümmerling mit viel Heiterkeit, Applaus und Bravos.

Als kongenialer Partner agierte Dennis Pfuhl in der Rolle des mit ihr überforderten Manni. Großartig, wie er seiner Partnerin zum wiederholten Male und mit wunderbar gespielter Engelsgeduld die Einbruchspläne erklärte, vorspielte und verzweifelt an die Naivität oder Frauenschläue anpasst. Auch mit Pfuhl stand ein beachtliches Talent auf der Bühne des Annaberger Theaters, von dem sich das Publikum nun schon mehrfach auch in anderen Inszenierungen überzeugen konnte. 
Der Regisseurin, Christine Zart, ist es, unterstützt vom ansprechenden Bühnenbild (Sandra Linde), gelungen, eine kurzweilige Komödie á la „Lustig ist das Ganovenleben“ auf die Studiobühne zu bringen, die das Publikum vielleicht auch fröhlich davor warnen soll, sich jemals an Sparkassen zu vergreifen. Solche Versuche sind nicht nur auf dem Theater, sondern meist auch im richtigen Leben zum Scheitern verurteilt...

red.

Fotos: Winterstein-Theater Annaberger
Nächste Vorstellungen: 12.2./4. und 21.3. jeweils 20 Uhr Studiobühne



Musikalisches Lebensgefühl

Erfolgreiche Premiere der dritten Schlager-Revue-Staffel „Lollipop forever“ am Annaberger Theater unterhielt ein die Generationen übergreifendes Publikum

Es ist die dritte „Staffel“ nach den Schlager-Revuen von 2007 und 2010, die das Schauspiel-Ensemble des Eduard von Winterstein Theaters am vergangenen Sonntag zur Premiere brachte. Aber diesmal wurde nicht nach einer vorhandene Vorlage gesungen, gebackroundet, getanzt und gespielt, sondern nach einer eigens fürs Haus kreierten Handlung, Song- und Hit-Zusammenstellung und musikalischen Arrangements unter der Leitung von Bandleader und Keyboarder Rudolf Hild neu geschöpft. Der musikalische Leiter steckt bereits so tief in der Geschichte der „Lollipops“, dass wohl auch diesmal deren Höhenflug geschafft werden konnte. Es wurde gleich atmosphärisch klar, und das anhand der Publikumsrekationen von Anfang an, dass generationsübergreifende Glückshormone mit ausgeschüttet wurden. Die Älteren hatten sogar die Texte zum Mitsingen im Kopf, die sie an ihre Kät-Zeiten an der Schlickerbahn erinnerten, an Flirts und an erste Lieben. Die Jungen im Publikum erkennen die Evergreens der ganz großen Stars, Revivals ihrer heutigen Bands und vor allem: Was doch ihre „Alten“ für tolle Musik hören und diese noch richtig tanzen können durften!
Alles das war durch die sparsame und wirkungsvolle Ausstattung von Wolfgang Clausnitzer und die technische Mitwirkung des Regisseurs Jan Mixsa auf die groß wirkende Bühne mit viel Beinfreiheit gestellt. Schwarz glänzende Bahnen aus Förderbändern unterstützten die Wirkung der Farbscheinwerfer und performten die auf zweidrittel Höhe sitzendes Band, zu deren Füßen die außer Rand und Band geratenen sieben Schauspieler und eine Rocksängerin agieren. Die allerdings müssen zu ihren Tanzkreationen und Gesängen auch noch Dekoteile aus gestückelten, farbig geschminkten Lüftungsschächten mitbewegen und ständig zu neuen Kulissen gruppieren. Dadurch entsteht bewegter Raum und witzige Situationen, in denen die Raumstation Enterprise, Bars, Balkons, sitz- und betanztbare Ebenen entstehen.
Der rote Faden heißt wiedermal Udo Prucha, der sich in Träumen an Tänze, Reisen, an Italien und Filme erinnert. Sich dort wiederfindet und mit einer erotischen Stimme von oben (Marie-Louise von Gottberg) kommuniziert. Die Themen-Bilder werden durch eine abwechslungs- und einfallsreiche Regie von Jan Mixsa in Gang gesetzt. Im Fortgang des Abends singt und tanzt Prucha sich selbst, - sympathisch-bärig als Identifikationsfigur. Schnelligkeit, zügig wechselnde Gruppierungen und viel Witz in der Darstellung lassen das Schauspieler-Ensemble funkeln. Unwichtig, ob dabei jeder perfekt singen kann oder nicht. 
Tanzen können alle, und manche der Protagonisten wurden so in die vielfarbigen Ideen der Choreographin Sigrun Kressmann hineingezogen, wobei man sich wunderte, dass nichts Schlimme(ere)s passierte. 
Den ersten Vogel schoss Nenad Žanić gleich mit schwarzer Lockenperücke als „Boney M“-Tänzer unter seinen flippigen Mädels ab. Klar, ohne Parodie, Ironie oder Spiel geht es nicht. Das sind auch die wirklichen Pfunde des Abends, denn die reine Imitation einer Nummern-Schlager-Revue würde nur Gähnen produzieren, genau wie die technisch durchstylten TV-Shows sogenannter Stars, die ohne Geist nur sinnlose Berieselung und Massengeschmack bedienen. Nenad Žanić spielt, tanzt und singt beachtlich, setzt er doch seine wirklich gut sitzende, sonore Stimme gekonnt ein. Ebenso der Musical erprobte Sven Zinkan mit Chanson-Qualität und Eleganz, dank auch seiner langbeinigen Schlacksigkeit. So brilliert er mit Marie-Louise von Gottberg im Arm beim Tango genau so gut wie einzeln beim Rock`n Roll. Frau Gottberg überraschte sowieso nicht nur mit äußerst hübscher Ausstrahlung, sozusagen vom Kopf bis Zeh, sondern auch durch schauspielerisch zelebrierte Textbeherrschung, modulationsfähige Stimme und viel weiblichen Charme. Marie-Luis Pühlhorn hat sowieso vor nichts Respekt und agiert am liebsten in komischen Posen. Sie beherrscht gekonnt den erotischen Unterton, und so macht es auch nichts, wenn ihr „tee-age“ die englischen Texte etwas verlispelt. 
Helene Aderhold ist der Floh „im Zirkus“. Sie singt, was ihr unter die Zähne kommt, oft gelingt das erstaunlich gefühlig, dann wieder mädchenhaft naiv. Aber bewegen kann sie sich enorm geschmeidig und sicher. Ihr Part im Pas de deux aus „Dirty dancing“ war sehr wirkungsvoll. 
Die Rock-Röhre des Abends ist Elisabeth Markstein a.G. (dem Publikum aus „Walpurgisnächte in Flammen“ noch in Erinnerung). Konzentrierte Stimmdynamik bei ihrer Version von Whitney Houstons „Bodyguard“-Song, viel Feeling in ihren anspruchsvollen Titeln. 
Auch bei Robert Bittner dominiert der Spaß am Spiel gegenüber dem Ehrgeiz, die Originalstars übertreffen zu wollen. Oft erstaunlich wohlklingend gelangen die Backround- Chöre. Die Kostüme unterstützten reizvoll, farbig, stilsicher und bewegungsorientiert die Wirkung der Musik. Es klitzerte und funkelte figurbetont (Kostüme: ebenfalls Wolfgang Clausnitzer).

Diese Revue ist durchaus auch eine Form des anspruchsvollen Musik-Theaters. Gerade durch das mitunter Unvollkommene mancher Elemente, kam Lockerheit über die Rampe mit viel Spaß am Detail. Die Persiflage feierte Urstände. Die Titel- und Bilderwechsel haben Pepp. Bravo dem Regisseur Jan Mixsa, der die Gruppen-Solo-Abwechslung, die Ruhepole, das Tempo sowie die Umbauaktionen lustvoll koordinierte. 
Das Publikum war animiert und beklatschte kreuz und quer die in mehreren Sprachen gebotenen über 70 Titel (siehe Programmheft: Dramaturgie - Silvia Giese). Dass man dabei die Texte nicht vollständig versteht und auch im Zuschauerraum mitgesungen wird, reproduziert die alten Zeiten, das Sich-Jung-Fühlens, die Lebensfreude. Dazu haben wesentlich die Band unter Rudolf Hild und Peggy Einfeldt (Einstudierung) ihren Anteil. 
Die Gitarren-Soli (Hans-Peter Marx/Andreas Gemeinhardt), die „Schießbude“ (Bob Korward), das Saxophon sowie Klarinette u.a. (Ronny Wiese) oder Hartmut Pohles Trompete seien nur stellvertretend für einen inspirierten musikalischen Abend der unterschiedlichsten Stilelemente hervorgehoben und gewürdigt. 
Der Revue wird ihr gut unterhaltenes Publikum quer durch die Generationen finden.

Eveline Figura

Nächste Vorstellungen: 19.2.,19.30 Uhr, 23.2., 19 Uhr



Theatralische Kreuzfahrt

Paul Abrahams Operetten-Revue „Die Blume von Havaii“ hatte am Annaberger Theater ihre unterhaltsame, amüsante, aufwändige, musikalisch köstliche und abendfüllende Premiere.

Eine Revue jagt gerade die andere: Nach „Lollipop forever“ mit dem Schauspielensemble, nun “großes Kino“ mit dem Musiktheater in der Premiere „Die Blume von Hawaii“ vergangenen Sonntag. Das Annaberger Winterstein-Theater surft gerade auf einer Welle von musikalischen Inszenierungen Europa weit mit, die aus Schlager-Revivals, aus Operetten oder aus komischen Opern Revuen produziert. Was ist das eigentlich, eine Revue? Im Journalismus eine Zusammenstellung nicht unbedingt zueinander gehörender Artikel zu einer interessanten Schau. Nun haben wir es aber bei Paul Abrahams Werk mit einer Operette zu tun, also ist daraus eben eine Operetten-Revue geworden. Das hat den Vorteil, dass man die musikalisch schönen, sentimentalen oder witzigen Gesangsnummer, Soli, Duette und Ensembles gerne auch ohne die Handlung genießen könnte, diese aber durch spritzige Lied-Texte doch in einer solchen behalten, um damit ein abendfüllendes Vergnügen zu bereiten. Das Dreigespann der Librettisten und Songschreiber Alfred Grünwald, Fritz Löhner-Beda und Imre Földes waren in ihrer Zeit omnipräsent und wegen ihrer komischen Texte überaus beliebt.

Die Fabel ist durchaus nicht ohne, nicht mal ohne politische Präsenz! Geht es doch um die Besetzung der Insel Havaii durch die Amerikaner um 1870. Der Gouverneur, ganz Weltmann (Leander de Marel), will seine Nichte (Kerstin Maus) mit dem heimgekehrten Prinzen Lilo-Taro (Frank Unger) verkuppeln. Der ist seit Kindheit mit Prinzessin Laya (Madeleine Vogt, Foto oben) verlobt, die er liebt und die so zufällig als Sängerin Suzanne Provence getarnt auf der Insel ankommt, nunmehr aber gerade frisch verliebt in den amerikanischen Kapitän (Jason-Nandor Tomóry). Die Havaijaner wollen die Prinzessin zur Königin krönen, mit ihrem Prinzen zusammenbringen und die Amis verjagen. Welch eine sympathische Vorstellung! In einer Operetten-Revue also fast wie im Leben, aber nicht durchführbar. Also wird alles so lange – mitunter zu lange - besungen und vertanzt, ja nahezu zum Suizid gesteigert, bis jeder Topf seinen Deckel gefunden hat.
Der Star des Abends ist jedoch der Komponist Paul Abraham, der mit seiner „Viktoria und ihr Husar“, 1930 in Budapest uraufgeführt, seitdem als Meister der Jazz-Operette schlechthin gilt. Die „Blume von Havaii“ erlebte 1931 in der Messestadt Leipzig ihre Weltgeburt und wurde als echte Sächsin gleich in massenwirksame Konsistenzen verpackt: Radio, Schallplatte und der Film machten die Lieder zu Schlagern, die eingängigen Melodien zu unwiederbringlicher Tanzmusik. Unwiederbringlich? Stimmt gar nicht! Wir haben es ja zur Premiere auf unserer Bühne und aus dem swingenden, ragtimenden und mittanzendem Orchestergraben gehört. 
Bravo! an die feinfühlige, aber auch temperamentvolle Stabführung vom 1. Kapellmeister der Erzgebirgs Philharmonie Dieter Klug und die begeisternd eingestellten Musiker, voran die Saxophone, Klarinetten, der oder die Schlagzeuger und insbesondere das Piano. Nicht zu vergessen die Streicher, die immer dann agieren, wenn der Zuschauer merken soll, dass es um Sinnlichkeit geht. Und natürlich die obligatorische Hawaii-Gitarre, die uns eine Kreuzfahrt in die Südsee allein durch ihre süß-jaulenden Klänge erspart...! 
Das Verhältnis von dezenter Begleitung des Geschehens auf der Bühne und der anspruchsvollen und lebhaften Orchester-Soli aus dem Graben war sehr ausgewogen. Und dass die nun wiederholt eingesetzte, aber nicht durchgängig beherrschte Microport-Anlage da und dort als störend empfunden wurde, liegt weder an der Musik noch an den Darstellern, sondern vielmehr an der Technik und der Regie, die daran erinnert sein sollte, dass zu Abrahams-Zeiten diese Melodien auch ohne künstliche Verstärkung Triumphe feierten. Das bewusste Hinhören auf die kurz nach ihrer Entstehung als „entartete Nigger-Musik“ verbotenen Klangkreativität, die mitunter verblüffende Instrumentierung sowie der ins Blut gehende Rhythmus lohnt sich. 
Auf der Bühne hat das fast vollständige agierende Musiktheaterensemble ausreichend zu tun und engagiert sich dabei mit Verve. Madeleine Vogt gibt eine elegante, anschmiegsame „Königin“, und zusammen mitFrank Ungers Prinzen ein schön anzusehendes und wohlklingendes Südsee-Paar. Bewegt und amüsant das Buffo-Paar Bessie und Buffy: Kerstin Maus und Marcus Sandmann (Foto unten) hatten konzertierte Aktionen zu bewältigen, nicht zuletzt, weil das Sujet aus der ungarischen Operette stammend, tänzerisch und singend viel fordert. Dabei haben sie witzige Titel zu singen wie z.B. den vom „Diwanpüppchen“. 
Der Kapitän von Jason N. Tomory in seiner uniformierten Verliebtheit brachte tenoralen Wohlklang und baritonalen Trost im Happyend mit Maya-Ersatz Suzanne Provence (Doppelrolle für Madeline Vogt). Sehr hübsch anzusehen und  anzuhören war sie dabei auch in ihrem „Schwipserl“-Lied mit französischem Akzent. Sängerisch dominantLászló Varga, zunächst als alter Hawaijaner, dann in der berühmten Rolle als Jim Boy, dabei die Skala von des Basses Tiefen bis zu ausgelassener Höhe auskostend. Man spürt wie wohl er sich im Musical-Bereich fühlt und die menschliche und musikalische Tiefe von „Bin nur ein Jonny...“ auslotet. Dabei kann er auch albern in seiner Liegstuhlaufstellnummer wie auch beim Einsammeln holder Weiblichkeit aller Couleur daher kommen. Als tanzende und flirrende Havaijanerin Raka präsentierte sich Therese Fauser erneut stimmlich sehr beachtlich, leicht und stilsicher, grazil, aber zupackend und überaus bewegungsfreudig. Mit solchen Musik-Theater-Kräften konnte in der Inszenierung wahrlich gewuchert werden. 
Der Regie unter Tamara Korber gelang es, dieses etwas arg verwirrende fast dreistündige Spiel vom “Paradies am Meeresstrand” erfolgreich zu entflechten und damit genießbar zu gestalten, wobei die Übergänge zwischen Gesangsnummer und den Dialogen noch etwas zu viel Luft enthielten, was vermeidbare Längen verursachte. 
Während Michael Junge als „Spielmacher der Revolte“ die Handlung noch mit Temperament und temporeich voran trieb, waren die Buffo-Dialoge und Dienerszenen eher gestrig fad angelegt und damit der ansonsten gestandene Komödiant Matthias Stephan Hildebrandt künstlerisch unterfordert. Das Esprit der Musik kam durch die Choreographie von Alexandre Tourinho in Fahrt und wurde adäquat umgesetzt. Manchmal nur durch überraschende Arm- und Handeffekte blieb so auch die Kondition der Sänger erhalten. Der Chor und Extrachor (Uwe Hanke) war singender Partygast: schön gewandet (Kostüme: Brigitte Golbs) und intensiv mitspielend. Das Extraballett schaffte Hula-Hopp schwingende Atmosphäre. Besonders war das Bühnenbild von Francesca Ciola: Ein einfacher Rahmen mit Treppe oder Palme. Im Hindergrund „agierte“ eine flexible Projektionsfläche von der neuen Wundermaschine des Theaters aus: ein teurer Beamer für Film- und Diaprojektionen. Mit Urwald bis Haifischbecken und Meereswogen, oder mit Wolkenbildern können nun die Bühnenbretter oder die Plafonts für noch vollständigere Illusionen präpariert werden. 
Zusammen mit der Beleuchtung verlangte das Ganze dann sicherlich eine arbeitsintensive Probenzeit. Kompliment auch an die Technik!
Die „Blume von Hawaii“ als Theaterrevue sollte als Meditation in die Anfänge des europäischen Jazz als eine die Völker und Kontinente verbindendes Musik-Genre und die Texte als amüsanter „höherer Blödsinn“ eines entspannungssüchtigen Publikums, oder auch nur als eine Art theatralisch-musikalische Kreuzfahrt genossen werden...

Eveline Figura

Die nächsten Vorstellungen: 12.,29.3., 19.30 Uhr; 23.3., 19 Uhr

Nächste Premiere: “Bezahlt wird nicht!”
Komödie von Dario Fo, 30. März 2014


Orientalische Märchenzeit im Theater

„Kalif  Storch“ findet sein großes und kleines Publikum im Annaberger Theater in der Vor-und Nachweihnachtszeit. Differenziertes Spiel, zauberische Effekte und schöne Kostüme wiegen allemal die etwas langweiligen Musiknummern auf und lohnen den Besuch mit der ganzen Familie.


Die Handlung des bekannten Märchens ist nahe bei Wilhelm Hauff geblieben. Dennoch hat die dramatische Fassung des Stoffs (Frank Pinkus) den Figuren Entwicklungsspielräume eröffnet, die von Regie (Friederike Barthel) und Darstellern bereitwillig genutzt wurden. So ist der Kalif von Bagdad (Brian Sommer) ein ganz junger Mann, der seine Tage verschläft, es mit der Hygiene nicht so hat und sich einen alten Stiefel um das Leid seines Volkes schert. Brian Sommer spielt sportlich seinen Part zwischen Hochbett und Verweigerungs-Tricks. Er hat das Potential zum Märchenprinzen, der sich nach seiner Rückverwandlung vom Storch zum verantwortungsvoller Herrscher und (allzu knapp im Stück) als liebender „Prinz“ zeigen darf. Sein Großwesir Mansor (Dennis Pfuhl) ist der zweite komische Vogel des Abends. Er gibt erst den verantwortungsbewussten Erzieher, dann den Freund seines jungen Herrn und kommt in der Komik seiner Rolle, zunächst ganz ungewohnt für seine sonstiges Temperament, ein wenig Schaum gebremst daher. Allerdings animierte er gleich die Kinder zum Mitmachen, die freudig reagierten, aber leider im Stückverlauf von der Regie und Dramaturgie (Silvia Giese) in Sachen Interaktion nicht weiter gefordert waren. Der dritte Vogel ist die Eule Lusa (Stephanie Braune), die in ihrem oberniedlichen Federkleid ihre traurige Geschichte von der indischen Prinzessin zur Eule so naturalistisch zelebrierte, dass bei einem hochbegabten Einjährigen ehrgeiziger Eltern am Premierennachmittag ebenfalls die Tränen flossen... Richtig so! 
Der Bösewicht des Spiels ist der Zauberer Kaschnur (Udo Prucha), der mit Zischen, Knallen und Effekten seinen verspielten Sohn Mizra (Sebastian Schlicht) nicht nur zwischenzeitlich zum ungeeigneten Unterdrücker-Kalifen über Bagdad macht, sondern schließlich auch als Storch in die Freiheit entlassen muss. Schlicht spielt das mit naiver Unschuld und so, dass man ihm glaubt, ihm könne das böse häusliche Umfeld aber auch gar nichts anhaben. Prucha stimmvoll tobend und intrigant, als Händler das Zauberpulver anpreisend, Gift mischend und machtgeil, endet zum Glück nicht wie im Märchen als Gehänkter, sondern mit einer heiteren Pointe, die ohnedies besser zu ihm passt.
Lustig waren die Darsteller auch in ihren Storchen- und Eulenkostümen, und Dennis Pfuhl konnte seine Körperkomik endlich ausleben. Vögel scheinen ihm auf den Leib komponiert zu sein. Man erinnert sich noch mit Freude an seinen exaltierten Hahn in den „Bremer Stadtmusikanten“ vor zwei Jahren. 
Das Hauff-Märchen fand in farbigen Kulissen statt, die den Palast, die Zauberwerkstatt und Ruine darstellten, mit wenigen Spiel-Podesten und viel Platz zum Agieren, den wirkungsvollen Kostümen (Ausstattung: Sandra Linde) den Rahmen gebend. Die Prinzessin Lusa hätte für ihren endlichen entzauberten Solo-Finalauftritt ruhig noch ein wenig mehr Glamour vertragen.
Es ist ein Weihnachtmärchen, weil es zu Weihnachten gespielt wird, aber auf der Bühne eben ohne dies auskommen muss.

Noch ein Wort zum Untertitel des Märchenspiels, der „ Musical“ lautet: Das war es nicht! Die Lieder (Ines Lange und Jan-Henning Preuße), die ab und zu von den Schauspielern intoniert werden mussten, waren zwar von Peggy Einfeldt gut untermalt dargeboten, aber von ihrer eintönigen Melodik, konstruiertem Fünf-Ton-Umfang und der gar nicht eingängigen Phantasielosigkeit nicht in die Herzen der Kinder gedrungen. Von einem Leitmotiv zum Wiedererkennen oder gar zum Mitsingen verleitend, war nichts zu verspüren. So war auch beim Verbeugen, die Musik nicht als Hintergrund zu gebrauchen, was den Applaus verkürzte, der sonst den guten schauspielerischen Leistung den gerechten Lorbeer zu verleihen vermag.

Eveline Figura
 

Karten zu Preisen zwischen 4,50 € und 14,00 € sind in der Vorverkaufsstelle des Eduard-von-Winterstein-Theaters, Buchholzer Straße 65 (Öffnungszeiten: Mo – Fr. 9.00 Uhr bis 17.00 Uhr / Tel.: 03733 1407-131), info@winterstein-theater.de
www.winterstein-theater.de oder an der Tageskasse erhältlich. 



Die Macht der Weiblichkeit

Der Maler Gotthard Richter aus Pöhla stellt in der Annaberger Ratsherren-Café-Galerie am Markt sehenswerte Akte und Porträts aus.

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Gotthard Richter stellt seine Aktgemälde in Öl, Ölkreide und Bleistift aus, die er in den letzten
fünf bis sechs Jahren geschaffen hat. Dabei betonte er, nicht nach der Natur, sondern rein aus seiner Fantasie heraus geschöpft zu haben. In seinem vollen Künstlerleben haben sich aber Erfahrungen angesammelt - schließlich ist er schon 83 Jahre auf der Welt - die er sinnenreich gestaltet. Er selbst bevorzugt „volle Figuren”, die in zarter Farbigkeit den schön empfundenen Moment in Posen verharren lässt. Aber auch eine zierliche Tänzerin ist dabei, zwei junge Köpfe mit frechen Frisuren oder den experimentellen Moment zwischen Maler und Modell, den er leider nicht mit ausgestellt, sondern nur beim Künstlergespräch gezeigt hat. Immer bannt er auch Körper-Haltungen, z.B. in den Zeichnungen mit einfachen Strichen, die alltäglich, sich dennoch einer idealen Linie nähern, - im Gehen, Stehen, am PC sitzend.DSCN2034

Der Betrachter sieht Angenehmes in traditionellem Stile und auch in einem charakteristischen, besonders gelungenem Porträt den Künstler selbst. Ihn begeistere das Akt-Sujet, „weil ich nunmal die Frauen liebe”, wie er betonte, aber gleichermaßen ist es ihre Widerspiegelung, die ihn fasziniert. Gotthard Richter aus Pöhla tritt den Besuchern der Vernissage in der sympathischen Bescheidenheit des Kunst-Handwerkers und Bildhauers gegenüber, der keine großen Worte darüber macht, dass kreatives Bilden sein Leben war, ist und bleibt, wie sehr die Jahre auch zunehmen. Dass Malen ihm heute körperlich leichter fällt als seine Profession des Steinmetzen, versteht man sofort. Gezeichnet habe er schon immer. Es waren oft Entwürfe zu Skulpturen, Büsten und Stelen, die er, der in Leipzig und Dresden studierte, bei Kreis- und Bezirksaustellungen präsentieren durfte. Bei Plain Airs der letzten Zeit in Schlettau, Scheibenberg und am Pöhlberg/Annaberg waren Tierskulturen in Holz dabei, die leider zu oft dem Wetter geopfert sind, um die sich die örtlich Verantwortlichen oder auch Sponsoren nach dem Schaffensprozess und dem Ankauf den Werken gegenüber gleichgültig verhalten, oder ihnen inkompetent begegnen? Darüber und über andere Erfahrungen wie die zu geringen Präsentationmöglichkeiten von Malerei und Grafik im Zentrum der großen Kreisstadt Annaberg tauschten sich Mitglieder des Annaberger Kunstvereins im Künstlergespräch aus.

Bärbel Rothe, die die Galerie-Initiative im Ratsherrencafé, gleich neben dem Rathaus, ins Leben rief und und immer wieder mit sehenswerten Ausstellungen und Gesprächen darüber am Leben erhält, freut sich über viele Besucher, die vielleicht auch anlässlich des 30. Klöppelspitzenkongresses die Werke von Gotthard Richter betrachten werden.

Eveline Figura
 
GOTTHARD RICHTER, BILDHAUER, LUDWIG-JAHN-STR., 808352 PÖHLA, SACHSEN


 

Tolles Museum mit falschem Namen

Das „K3“ in Oberwiesenthal wurde mit viel Publikumsinteresse vor Weihnachten eröffnet.
Die Touristen kommen nur sehr zaghaft. Wahrscheinlich, weil keiner weiß, was unter dem Namen - der eher wie eine Kriminalabteilung klingt - zu erwarten ist. 

Die Kosten für die Generalsanierung und den großzügigen Umbau des Oberwiesenthaler Heimatmuseums sowie der immanenten Stadtbücherei waren für eine kleine Gemeinde beträchtlich und sicher nur mit besonderen Fördermitteln zu stemmen. Oberwiesenthal ist indes ein Ort der Superlative für Deutschland und vor allem für den Welt-Wintersport. 
Es handelt sich immerhin um die höchstgelegene Stadt Deutschlands mit dem höchsten Berg Mitteldeutschlands, dem Fichtelberg, und dadurch auch um das sportlichen Zentrum des Erzgebirges.

Museum O-Thal


Es ist eine der schneereichsten Breiten, wie man gerade dieser Tage wieder erleben kann, und ein Ort, der schnell für Ostdeutsche und Bayern erreichbar ist. Man kann sich an den Steilhängen und Langlaufloipen, Schanzen und Kinderskischulen erfreuen, nicht zuletzt auch wegen der Wohlfeilheit von Liften, Restaurants, Kaffeestuben, Apréski und schmackhaften Bratwürsten. 
Die Geschichte des deutschen Wintersports wäre arm ohne diese Region und ihre Sportler, zu denen Olympiasieger wie Jens Weißflog, Eric Frenzel, Uli Wehling u.v.a gehören. 
Genau das und vieles mehr sind Gründe genug, ein anständiges Museum zu haben und es den zahlreichen Gästen von Oberwiesenthal und Umgebung schmackhaft zu machen. 
Der Stadtrat hatte den Namen „Wiesenthaler K3“ beschlossen, was einmal soviel heißen soll „Karlsbader Str. 3“ und dass der Bau genau drei Hauptteile umfasst:  Gästeinformation, Museum und Bibliothek. Doch bis hierher erhält der potentielle Besucher immer noch keine inhaltlichen Verweise auf die sehr interessanten Ausstellungsbereiche:
1. Stadtgeschichte und Landschaftsraum,
2. Heimatkultur mit Dichterstube für Anton-Günther  
3. Die Geschichte des Skigebietes und des Wintersports mit seinen weltbekannten Sportassen.
Das erfährt man erst, wenn man das ehrwürdige Haus aus dem 18. Jahrhundert betritt, an dem der hintere Neuanbau bereits von außen auf Erweiterung und breite kulturelle Nutzung hindeutet.
Zunächst riecht hier noch alles recht neu und die Farben sind frisch. Eine großzügige Kassenhalle mit freundlichen Mitarbeitern. Infomaterial leitet weiter zum ehemaligen alten Vorraum, dessen Stuck an überschwängliche Gründerzeit erinnert und dem trotzdem noch ein wenig die alte Patina fehlt. Wauer Selbstbildnis
Darin im Kontrast stehen moderne Kleinskulpturen in Glasvitrinen, die zu einer Schau über den in Oberwiesenthal geborenen vielseitigen Künstler William Wauer(Selbstbildnis, 1866­-1962) erinnern und der seine besten Kunstwerke von der Bauhausschule inspirieren lies. Gemälde, Grafik, Plastik und viele Dokumente, auch über sein Filmschaffen im Berlin der zwanziger Jahre sowie private Dokumente und Auszeichnungen unterstreichen seine überregionale Bedeutung. 
Die Bibliothek hat daneben einen schön gestalteten Raum mit wiederentdeckter alter Balkendecke erhalten und dazu viel genutzte moderne Räume für dieKinderbibliothek. Ein alter Holzhandlauf führt die Besucher dann in den ersten Stock. 
Dort kann man die historische Entstehung der (ursprünglich) vier Ortsteile von Wiesenthal, deren geographische Profile und ihre Geschichte, erleben. In einem Zimmer sind stimmungsvoll Windgeräusche zu hören, und man erfährt Unbekanntes über Schneearten und das harte Leben in früheren Zeiten. 
Ein besonders ansehnlich gestalteter Raum (die Innengestaltung des Museums oblag der Firma H9 aus Berlin) gehört dem Heimatdichter Anton Günther aus Gottesgab (Bozi Dar), kurz hinter der Grenze in Tschechien. In lindgrün wurden Zitate und Sprüche von ihm unterlegt. Dokumente, Liedpostkarten, Literatur, seine Zither und sein Tiroler Tra-la-la-Hut sind zu besichtigen. Daneben halten Volkunstexponate die lokale Stimmung aufrecht: Leuchter, Pyramiden, Weihnachtsfiguren greifen die in einem unteren Raum gezeigten Weihnachtberge-Stimmung wieder auf. Ein paar Posamenten sind Belege für den schlecht bezahlten Broterwerb in der Vergangenheit, insbesondere gegenüber Frauen.Wauer 1
Ein Haufen bunter Skier verweisen auf die größte Abteilung“Gipfelstürmer“, die reichlich Exponate der erfolgreichen Ski-Geschichte des Ortes belegen: Der Sprunganzug vom Olympiasieg Weißflogs von 1994, Medaillen, Fotos, Namen und ein Diplom über die Teilnahme des Bauhaus-Künstlers William Wauer an Olympischen Sommerspielen  1928 in Amsterdam, bei denen bis 1948 noch Kunst einen Platz haben durfte. Ein kleiner Kinosaal ergänzt die Räume. Sicherlich kommen künftig noch weitere Exponate von Einwohnern und Gästen dazu. Ein alter Hörnerschlitten und Fassdauben, die als erste Schneeschuhe genutzt wurden, sind aus der Pionierzeit des Kampfes der Erzgebirger mit den Schneemassen überliefert und hier zu besichtigen.
Einheimische und Urlauber haben dieses interessante Museum verdient, das von Frau Diana Turtenwald konzipiert wurde und derzeit von FrauEva Blaschke geleitet wird. 
Das Haus selbst sollte aber nun endlich eine Bezeichnung erhalten, die auf die gut präsentierten Exponate sinnfällig verweist und die Neugierde der Besucher anstachelt! 
Hoffen wir, dass den Oberwiesenthalern und ihrem Stadtrat dazu noch was gescheites einfällt, damit die Besucher nicht an diesem sehenswerten Kleinod vorbeigehen auf dem Weg von den Pisten in die nächste Kneipe... - und die Herren und Damen Volksvertreter sich weiterhin über den zaghaften Besuch durch das Volk wundern.

Eveline Figura 

Museum „Wiesenthaler K3“, Karlsbader Str. 3, Kurort Oberwiesenthal
Öffnungszeiten: täglich 10-16 Uhr, Tel.: 037348 1550-50

 

König Faulpelz hatte keine Chance

Die Theatergruppe Hammerbühne des Kulturzentrums Erzhammer in Annaberg-Buchholz spielt mit vollem Einsatz in den Winterferien zur Freude vieler Kinder - und Erwachsener.

Hammerbühne



Im großen Saal des Erzhammers in Annaberg wuselte es wieder einmal am vergangenen Mittwoch,  - gut gefüllt mit Grundschulklassen. Die Laientheatergruppe Hammerbühne verwöhnte die Kleinen wie in jedem Jahr seit der Woche vor dem ersten Advent mit einem neuen Märchenspiel. In dieser Saison mit „König Faulpelz und sein Töchterlein“
Der Profischauspieler Gerd Schlott begrüßte als dominierender Hofnarr die Kinder. Der traut sich die Wahrheit zu sagen, ist der Spielmacher im Stück und zeichnet auch als Regisseur der munteren Truppe verantwortlich. Der Hofnarr macht dann im verstaubtem Schloss und beim von Spinnweben behängtem Thronsessel die Kinder damit vertraut, dass „die hier noch nie gearbeitet hätten“: Das sind der langweilige König (Lothar Klapper) und sein verwöhntes Töchterlein (Davina Hinkel) sowie das witzig spielende Hofschranzen-Paar, der dicker Minister und ein dünner Kammerdiener, dargestellt von Anne Wolff undUwe Moule. Sie stecken in lustigen Kostümen, tragen ulkige Filzperücken, die von Moulo z.T. selbst angefertigt und den Darstellern auf den bewegten Leib geschneidert wurden. 
Von der benachbarten Fürstin der Arbeit (Jana Hinkel), den fleißigen Schlossangestellten und Landarbeitern werden König und Prinzessin mit handfesten Argumenten überzeugt, dass es sich durch Fleiß in einem sauberen Schloss und ebensolchen Kleidern doch angenehmer leben und tanzen lässt. 
Schöne Zwischenmusiken bringen Atmosphäre und viel Spaß bei den akustisch “mitarbeitenden“ Kindern, den Lehrern und begleitenden Eltern oder Großeltern.
Die Mitarbeiter des Erzhammers haben nach dem Spiel Tische mit Basteleien bereitgestellt und zum Thema Fasching geladen. Ein Tausendsassa macht aus schlanken Luftballons Tierfiguren. 
Weiter so mit viel Spiel-Freude und Spaß in den Ferien. Das Theaterstück wird noch einmal am 7. Mai 2015 in Stollberg im Theaterpädagogischen Zentrum gezeigt, um dann einen lange Anlauf zu nehmen bis zum probenreichen Herbst und einem neuen Märchenspiel in der nächsten Adventszeit.

Eveline Figura


Selten schöne Klänge im Weihnachtskonzert

Die Erzgebirgischen Philharmoniker verwöhnten in ihrem 4. Konzert unter der Leitung von Dieter Klug das begeisterte Publikum mit weniger bekannten, aber wunderbaren Kompositionen des französischen und deutschen Barock, der deutschen und berühmten russischen Spätromantik sowie mit bekannten Weihnachtsliedern zum Mitsingen 

Unter der engagierten Stabführung des 1. Kapellmeisters Dieter Klugfand am Montag, dem 15. Dezember 2014, das erste von insgesamt drei Weihnachtskonzerten der Erzgebirgischen Philharmonie Aue im Annaberger Winterstein-Theater statt. Nicht nur am vollen Haus, auch an der Art der Besitznahme der Foyers, des Restaurants, der Umgänge und des Saals durch das Publikum kann man alljährlich die besondere Erwartungshaltung an diesem stimmungsgeladenen Abend ausmachen. Maestro Dieter Klug hatte sicher lange vorher sein Programm zusammengestellt und mit voller Absicht wenig Bekanntes gewählt und mit überraschender Strahlkraft zum Erklingen gebracht.

Am Beginn stand die „Weihnachtssinfonie“ von Michel-Richard de Lalande, einem Hofkompositeur Ludwig XIV. von Frankreich. Mit fein arrangierten Klängen und tänzerischer Grazie, aber auch rauschender Grandezza spielte das gut vorbereitete Orchester diese herrliche Musik. 
Aus Johann Sebastian Bachs Zeit als Thomaskantor erklang danach aus seiner Kantate BWV 110 zum 1. Weihnachtstag die Arie „Unser Mund sei voll Lachens“. Jason-Nandor Tomory (Foto) sang den Part stimmlich wie befreit von seinen ansonsten anspruchsvollen Aufgaben mit angenehmer Höhe und zupackendem Gestus in den Koloraturen. 
Selten gibt es wohl auch eine Ouvertüre mit drei Sätzen. Johann Friedrich Fasch (Foto unten) schuf dieses Werk für die Dresdener Hofkirche enorm pointiert und akzentuiert, daher überraschend ungewohnt wurde es vom Dirigenten und dem Klangkörper auch interpretiert. Die Instrumentengruppen waren exakt und einsatzfreudig aufeinander eingestellt. Ein Genuss, das Orchester zu beobachten, das auch unter seiner neuen 1. Konzertmeisterin, Frau Katharina Overbeck, mit seh- und hörbarem Schwung aufmerksam geführt wird. 
Aus Josef Rheinbergers „Stern von Betlehem“, seiner Weihnachtskantate von 1891 für den Münchner Hof geschrieben, sang der Bariton Jason-Nandor Tomory „Der Lichterglanz schwindet“ wohltemperiert und akzentuiert. 
Ein besonders vom Publikum belobigter Höhepunkt des Abends galt dem jüngsten Künstler, dem erst 16jährigen Bratschisten Elias Ledig aus Gößnitz, der bereits Preise erlangte und Mitglied der Deutschen Streicherphilharmonie sein darf, sein Studium aber noch vor sich hat! Er spielte engagiert die Romanze für Viola und Orchester von Max Bruch, dessen bekanntes Violinkonzert zum Beliebtesten in den Konzertsälen gehört. Hier spielte der junge Solist mit der weniger bekannten Viola-Romanze quasi in seine Zukunft hinein, mit vielversprechenden Momenten in Tongebung und Ausdruck, manchmal mit noch zu viel Respekt vor Werk und Orchester. 
Dieter Klug leitete feinfühlig die Beziehung zwischen Solisten und Orchester. Gleichzeitig dürfte dieser Auftritt auch eine Verbeugung des Dirigenten an seine eigene wohlfundierte musikalische Ausbildung in seiner Heimat und die dortigen Musikpädagogen gewesen sein. 
Joseph von Eyblers, Hofkapellmeister in Wien, schuf mit seinem Weihnachtoratorium und der Arie „Er ist in Bethlehem geboren“ ein an den sängerischen Gestaltungswillen nicht zu unterschätzendes Werk. Der Sänger wird durch dynamische Aufgänge und wiederholende Gesten gefordert. Tomory sang gut modulierend und kraftvoll-schön, wenn auch in der Konsonanten-Artikulation und in den Tiefen noch Reserven zu erahnen waren. 
Neben den vielen überraschenden Wohlklängen war dann nach der Pause Peter Iljitsch Tschaikowskijs Dornröschen-Suite ein Rausch der Klänge, Einfühlsamkeit und Fülle der russischen Seele. Das Orchester gab alles: Zuförderst die Klangteppiche der Streicher, die wunderbaren Celli, die oft zu selten erwähnt, mit großem emotionalen Einsatz bei der Sache sind. 
Der Harfenist Friedhelm Peters mit seinen rauschenden Soli, die mitunter etwas zu hart klangen. Dann die am festlichen Abend wunderbaren Bläsergruppen: Von den Barock-Trompeten-Soli über die gut studierten Hörner bis zu den harmonischen Holzbläser, um nur einige stellvertretend zu nennen - Bravo!. Die ausladenden Walzer, die tänzerisch pikanten und vom Dirigenten modellierten Akzente wurden vom Orchester lustvoll beantwortet.
Den beliebten Abschluss der Weihnachtskonzerte bildeten wieder einmal das mit den Künstlern gemeinsame Singen von deutschen und erzgebirgischen Weihnachtsliedern, das Herr Tomory mit „Adeste fideles“ solistisch anführte. 
Das Publikum sang kräftig und freudvoll „Herbei, oh ihr Gläubigen“ weiter, gefolgt von „Tausend Sterne sind ein Dom“, dem erzgebirgischen „Weihnachten is, stille Nacht“ u.a., bis zu einem überzeugten „Oh, du fröhliche“. 
Langanhaltender Beifall für die inspirierten Künstler und das abwechslungsreiche Konzerterlebnis in einem weihnachtlichen geschmückten Haus: Herrenhuther Stern vor blauem Grund und zwei Weihnachtsbäume. 
Allerdings - frei nach Loriot: „Früher war da auch mehr Lametta...“!

Eveline Figura

Das zweite Konzert findet am 16.12.2014, 
20 Uhr im Eduard von Winterstein Theater,
das dritte am 20.12. in der Kirche in Aue statt.

 

ZWISCHENSPIEL

Der Graphiker Robert Schmiedel im Annaberger Theater - oder Theatralik hat viele Gestalten!

Es ist immer wieder wie eine Heimkehr, stellt ein Künstler seine Werke in seiner Heimatstadt aus, künden sie doch hier vom Stand seiner Auseinandersetzungen mit Welt und Werken sowie von der Ausarbeitung seiner Formgebung. 
Robert Schmiedel (* 6.3.1972 in Annaberg-Buchholz) gehört zur jüngeren Generation anerkannter Absolventen der Hochschule für Graphik und Buchkunst in Leipzig, wo er auch Meisterschüler war. Seine Konzentration auf Federzeichnungen und vor allem die Umsetzung in die Technik der Radierung haben in zu einer besonderen Feinheit von Linienführung, differenzierten Schattierungen und der Ausarbeitung von Kontrasten von Vorder- und Hintergrund, Figurenzeichnungen, Bewegungen und Charakter von Figuren gebracht, die heute schon ihresgleichen suchen. 2014 wurde eine seiner Arbeiten in die jährliche Graphikmappe des Museums der bildenden Künste Leipzig aufgenommen. In vielen beachteten Ausstellungen, zuletzt 2014 im Panorama-Museum Bad Frankenhausen war er mit 130 seiner Werke zu sehen. 

Seine Graphikmappen umfassen Themenkomplexe, die sich Landschaften, u.a. der Schweiz, mit historischen und solchen von dramatischen Werken mit historischen Inhalten auseinander setzen. Kein Wunder also, dass die Dramatik von William Shakespeare es ihm angetan hat. Im Annaberger Eduard von Winterstein-Theater wurde am 3. März 2014 seine Ausstellung „Zwischenspiel“ mit 15 Blättern eröffnet, die u.a. zu „Heinrich V.“ reflektieren. Auch wenn sich die Inhalte erst recht nach genauerer Kenntnis dieser Werke voll entschlüsseln lassen, bergen sie doch genug eigene Dynamik, Detailreichtum und Theatralik für die Betrachter. Nicht zu übersehen ist in den Haltungen, Portraits und Ausstattungen die große Prise Ironie, ja Sarkasmus, die ja auch Shakespeare selbst charakterisiert. 
Auch wenn Schmiedel vordergründig keine Aktualita präsentiert, sind die dargestellten Macht-Typen, alberne Generalität, marschierende Massen wie Zinnsoldaten, Anspielung auch für uns! Dass Shakespeare als Thema einer Ausstellung in einem Theater gut platziert wurde, kommt einer Tautologie gleich. Robert Schmiedel probiert sich seit längerem auch als Textdichter für bekannte Kabarettbühnen aus. Er ist also im Dramatischen und in der Satire zu Hause. 
Der Laudator des Abends, Holzbildhauermeister Dietmar Lang, hob neben Werkwürdigung die frühkindliche Inspiration Robert Schmiedels hier am Theater hervor, wo sein Großvater als Musiker ihn oft mitnahm. Die Ausstellung ist bis Ende der Spielzeit im Mai 2015 im Foyer des von vielen Besuchern des Theaters zu genießen. Für Sammler dieser seltener gewordenen Kunstgattung Graphik, dürften diese „Kunststücke“ des Annabergers Robert Schmiedel genug Anregung auch für deren Erwerb sein.

Eveline Schicker-Figura


Komödiantischer und musikalischer Theater-Jahresabschluss

Das 45-jährige Bühnenjubiläum der Erzkomödiantin Gabriele Kümmerling wurde in einer erfolgreichen Uraufführung mit vielen Anspielungen zelebriert. Und das Silvesterkonzert der Erzgebirgischen Philharmonie Aue strotzte vor Temperament in einer musikalischen Weltreise.Minettis_Blut_HP2-011

Es ward schon oft wiederholt und dennoch kann man es gar nicht oft genug sagen: Unser Theater ist immer und ganz besonders zu solch emotionalen Höhepunkten wie Weihnachten ein Juwel und geradezu ein Knaller zu Silvester! Nicht, dass sich die Schauspieler, Sänger und Musiker nur für diesen Höhepunkt aufgespart hätten. Erstere verwöhnten Jung und Alt im Dezember mit 19x „Kalif Storch“, einige Doppelvorstellungen, ja sogar eine dreifache mit „Loriot-Abend“ obenauf an einem Tag. Das Musiktheater hatte 11 mal Lortzings zwei Einakter-Opern „Weihnachtsabend“ und „Andres Hofer“ neben dem anderen Repertoire zu bieten. Das Orchester glänzte zusätzlich mit  brillanten Weihnachtskonzerten in Annaberg und Aue unter der Leitung vom 1. Kapellmeister Dieter Klug.Minettis_Blut_HP2-010

Und einen Tag vor Silvester nun noch eine Uraufführung: „Minettis Blut“ von Heiko Buhr über die Rampe zu bringen. Der Autor scheint nicht nur das Theater, seine Protagonisten, Konkurrenzen, Intrigen und Eitelkeiten genau zu kennen, sondern sie der Jubilarin Gabriele Kümmerling (Foto links) zu ihrem 45. Bühnenjubiläum geradezu auf den astralischen Leib und den ihrer natürlichen Tochter Gisa Kümmerling(Foto rechts) geschneidert zu haben. Beiden, zusammen mit dem RegisseurDietrich Kunze, gelang es aus der Theaterputzfrauen-Rolle, in die beide gesteckt wurden, Lebenskünstlerin und inspirierte, aber verhinderte Aktrisen werden zu lassen. Der Chef des Hauses, Dr. Ingolf Huhn, wurde dabei fast durch die Öl-Sägespäne gezogen und nur zufällig dabei nicht ins Jenseits befördert. Natürlich bombardierten sich beide als beste Kennerinnen der Star- und Regisseur-Szene mit reichlichen Extempores, Fecht- und Wortkämpfen bis in die Herzattacken hinein, und zum Schluss auch noch in eleganten Abendgarderoben, obwohl Gabriele Kümmerling im Cindy-von-Marzahn-Outfit und Gisa als Quasi-Nina Hagen optimal von Wolfgang Clausnitzer auf der fast leeren, aber gekonnt „verdreckten“ Bühne drapiert waren. 
Das kenntnisreiche Publikum amüsierte sich über viele Anspielungen auf das Theater und das eigene Haus köstlich. Was wäre es erst für ein Jubel in unserem Hause geworden, wären nicht viele Schauspielerkollegen just an dem großen Abend für ihre beliebte Kollegin zu einer Abendprobe abbefohlen worden...

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Trotz allem war die Vorstellung, neben viel Spaß, urkomödiantischen Szenen, aber auch reichlich gekonnter Klamotte, mit berührenden Momenten eines Lebens neben und unterhalb der Kunst gespickt, ganz besonders in den individuellen Nuancen privater Dramatik. Die Kümmerling, die ihren Namen so gar nicht verdient hat, und - trotz alledem - eine ganz Große in einem ziemlich kleinen Theater geworden ist, wird in nachhaltiger Erinnerung bleiben. 
Ihre Tochter, Gisa Kümmerling, verfügt über ein wohl ebenso hoffnungsvolles und breites Spektrum an klang-sprachlichen und extemporalen Ausdrucksmitteln, - von ihren stöckeligen Regie-Einfalls-Trippeleien an diesem Abend mal abgesehen. Ja, die Gene sind nicht zu unterschätzen, gehören doch auch die ihres charismatischen Vaters, Intendanten und Schauspielers Roland Gandt dazu – „bei dem so was nicht passiert wäre!“, wie seine Lebensgefährtin dem verstehenden Publikum an anderer Stelle zuraunte... (Dramaturgie: Silvia Giese). - Wünschen wir dem Theater und dem Publikum noch weiterhin Gelegenheiten zum „Besuch der alten Dame“ auf den Brettern, die für die beiden Künstlerinnen einen ganz wichtigen Teil der Annaberger Welt bedeuten!

Der Intendant gratulierte der Jubilarin herzlich und mit Blumen (man ist ja wegen der Attacken im Stück nicht nachtragend, obwohl man - zumindest im Werk von Heiko Buhr - als Prinzipal eines solchen Theaters nicht ganz ungefährlich lebt!). 
Der verdienstvolle Ausstattungsleiter Wolfgang Clausnitzer wurde mit ebensolchem Jubelblumenstrauß in den vorläufigen Unruhestand verabschiedet.

Der ebenfalls vom Chefausstatter Clausnitzer festliche Bühnenraum zum Silvesterkonzert wurde diesmal sogar mit einem golden Schweinderl als Glücksbringer gekrönt. Na, bitte: Geht doch!Takahashi

Das Silvesterkonzert der Erzgebirgischen Philharmonie Aue um 14 Uhr in Annaberg und danach noch in Aue selbst und weiter als Neujahrskonzert zu Gastauftritten „tingelnd“, war als musikalische Reise durch Stile und Zeiten konzipiert. Was sonst gar nicht gut hintereinander gepasst hätte, wie Glucks Orpheus und der von Jaques Offenbach wurde durch den pointierten und charmant beiläufigen Witz des Moderators Jörg Simmat (Foto links unten) zum reinen Vergnügen. So unterhielt er die Gäste mit launigen Übersetzungen der französischen Texte aus Bizets „Carmen“, einem augenzwinkernden Mozart-Quiz fürs ungebildete Publikum oder mit wunderbar komischen Erklärungen der Orpheus- und Samson-und-Dalila-Legende. Das Orchester brauchte also nur noch die vielen Noten herunter zu spielen und der Abend wäre gegessen gewesen. Jörg Simmat
Weit gefehlt: Unter dem schier den Frack zerreißenden Dirigat von GMD Naoshi Takahashi (Foto rechts oben) kam das Orchester enorm und unüberhörbar in Schwung. Eduard Künnekes Ouvertüre „Glückliche Reise“ als Auftakt führte zum „Faust-Walzer“ aus Gounods „Margarete“, wo „er“ seiner Margarete noch mit sehr schweren Füßen hinterher tanzte. Heinz Rudolfs Potpourri „Komm ein bisschen mit nach Italien“ gelang Dirigent und Musikern mit wahrer Leichtfüßigkeit, geradezu ein wenig an den Mantovani-Sound erinnernd. Das Orchester verwöhnte in Bizets Vorspiel zum 3. Akt die Hörer mit wunderbaren Flöten- und Gitarren- und Harfenklängen und viel Einfühlsamkeit.Therese Fauser


Mezzosopranistin Therese Fauser (Foto), im stilgerechten roten Kleid, sang ihre „Carmen“-Arien schlank, ganz am Beginn einer zu erahnenden späteren Verruchtheit. In der Arie der Dalila (Camille Saint-Saens) entwickelte sie ihre stimmliche Dramatik überzeugend und klangschön. Das Orchester war danach auf mozärtlich-türkischem Terrain zu Hause, flirrende Leichtigkeit und Kraft in der Ouvertüre zur „Entführung aus dem Serail“. Fausers Interpretation der Orpheus-Arie von Gluck war wohl das Berührendste des Abends. Mit Zartheit und Kraft dominierte sie auch den stark Raum greifenden Orchesterklang. 
Danach Can Can aus Offenbachs „Orpheus“ und ein Walzer-Konkurs zwischen Bad Ischl/Wien und Berlin: Lehárs „Gold und Silber“, was zunächst klang wie Holz und Blech, dann aber doch mit großer Geste zum Streicher-Rausch geführt wurde, um schließlich Paul Linkes Luna-Walzer auf preußischen Marsch-Walzer zu intonieren. Die Musik ist so ansteckend, dass man sich die „Luna“ gerne mal auf unsere Bühne träumen würde. 
Der Chefdirigent blieb in seinem Element bei den Zugaben (noch einmal kraftvoll und schon ein wenig mehr verruchter die Fauser mit der „Habanera“), insbesondere beim Radetzky-Marsch, wo man die klatschende Interaktion des Publikums als Instrument einsetzt und wo sich auch der GMD am Ende selbst eliminieren darf, zumal er sein Orchester das ganze Jahr über genug traktiert haben dürfte...!

Ein glückliches neues Jahr 2015 haben sich alle nunmehr gründlich verdient!

Eveline Figura



„Courage“ am Annaberger Theater

Bertolt Brechts Antikriegsstück „Mutter Courage und ihre Kinder“ ist als Analyse des großen Geschäftemachens mit dem Kriege und als Lehrstück menschlichen Scheiterns mit hellseherischer Kraft am Vorabend des zweiten Weltkrieges im Exil verfasst und am Züricher Schauspielhaus 1941 uraufgeführt worden. Dank der epischen Schauspielkunst u.a. der kongenialen Helene Weigel wurde es  zum Welterfolg, der zusammen mit der Brechtschen Theaterpraxis aber heute fast vergessen ist.
Umso verdienstvoller der couragierte Versuch, am Eduard von Winterstein-Theater Annaberg, dieses heute wieder unverzichtbare Lehrstück auf den Spielplan zu setzen und es einem noch vorgebildeten Publikum und hoffentlich der unbekümmerten Jugend zu offerieren.

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Wer eine Kopie der legendären Aufführungen im Berliner Ensemble mit der Giese, der Weigel oder der May, deren Formensprache, ihrem Gestus oder gar ihrem berühmten Planwagen erwartete, wurde von der Inszenierung des erfahrenen Theatermannes Karl Georg Kaysers am 25.1.2015 vielleicht enttäuscht.
Dramaturgie (Silvia Giese), Regie und Ausstattung (Annabel von Berlichingen) hatten den Untertitel des Dramas „Eine Chronik aus dem dreißigjährigen Krieg“ dem Brechtschen Texte überlassen und die große Bühne mit Absicht ins Heute hinein, mit aktuellen Accessoires wie Autoreifen und Tandler-Kram, der Courage auf der Drehbühne und vorn mit zwei Stand-Mikrofonen - alles nicht überladen - ausgestattet. Am Bühnenhintergrund wurden die wichtigen Brechtschen Lehrsätze zur Unterrichtung und Selbsterkenntnis des Publikums groß, aber leider oft schlecht leserlich projiziert. Mutter_Courage_HP1-286
Alle Darsteller, außer der Courage, traten nach ihren jeweiligen Mehrfachrollen aus diesen heraus in den - vielleicht etwas zu weit entfernten - Hintergrund, von wo aus sie als antiker Chor die Erkenntnisse der Szenen, nicht immer ganz verständlich, deklamierten.
Die „Mutter Courage“ genannte Marketenderin Anna Fierling (Tamara Korber) zieht mit ihren drei Kindern von einem Kriegsschauplatz zum nächsten, denn Frieden ist tödlich fürs Geschäft. Sie will´s machen, wie die großen Geschäftemacher: Gewinn, aber ohne Kolateralschäden. Diese Art Heraushaltung funktioniert nicht. Sie verliert ihre drei Kinder. Tamara Korber spielt die große Rolle als ständig bewegte und wuselnde Un-Alte, singt mit Mut zur Verzweiflung die zur Erhellung gedachten Songs von Paul Dessau zu ihrem Wandern durch die Jahre auf der Drehbühne. Ohne besondere Stimmkraft (da auch noch im ersten Teil das Mikroport ausfiel) erzielte sie zunächst kaum berührende Wirkung. Ihr Kostüm zeigt sie als eine Art Hippie-Aussteigerin, die ihren Kindern Kumpel, nicht Autorität ist. Eilif, ihr Ältester, gerät denn auch zwischen die Fronten und wird erschossen. Benjamin Muth spielt ihn als selbstbewussten, und wie seine anderen Rollen (der Blinde, der Schreiber, ein Bauer), mit markanter Artikulation. Sein Eilif wird nicht psychologisiert. Männlich will er sich nicht vor dem Soldateneinsatz drücken, deklamiert klar und entspricht wohl so auch etwas mehr dem epischen Theater. 
Der zweite Sohn Schweizerkaas (Sebastian Schlicht) wird des Raubs der Regimentskasse verdächtigt und kommt ebenfalls um. Er ist eher der Naive, der seine Mutter unterstützt und ins Unglück stolpert. Die berührendste Rolle hatStephanie Braune als die stumme Kattrin, die durch ihre Gestik - exponiert oder zart – mal wirkungsvoll, dann wieder kaum beachtet agiert, mit verzweifeltem Trommeln die Stadt warnt, vergewaltigt wird und, wie meist dieser Teil des Volkes, unschuldig stirbt. Hier dann viel überzeugenderer auch die Korber, die ihre unvermeidliche Tragik gestisch verkörpert und recht wirkungsstark über die Rampe bringt. Die Szene mit der Courage und ihrer toten Tochter ist auch immer eine der berühmtesten und berührendsten im Berliner Ensemble gewesen, dort aber mit mehr gespannter Ruhe und mit dem „stillen Schrei“ verfremdet dargeboten. Mutter_Courage_HP1-298
Großes Theater bieten in der Inszenierung Marie-Louise von Gottberg als Yvett Portier (Foto links mit Kober), als Hurenweib, verzweifelt dem Irrsinn nahe, oder als Konkubine des Obristen und schlicht als Bäuerin. Sie ist eine der wenigen, die ihre Songs als Fortsetzung der Dialog-Texte zu interpretieren versuchte. Neben ihr agiert als wirklicher Charakterdarsteller Nenad Žanić als Koch (Foto oben mit Kober), der Brechts „Freundlichkeit“ verkörpert, aber im eigenen Widerspruch gefangen ist. Er will mit der Courage eine geerbte Kneipe betreiben, die aber für ihre Tochter nicht genügend abwerfen würde und diese zurückbleiben müsse. Žanić spricht in einer Art fränkischem Dialekt, mit sonorem Klang auch in den Songs, - eine brechtsche Volksfigur! 
Udo Prucha als Feldhauptmann mit Kraft, tattriger Obrist oder Bauer - immer gut verständlich und stets darstellerisch verlässlich präsent. Von den Jungen überzeugt am meisten Brian Sommer als frecher, großmäuliger Werber, Zeugmeister, katholischer Feldwebel u.v.a. weiteren Rollen. Sein unterscheidendes Spiel und prononcierte Sprechbeherrschung machen seine Figuren zu Funken im Geschehen. Dennis PfuhlsFeldprediger, erst gut evangelisch, dann eher resigniert katholisch, betreibt sein „Handwerk“ zwischen den Fronten nicht agitatorisch, sondern pragmatisch. Ein wenig mehr an Sprachkraft darf aber dann auch bei Brecht schon sein. 
Das trifft teilweise auch für die Hauptrolle zu: Tamara Korber in ihrer Bewegtheit spricht zu oft nach hinten oder verfängt sich in überbordender Aktion. Endlich, mithilfe der nunmehr funktionierenden Technik wurden auch die Songs hörbar und funktionabel. Welch Wirkung der Texte plötzlich dann auch bei dieser zarteren Courage-Darstellerin entfaltet - enorm! In den Theater(hoch)schulen ist wohl kaum noch ernsthaft das Studium von musikalischen Ausdrucksformen auf dem Plan? Die Ausdruckskraft Brecht-Dessau-Weillscher Songs erfordert eine der Stimm-Dynamik verleihende Wort-Melodie-Synthese. Schade, weil dieses Training für die generelle Bühnenpräsenz der Schauspielern überaus zuträglich wäre – nicht nur bei Brecht. Nicht im Sinne des Autors und seiner Stücke war ihm dabei richtige Gesangstechnik. Berühmt sein Ausspruch über einen solcherart ehrgeizigen Kollegen: „Um Gotteswillen, der kann ja wirklich singen!“ Diesbezüglich bestand in der Annaberger Inszenierung allerdings keinerlei Gefahr...
Wirkungsvoll wurden die Dessau-Songs von der Band unter Leitung von Peggy Einfeldt begleitet, allerdings manchmal die Liedanfänge zu laut überlagert.
Das Publikum, das auch Alters bedingt sowohl aus der Schulzeit als auch vom hiesigen Theater Vorkenntnisse zum Stück mitbrachte, nahm mit Interesse und Wohlwollen die Inszenierung auf und dankte dabei auch für die Ensemble-Courage, dieses heute überaus aktuelle Stück in einer aggressiver und auch kriegerischer werdenden Welt wieder auf die Annaberger Bühne gestellt zu sehen.

Eveline Figura

Nächste Vorstellungen: 28.1.2015, 5.,8.,28.2., 19.30 Uhr, 2.2.2015, 10 Uhr

Fotos: Theater Annaberg / BUR



Theater als Brennglas der Gesellschaft

Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder Wie Gewalt entsteht und wohin sie führen kann“ hatte auf der kleinsten Bühne des Annaberger Theaters mit großer Gestaltungsdichte und höchster politischer Brisanz erfolgreiche Premiere

Auf dem Programm stand am 23.11.2014 die Premiere von Heinrich Bölls Rufmord-Story aus den siebziger Jahren, in denen der Rechtsstaat seine Grenzen überschritt, junge Leute radikalisiert wurden und die Presse zur Hexenjagd auf Demokraten, Demonstranten und angebliche Sympathisanten der Terroristen blies. Alles ist aktuell: In der ZEITUNG standen bereits die Urteile, bevor Richter ihr Urteil fällten, so, wie es sich bis heute abspielt, ob es sich dabei um Bundespräsidenten oder einfache Leute handelt. Sie sind gesellschaftlich tot, politisch markiert, stigmatisiert, indem sich die Meute, Nachbarn, ja Lynchaufrufe vorverurteilend auf sie stürzt. Der Rechtsstaat wird zur Rechtfertigung für Unrecht der Repressivgewalten, und die Pressefreiheit zur Schimäre entfesselter Denunziation und Vernichtung Einzelner.

Die hervorragend Dramaturgie (Silvia Giese) und dichte, aussagestarke Inszenierung von Birgit Eckenweber des bekannten, hochkarätig verfilmten, aber vielleicht inzwischen verblassten Stoffs, beginnt mit Heinrich Bölls Vorwort als ein quasi „Vorspiel auf dem Theater“ inszeniert. Die fünf Darsteller haken die Aussagen des umgekehrten Haftungsausschlusses in die Zuschauerreihen: „...Ähnlichkeiten mit den Praktiken der Bild-Zeitung sind... unvermeidlich“. Auf der Bühne hat die Ausstattung (Wolfgang Clausnitzer) unvermeidliche Wohnungsrequisiten sparsamst drapiert: Im Zentrum thront eine Art Skateboard-Schanze, auf der die SchauspielerInnen aufsitzen, abrutschen, anrennen, verbluten...
Marie-Louise von Gottberg spielt die Katharina Blum hinreißend überzeugend. Ihre wie selbstverständlich eingebrachten Darstellungsmittel sind die einer jungen Frau, die sich unwissend verliebt in einen gesuchten Mörder, plötzlich der geballten Staatsmacht gegenüber sieht, Anschuldigungen, Beleidigungen, Drohungen, Gewalt ertragen muss. 
Geradlinig und selbstbewusst verteidigt sie sich. Ihre mit Fleiß erarbeitete Eigentumswohnung wird, wie ihre normalen Lebensäußerungen, gegen sie verwendet. Zunächst vergreift sich der Kriminaloberkommisar (Gerd Schlott, auch in zwei weiteren Rollen) in Ton, Gehabe und Mitteln an der jungen Frau und am Artikel 1 des Grundgesetzes. Er spielt stimmlich und im Gestus von brutal, zynisch bis verständnisvoll durchaus differenziert. Nicht ohne Hintergedanken auch mit Schlapphut! Name, Adresse und unmissverständlicher Attributierung wie „Herrenbesuche“ oder „Gangsterliebchen“ werden selbstverständlich von der Polizei an die Presse weitergegeben. 
Nenad Žanić spielt den BILD-Zeitungs-Reporter Tötges mit wahrer Perversion in der scheinbar lässigen Geste und Angst einflößender Sprachgewalt. Bravo! Das „Über- Leichen-Gehen“ für die Sensation geschieht dann auch wirklich. Bis ins Krankenhaus zur sterbenden Mutter Blum dringt der Zeitungs-Reporter vor. Von „Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde“, wie es im Pressekodex heißt, keine Spur. Eindringliche, erschütternde Szenen muss die Studiobühne verkraften. Wie u.a. die Befragung von Nachbarn, deren harmlose Antworten plötzlich kriminelle Bedeutung erlangen. 
Am Ende will der Reporter noch Katharina selbst in ihrer Wohnung Gewalt antun. Sie erschießt ihn als den Vernichter ihrer Ehre. Aber der nächste gekaufte Pressevertreter steht schon vor der Tür. 
Die weiteren zwei Darsteller des Abends sind mehrfach besetzt und können im Neben- und Nacheinander der Charaktere differenzierend agieren. Zuförderst Marie-Luis Kießling (ehem. Pühlhorn) in vier Rollen. Als Katharina Blums lebenslustige Arbeitgeberin vereint sie Wohlstandsgenuss mit Charakter. Sie und ihr Mann, Rechtsanwalt Dr. Blorna (Benjamin Muth) halten zu Katharina Blum. Genauso überzeugend ist sie als Polizistin im Strafvollzug; sie spielt diese in einer Mischung aus Hinwendung und naiver Überraschtheit auf Katharinas Frage: „Was tut der Staat für mich?“.
Schließlich Benjamin Muth, einer der ganz Jungen am Hause, mit sieben Rollen! Vom eloquenten Anwalt, einem zunehmend besser bayrisch parlierenden Alois Sträubleder, sich exzentrisch verbiegenden Protokollanten bis zum exaltierten Polizisten u.a. darf er seine Erfahrungen auf den Brettern sammeln, und das macht er durchaus überzeugend. 
Auch wenn die Thematik des hervorragenden, sehr aktuellen Stücks eigentlich auf die große Bühne gehörte, erreichte Regie und Darstellung eine Dichte, die durch die Nähe zum Geschehen auf der Studiobühne noch gesteigert wurde. Es geht unter die Haut. Und das auch in der Aussage, dass das geschrieben Recht von Menschen mit ihren Interessen schließlich auch zum Unrecht werden kann, insbesondere dann, wenn derartige Allianzen zwischen Politik, Justiz, Kapital und Medien geschmiedet werden. Selbst in einem Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland – damals wie heute!
Die Zuschauer sahen ein echtes Lehrstück, ein Brennglas unserer Gesellschaft und damit endlich wieder einmal bestes „Theater als moralische Anstalt“ !

Eveline Figura
Fotos: Theater Annaberg, BUR

Nächste Vorstellung:
20.12., 20 Uhr, Studiobühne

 

Dramatische Lebenswelten 

Die große Liedkunst Franz Schuberts erklang am zweiten Abend der Reihe „Perlen der Kammermusik“ auf der Bühne des Erzhammers in Annaberg-Buchholz und erfreute das Publikum durch differenzierte Gesangskunst und brillante Liedbegleitung.

Eher selten sind die Liederzyklen des jungen, schöpferischen und früh vollendeten Komponisten Franz Schubert in unseren Breiten zu hören. Das Publikum wurde am zweiten Konzertmittwoch der Reihe „Perlen der Kammermusik“ am 18. Februar 2015 im großen Saal des Erzhammers Annaberg-Buchholz geradezu verwöhnt. Dieter Klug, 1. Kapellmeister der Erzgebirgischen Philharmonie Aue, hatte mit den beiden Sängern des Abends, Sopranistin Bettina Grothkopf und Bass László Varga, ein anspruchsvolles Programm zusammengestellt, das Schuberts volksliedhafte und zu Volksliedern gewordene „Klein-Dramen“ genauso beinhaltete, wie seine ernsten, an die Lebensgrenzen und Existenzkrisen gemahnenden Lieder. 
Aus dem reichen Schaffen von um die 600 Liedern wurde 24 in das „Schubertiade“ genannte Programm im Erzhammer aufgenommen; eine Verneigung an die ebenso bezeichneten Abende, an denen Schubert einst seine neu fertiggestellten Kunstlieder in Gesellschafts- und Freundeskreisen vorstellte.

Schubertiade - Grothkopf, Varga,  Klug - Lorenz


Das Programm war in  vier Gruppen gegliedert: Beginnend mit sechs Liedern aus der „Winterreise“ (1827 entstanden) erklangen danach unter dem Sammeltitel „Nur wer die Sehnsucht kennt“ Lieder zu Texten von Johann Wolfgang von Goethe. Nach der Pause folgten aus dem Zyklus „Schwanengesang“ Kompositionen zu Gedichten von Rellstab, Christoph/Hölty und Heinrich Heine. Und zuletzt, unter dem Titel „An die Musik“, Inbegriffe der romantischen Lyrik u.a. von Friedrich Rückert, Matthias Claudius und Ludwig Uhland. 
Sind die poetischen Vorlagen schon reich an Sprachkunst und Metaphorik, werden die Lieder mit der kongenialen Musik Schuberts zu Meisterwerken, die uns heute noch viel oder wieder mehr zu sagen haben, in einer Welt zunehmender Katastrophen, wie Dr. Gabriele Lorenz, die Kulturmanagerin der Stadt und Leiterin des Kulturzentrums Erzhammer, in ihren Dankworten an die Künstler betonte. Schubertiade
László Varga konnte seinem Bass eine große Bandbreite von Schattierungen abfordern. Diszipliniert verhalten, auch im notwendigen Maße introvertiert, vermochte er harte Kontraste in der Höhe und  berührende Tiefe zu gestalten wie in „Gute Nacht“ oder zu berühren im bekannten „Der Lindenbaum“, den Schubert im heute noch existierenden Gasthof „Höldrichsmühle“ im Wienerwald komponierte. Klar treten hier die himmelweiten Unterschiede, von Kunstliedgestaltung und Volksliedgesang hervor. Die Inhalte sind kontrastreich und dramatisch  und berühren, ja überraschen die Hörer. Niemals bleibt der Anlass des Liedes - wie hier der schöne heimatliche Lindenbaum - die Hauptsache. Immer ist es das Leben des Singenden, das Schicksal des Besungenen, was plötzlich durch die Musik eine ganz andere Dimension erhält, wie im Lied „Die Post“ oder „Die Krähe“. Vargas Bass kann dabei in verschiedenen Stimmungen in der Höhe differenzieren, auch bis zu angehauchten Pianos. Selten geht er jedoch mal im dramatischer Absicht vom Tone „weg“ oder probiert geradere Klänge aus. Dadurch wirkt der  Vortrag zwar immer kultiviert, birgt aber mitunter zu wenig stimmliche Überraschungen. Ganz sein Metier waren die Goethe-Hits „Der Musensohn“ oder „Ständchen“ mit berührender Zartheit oder „Der Doppelgänger“ mit Verzweiflung und Ausbruch, ebenso „Der Atlas“ mit schierer Verwunderung über die Ungeheuerlichkeit der Aufgabe. 
Der Kontrast zwischen einer tiefen, kraftvollen Männerstimme und dem mal perlend leichtem, dann wieder dramatische  Ausdruck des Soprans von Bettina Grothkopf  war ein Vorteil dieses Liederabends gegenüber anderen, in dem meist nur ein Solist alleine diese Aufgabe bewältigen muss. Die Erste Sopranistin des Annaberger Theaters verfügt sowohl über künstlerisch-stilistische Erfahrung, wie auch den  Gestaltungswillen gegenüber den unterschiedlichen Lied-Anforderungen. 
„Der Frühlingstraum“ wurde deshalb gar nicht süßlich, sondern wirklich dramatisiert vorgetragen, und  „Der Wegweiser“, eben auch oft von Männern gesungen, hatte viel Glaubhaftigkeit durch die Stimmgestik. Schöne Bögen und Ausdruck in „Nur wer die Sehnsucht kennt“, und „Gretchen am Spinnrad“ hatte schon faustische Dramatik. „Ganymed“ enthielt dann auch, wie oft bei Goethe, nicht nur innewohnende, sondern hörbare erotische Stahlkraft. Das „Heidenröslein“ hingegen hätte ein wenig mehr Ausdruck weg vom Volkslied bedurft, schließlich handelt es sich um die Brechung von Willen und Körper eines Mädchens – eigentlich um eine „romantische“ Vergewaltigungsszene. 
Im letzten Teil des Abends blieb „Du bist die Ruh“ von László Varga durch Zurücknahme und „Der Tod und das Mädchen“ durch Sanftmut und Gelassenheit, schöner Tiefe  bei Bettina Grothkopf in sehr angenehmer Erinnerung. „Die Forelle“ und „An die Musik“ waren dann wahre Selbstläufer für Varga und fast schon Zugabe-Schmankerl. 
Den ganzen Abend über, aber bereits vorher mit der Programmauswahl und den wahrscheinlich akribischen Proben, hatte der kongeniale Begleiter am Flügel, Dieter Klug, präzise und verantwortliche Arbeit geleistet. Die Klavierparts sind bei Schubert eigenständige musikalische Charakteristika der thematischen Stimmung, sind Rahmen und Partner des Sängers, der sich nicht einfach auf die Klavierstimme aufsetzen kann, sondern im steten Wechselspiel mit ihm agieren muss. Besonders auffällig, die vielen Varianten bei den „Wasserstücken“ wie beim „Fischermädchen“ mit viel Dynamik, in „Auf dem Wasser“, wo Dieter Klug ware Perlkaskaden zu spielen hatte. Oder das bekannte Lied „Die Forelle“, wo man das Tier ganze Sprünge und Untiefen bewältigen hört. Der brillante Mann am Flügel war wie ein Regisseur am Werke: Mit Präzision bis in das als Duettzugabe gestaltete wunderbare „Wiegenlied“ zum Schluss, mit wohlgesetzten Pausen und überlegten Tempi der einzelnen Lieder und besonders von den durchgestalteten Endstimmungen der ins sich abgeschlossenen Handlungen. Nie wurden die Sänger durch zu laute Klänge überdeckt, nur liebevoll befördert und intelligent begleitet.
Der Abend war durchweg fürs Publikum ein interaktiver Genuss. Nur die waren zu bedauern, die an diesem Abend zu Hause geblieben sind. 
Der Erzhammer knüpft hier dankenswerter Weise an eine über 150jährige Tradition der Museumsgesellschaft an, die u.a. durch Peter Gast, Emil Finck oder Willy Roch begründet bzw. fortgeführt wurde... - wobei allerdings damals auch Komponisten aus dem erzgebirgischen Raum intensiv zu Wort kamen.

Eveline Figura

Nächster Konzertmittwoch im Erzhammer: 29.04. 20.00 Uhr, Französische Bläsermusik

 

Sieg der leichten Muse

Leo Falls „Madame Pompadour“ verbindet weibliche List mit historischer Gesellschaftskritik und charmanter Darbietung in der erfolgreichen Premiere am Annaberger Theater.

Operette auf dem heutigen Spielplan wirkt oft verstaubt, weil seichte Handlung, bunte Kostüme und kitschige Musik die Vorurteile sind. Ein derart unterschätztes Medium kann also bei kreativer Handhabung nur Erfolg haben, weil die Stärken des Genres an dessen Anfangsgründe dann wieder hervor kommen. Die liegen im Paris des dritten Kaiserreiches Mitte des 19. Jahrhunderts. Jaques Offenbach hatte mit der Eröffnung seines Bouffes-Pariesienne, einem Holzleichtbau in der der Nähe des Boulveards Champs-Elydées, voll ins Schwarze getroffen. Die Pariser selber, die ausländischen Besucher der Weltausstellungen suchten Unterhaltung mit Esprit, Tanz, mitreisende Musik und Ballett. Dazu kam eine große Prise Frechheit in Chansons, die die politischen Verhältnisse aufs Korn nahmen. Eingepasst in eine spritzige Handlung war das gut verdauliche Kost für ein Publikum quer durch die Klassenschranken. Kein Wunder, dass ziemlich schnell dieses Genre in Berlin auftauchte, der prosperierenden Hauptstadt des dominant gewordenen Preußens.

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Unter den großen Namen dieser Zeit, zu denen die Garde der österreichisch ungarischen Komponisten wie Lehár, Kálmán, Abraham gehörten, gesellte sich nun auch Leo Fall, aus Olmütz stammend. Sein größter Erfolg wurde die „Madame Pompadour“, deren Name 150 Jahre nach wirklicher Existenz als Staatsmätresse Ludwig XV. immer noch genug Ausstrahlung hatte, um als Lustobjekt der Boulevardbühne zu glänzen. Dazu kam der Star der leichten musikalischen Unterhaltung, Fritzi Massary, die die Zuschauer einst geradezu hypnotisierte.
Also alles Zutaten für eine unterhaltsame Mischung auch auf der Bühne des Eduard von Winterstein Theaters am 1. März 2015, um das Publikum zu gewinnen.  Madame Pompadour (Bettina Grothkopf) will sich mit ihrer hübschen Kammerfrau Belotte (Madelaine Vogt) weg vom Versailler Hofe amüsieren und gelangt im Karneval genau in ein solches Etablissement voller Musik und tanzender Grisetten in Paris. Beide müssen die frechen (damals lebensbedrohlichen) Gesänge des Dichters Calicot (Markus Sandmann) anhören und überhören, weil sie ihn und den Grafen René (Frank Unger) erwählt haben, ihnen die Nächte zu versüßen.  Madame_Pompadour_HP2-375
Mit Charme und Verstand lässt die Pompadour mit „Heut´ könnt einer sein Glück bei mir machen, wenn er der Richtige wär“ ihre Absicht erklingen. Gestört vom eitel-dummen Polizeiminister Maurepas (Michael Junge) und seinem gewitzteren Spitzel (Matthias Stephan Hildebrandt) lassen die Frauen ihre Raffinesse aufblitzen und so gelangen die beiden favorisierten Männer ins Schloss, - der eine als Wache, der andere als Dichter. Dazwischen taucht noch die unbefriedigt junge Ehefrau  (Therese Fauser) des Grafen René auf und entpuppt sich glatt als Halbschwester der übermächtigen Staatsmätresse, die inzwischen zur verliebten Frau, hilfsbereiten Schwester, toleranten Dichterversteherin und Retterin  mutiert ist. 
Die Zeit ist manchmal gnädig.
Fehlt nur noch der König, dann ist die Operette komplett:Leander de Marel spielt den gekrönten Galan als überschlanken Graumelierten, ohne Alonperücke, mit Gutmütigkeit und gelangweiltem Desinteresse an den Staatsgeschäften. Hier gelingen dann auch die komischen Situationen der Texte und die  tagesaktuellen Anspielungen. Beim Unterschreiben von Todesurteilen und Dokumenten stößt er z.B. auf vier Bürgermeisterkandidaten, “die das alles doch nicht könnten!“ - zum Jubel des Publikums! Hier ist die Operette wieder bei sich. Sie will unterhalten, aber auch provozieren. Das hätte ruhig noch ein wenig mehr und schärfer sein können...! Doch die Regie des „alten Theaterhasen“ Rainer Wenke hatte die „Pompadour“ leichtfüßig, schlagfertig und charmant inszeniert. Einen ganz großen Anteil daran hatte die bezaubernde Ausstattung durch Robert Schrag, der in Annaberg bereits den „Löwen von Venedig“(Peter Gast) luftig aus der Lagune gezaubert hatte. Madame_Pompadour_HP2-622
Sein erstes Bild adaptierte auch gleich den Offenbachschen Lattenverschlag am Pariser Boulevard. Und sein Ballsaal im Schlosse - mit Extraapplaus bedacht! - war eine frühlingshafte Luftigkeit in Pink und Lindgrün, die Platz hatte für einen Kronleuchter als Separée oder ein „Tischlein-deck-dich“ für den König. Die detailreichen Kostüme der Damen passten abgestimmt dazu und waren durchgestylt bis zu den Blumen in den schönen, diesmal gut passenden Perücken. 
Das Ensemble, auch das des erweiterten Chores(Leitung: Uwe Hanke), der mit vielen kleinen Soloauftritten bedacht war, hatte endlich wieder einmal Platz zum Agieren. Und das taten sie denn auch abendfüllend engagiert. 
Voran Bettina Grothkopf als sich souverän bewegende Titelheldin, die mit Lust intrigiert, ihr Kostüm in Schwung bringt, schließlich bedauernd verzichtet und sich dennoch einen jungen Soldaten greift! Stimmliche Leichtigkeit auch in der Höhe, augenzwinkernder Charme bei gutem Zusammenspiel brachten die Operette zum glänzen, auch wenn in manchem Cuplé wie z.B. „Joseph, ach Joseph“ die Texte hätten noch kräftiger zelebriert werden können. Madelaine Vogt hielt im Temperament stimmlich und darstellerisch fast durchweg sehr gut mit. Manche Textpassagen der Protagonisten (außer Leander de Marel) gingen leider im Spiel nach hinten etwas verloren. Therese Fausers Gräfin Madeleine war in Gestalt und bewusst naiver Darstellung besonders anziehend. Die komödiantischen Albernheiten zwischen dem König und seinem Minister amüsierten das Publikum köstlich. Frank Ungers Höhen, wie immer stahlend, könnten ein wenig kräftigere Untermauerung in der Mittellage und in der Tiefe vertragen. Marcus Sandmanns Calicot gefiel durch freches Spiel und Gesang mit dem Ensemble, manche Passage verkrampften etwas in der Höhe, was er als kabarettistische Überzeichnung nicht unklug tarnte. Da die Inszenierung in der historischen Zeit, Mitte des 18. Jahrhunderts angesiedelt blieb, waren die Tanzeinlagen der Grisetten mit Can-Can-Gewedel und -Gegacker doch ein wenig einfallslos (Choreographie: Sigrun Kressmann). 
Die Musik hingegen aus dem Orchestergraben war - nach minimalen Schwächen zu Beginn - dann von sprühender Stimmung der zwanziger Jahre beseelt und von quirliger Charakterzeichnung und gassenhauerischer Verve getragen. Dieter Klug war als 1. Kapellmeister mit seinen Erzgebirgischen Philharmonikern Aue mit Spaß und Verantwortung für die Sänger aufmerksam und einfühlsam bei der Sache, gab ihnen Zeit, die witzigen Texte von Rudolph Schanzer und Ernst Welisch verständlich zum Publikum zu transportieren. Das Publikum dankte mit anhaltendem Applaus. Und man konnte es im vollbesetzten Theater vernehmen: Die Totgesagte, die Operette, lebt, und wie...!

Eveline Figura
Fotos: Rückschloss/BUR
 

Nächste Vorstellungen: 4./21.3. - 19.30; 8.3.  -19.00 Uhr

 

Highschool-Atmosphäre auf Theaterbrettern

Umjubelte „Fame“-Premiere im Eduard von Winterstein-Theater. 

Gezeigt wird die emotionale Kreativität von Schülern, quer durch das soziale Spektrum, wenn man sie nur motiviert und fördert. Überzeugendes Zusammenwirken von Profis und Laien. Manch schräge Töne trugen zur Authentizität des Themas „Talentefindung“ genauso bei wie große Schauspieler-Stimmen, komödiantische Blüten und viel Gefühl.

Fame


Diese Inszenierung „Fame“, die am am 22.März 2015 Premiere hatte, wird mal wieder ein Dauerbrenner, nicht nur beim jungen Publikum, auf dem Spielplan werden. Tamara Korber hatte die Regie auf der ständig vollbesetzten, funktional gestalteten Bühne (Ausstattung: Robert Schrag) und die Fäden der temporeichen Inszenierung in der Hand behalten. 
Das sind Stoffe, die ihr als Regisseurin besonders liegen, wie sie es z.B. in „Linie 1“ gezeigt hat. Das Hightscool-Musical „Fame“ mit Echtheitszertifikat (als The Highschool of Performing Arts-1946 am Times Square in New York gegründet) aus dem Jahre 1988 hat von seinem ursprünglichen Esprit bis heute nichts eingebüßt. Es zehrt auch von den groß gewordenen Absolventen dieser Schule bis heute: Liza Minelli und Al Pacino, bekannte Songs und Fernseh-Serien. Aber live is live! 
Und diese Musik-Produktion des Schauspielensembles hat gesangliche Herausforderung für die sonst überwiegend sprechenden Protagonisten genug. Es bilden sich Pärchen, die nicht so recht zu passen scheinen, sich zusammenraufen, Prüfungen bestehen müssen, Spaß haben, Sehnsüchte ausleben und daran zerbrechen. Die zarte Serena und ihr Nick (Stephanie Braune und Sebastian Schlicht) raufen sich durch Missverständnisse zu Annäherungen und finden sich schließlich doch als Idealbesetzung in „Romeo und Julia“ wieder. Dazwischen rockt großartig Joe (Dennis Pfuhl) als Erotomane die Szenen und zeigt wie viel Darstellung einen überzeugenden Song ausmacht, Gesang durch Charakter trägt. Seine „Romeo“-Einlage war dann schon wieder Spaß am Slapstick und bekam die Lacher auf seine Seite. Jack und Iris (Brian Sommer undRebekka Simon) gewannen das Publikum durch den gelebten Widerspruch zwischen Straßen-Rap und Balarina-Grazie. Brian Sommer, selbst eher grazil, überzeugt durch seine kraftzehrenden Tanzeinlagen wie durch seine Dünnhäutigkeit, wenn er die Schulaufgaben nicht schafft und seine Leseschwäche verheimlicht. Zart
Exzellent und die Überraschung des Abends war Christine Zart a.G (Foto). als harte Englischlehrerin, die sich als wahrer Mensch zeigt und wahrlich überwältigende Songs über die Rampe bringt: Eine sehr reife Leistung der Film-, Theater- und TV-Darstellerin. 
Der jugendliche Gegenpol dazu ist die Rolle der Carmen Diaz. Kerstin Maus` erste Gesangsnummer in dieser Rolle rockt schon die Bühne. Sie spielt den kommende Star der Schule, schreibt mit ihrem eher akademisch „belasteten“ Freund  Schlomo (Benjamin Muth) Songs, die er auch selbst begleitet und mit bester Musicalstimme singt. Und sie verliebt sich natürlich, geht schließlich der Hollywood-Legende von einer schnellen Karriere auf den Leim und scheitert tragisch. Dazwischen agierte mit viel Verve und Appetit die Allrounderin Marie-Luis Kießling als Mabel, für die der Text wohl die meisten S-Konsonanten bereithielt, gesanglich aber ausdrucksstark und witzig bewegt über die Rampe kam. Englisch war übrigens auch die Sprache, die den Songs gut tat und die von den allermeisten Mitwirkenden gut über die Rampe gebracht wurde. plakat_fame
Gisa Kümmerling als Grace in der gewohnt skurrilen Attitüde und mit Spaß in der Band mitmischend, wie auch Dennis Pfuhl an der Bassgeige überraschte! Dann noch das Lehrerensemble: die dominierende Englischlehrerin (Christine Zart), die elegante Tanzlehrerin (Marie-Louise von Gottberg) mit französischem Akzent,Nenad Žanić als kroatisch akzentuierender Musiklehrer Mr. Sheinkopf wieder als eigenständiger Charakter! Und Udo Prucha als verständnisvoller Schauspiellehrer, der die Schüler auffordert, selbst herauszufinden, was für sie gut ist. 
Ein großes Lob gilt  allen (Laien-)Tänzern, -SchauspielerInnen und -Musikern, die ihrem Körpercharakter gemäß agierten und in vielen Proben und in der Premieren überraschend gute Leistungen zeigten. Mit ihrer Choreographie zauberte Bernadett Resch eine ständig bewegte Bühne und verrückte Jugendlichkeit in die Charaktere. 
Der Dauersound des Abends lag in den Händen der wahrlich mit Feeling ausgestatteten Band unter der Leitung von Markus Teichler und Peggy Einfeldt am Keyboard, die auch für die Einstudierung der Musiktitel zeichnete. 
Auch wenn mancher Love-Song am Ende ein wenig Kürzung vertragen hätte, die erfolgreiche Stimmbildung durch Jason-Nandor Tomory nicht jeden schrägen Ton verhindern konnte, war doch die darstellerische und gesangliche Mischung auf der Bühne eine fast wahrhafte Spiegelung solch einer Schule als Talentschmiede. Mögen Lehrer und Schüler als Publikum sich davon anstecken, um in ihren Schulen solche Kreativität zu verbreiten und dabei niemanden außen vor zu lassen...

Eveline Figura

 

EINE LAUDATIO

Noch bis zum 14.6.2015 ist die Ausstellung „EINBLICKE“ von Monika Oberberg im Erzhammer (Treppenhaus und Musikzimmer) zu sehen. Dr. Gabriele Lorenz konnte am Sonntag in einem übervoll besetzten Musikzimmer – bei wunderbarem Harfenklang und Geigenspiel - die sehenswerte Ausstellung eröffnen. Die von Eveline Schicker-Figura gesprochene Laudatio kann hier nachgelesen werden.

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AW-Foto:  Monika Oberberg, Heidlore Staub, Eveline Schicker-Figura (v.r.n.l.)
 

Laudatio von Eveline Schicker-Figura für Monika Oberbergs Ausstellung „Einblicke“- Filz-Pappe-Papier-Plastiken im Kulturzentrum „Erzhammer“ Annaberg-Buchholz anlässlich des 20jährigen Jubiläums ihrer Umsiedlung ins Erzgebirge (12.4.2015)

Liebe Erzgebirger, die Ihr Leben weitgehend hier verbrachten, liebe weit angereisten Gäste, die wegen unserer schönen Stadt und Umgebung oder sogar wegen der heutigen Vernissage hierher kamen, liebe Erzgebirger, die früher hier aufwuchsen, dann weit  weggegangen waren und die es stets zurückzieht,  für gelegentliche Kurzbesuche oder sogar wieder für immer und schließlich alle Neuerzgebirger, die erst seit Kurzem, oder  wie unsere heute ausstellende Künstlerin Monika Oberberg, nun schon fast 20 Jahre hier leben,  - liebe künstlerisch Tätige aus all diesen Kategorien!

All diese Gruppen von Menschen erlangen ständig die unterschiedlichsten Einblicke in unsere hiesige Welt und äußern sich darüber in Gesprächen, geben ihre Meinungen am runden – oder eckigen - Kneipentisch kund, publizieren manchmal in Medien, nehmen an Festen teil oder an Demos, um sich zu informieren und mitzuteilen. Vieles davon ist sehr flüchtig, provisorisch, oft spontan oder gar kontrovers. Ob4

Und so gibt es glücklicherweise unter uns welche, die ihr Verhältnis zur Umwelt in prägenden künstlerischen Formen festhalten, sich dabei von der lauten Welt in überlegtere, ruhigere Situationen bringen, die Natur und die Mitmenschen betrachten und spiegeln wollen: 
- damit etwas in Erinnerung bleibt, 
- im Bewusstsein gehalten wird,
- sich vergegenständlicht und wie heute hier auch 
-  anderen gezeigt werden kann, 
- die sich selbst dazu in Beziehung setzen
- ihre Meinung sagen
- anregen lassen, auch zum selbst Gestalten aufgerufen sind
- vielleicht ihre Heimat mit den Augen anderer kennenlernen
- hinschauen, wo sie Jahre- oder Jahrzehntelang einfach vorbei liefen.

So konnten Sie beim Eintreten in die Räume des Erzhammers, im Treppenhaus bis in den vierten Stock und hier im Musikzimmer schon erste „Einblicke“ , so der Titel der neuen Ausstellung, in die Vielfarbigkeit und Vielseitigkeit der Bilder, Kollagen und Plastiken der heute ausstellenden Monika Oberberg gewinnen.

Monika Oberberg darf sich wohl nach 20 Jahren gut gefüllten Lebens bei uns als Erzgebirgerin  bekennen. Ihr Sohn hat sich bei uns verwurzelt und ein Enkel ist entstanden. So ist man angekommen, ja eingemeindet.  Bereits von Angebinn ihres Hierseins hat Frau Oberberg gleich auch durch viele künstlerische Aktivitäten und daraus resultierende Freundschaften selbst Wurzeln geschlagen.
Geboren in Castrop-Rauxel, im sogenannten Ruhrpott, ist sie vertraut mit Menschen, die im Bergwerk arbeiteten, dort auch massenhaft ihre Arbeit verloren und gezwungen waren, in einer Großregion Strukturwandel über sich ergehen zu lassen. Gleichzeitig weiß sie aber auch alle Aktivitäten zu schätzen, die die Heimatregion nicht veröden lässt und wie Kultur Hoffnung vermitteln kann. Sie passte also gut zu uns und in unsere Bergbauregion als sie mit ihrem Mann, einem Rechtsanwalt, 1995 hierher kam. Während des Berufslebens als Chemielaborantin,  der Familiengründung und seit 1992 sogar als Altentherapeutin, war oft wenig Zeit, sich künstlerisch zu betätigen, dennoch tat sie es immer schon seit der Kindheit. Ob5
Ab 1981 begann sie sich dann verstärkt mit Aktzeichnen, Aquarellieren und Modellieren in Ton zu beschäftigen und war nicht zufrieden mit sich allein. Kunst ist ein soziales Medium, und so lernte sie in der Volkshochschule und in Kursen und Gastsemestern an der Universität Bochum  Gestaltungstechniken und auch Kunstgeschichte. Es ist eben schon wichtig, etwas über Ikonographie, das Lesen in den versteckten Zeichen der Meister zu wissen und auch anwenden zu können. Es überrascht deshalb nicht, dass sie in der alten Heimat in Herne, Bochum, Castrop-Rauxel, Dortmund, Wanne-Eickel und Recklinghausen bald ausstellte und auch schnell nach ihrem Hierherkommen in Annaberg, Scheibenberg und Jöhstadt Präsenz zeigte. Schon 1999 wurde sie Gründungsmitglied des Kunstkellers Annaberg. Weitere Ausstellungen- und Beteiligungen in der Tschechischen Republik folgten, dann auch wieder im Ruhrgebiet, auf dem Fichtelberg und in Olbernhau - und gegenwärtig auch im Atrium der Katholischen Pfarrei in Annaberg.

Der Titel ihrer heutigen Ausstellung stapelt ziemlich tief, nennt sich „Filz-Pappe-Papier-Plastiken“! - Aber warum sollten die Leute in eine Ausstellung gehen, um sich solche Materialien anzuschauen?Ob6

Für Monika Oberberg wurden die Untergünde ihrer Gemälde, die Materialien ihres Tuns zu anregenden Stoffen der Gestaltung, ihre gefilzten Bilder zu besonders eindringlichen Farberlebnissen mit „Wärmegarantie“. Der Stoff wird zum Inhalt! So z.B. bei den Arbeiten mit Wellpappe , - eigentlich eine billige Verpackung – dabei wird das Material beim Wiederaufleben in neuem Aggregatzustand plötzlich in chanchierende Erlebnisse verwandelt oder gar als charakterisierender Untergrund für den Portrait-Typus eines Peter Rehr ! 

Ja,  die Oberberg kann auch Porträt! Und wie! Sie hat sich als vorrangig realistisch bleibende Malerin beachtliche Fähigkeiten des Porträtierens erarbeitet. Neben der Ähnlichkeit entstanden überraschenden Einblicke in jeweilige Persönlichkeits-Merkmale. Viel Hintersinn steckt in den fertigen und den auch skizzenhaft verbleibenden Werken. Sicher erkennen Sie einige der Abgebildeten, meist künstlerisch Tätigen aus unserer Region wie die Maler Karl-Heinz Westenburger, Gottfried Rothe, Kulturschaffende wie  Heidelore Staub, den Leiter des Kunstkellers  Jörg Seifert und dessen Vater sowie den kürzlich pensionierten 1. Konzertmeister der Erzgebirgsphilharmonie, Peter Bechler. Letztere Bilder sind jüngsten Datums!

Besonderen Reiz haben aber unzweifelhaft Monika Oberbergs  „Einblicke“ in unsere Gebirgslandschaft, Gesteins-und Felsgebilde. Sie bekennt, dass sie erst hier im Erzgebirge richtig mit Landschaftsmalerei begonnen hat. Ihre „Einblicke“ suggerieren die in jeder wirklich künstlerischen subjektiven Widerspiegelung der Welt enthaltene Einmaligkeit der Blickrichtung des gestaltenden Individuums. Und so sehen wir unser Butterfässer (Wer von uns hat sie so genau eigentlich schon angesehen?) wie sie Porträts werden, sich die Steine gegenseitig anschauen, uns ansehen und zurück „guggen“ (mit drei G)! 
Das subjektiv gestaltete Objekt bekommt selbst ein „Ich“, wird Subjekt, und das mit viel Humor! Die Malerin hat sich die Felsformationen mit dem Fotoapparat heran gezogen und quasi studiert.
Probieren Sie es beim nächsten Spaziergang am Pöhlberg-Rundgang mal mit ihren Kindern aus, Gesichter, Figuren darin zu erkennen. Phantasie ist nicht an ein Alter gebunden. Und unser großer Unvollendeter, Carlfriedrich Claus, hat diese Butterfässer sogar angeschrien und die Echos zeichnerisch verarbeitet. Auch eine Gesprächsform!Ob7

Für mich, - und jeder Besucher der Ausstellung darf und sollte das für sich tun!, - gibt es aber hier auch Favoriten. Da sind die vielen Gestalten, die unter Monika Oberbergs Pinsel und Spachtel meist in Pastell oder Acryl, aus unserer Landschaft hervortreten: Blicke auf die Waldhufendörfer durch die Jahreszeiten vom Pöhlberg aus. Ein Busch im Frost wird da zum wahrhaftigen Feuerwerk!

Oder ihre Ostsee-Bilder! Ahrenshoop, - einmal als Binnenseite mit  kraftstrotzenden Feldern und Ortskern, und dann, im Platt: „butten“ genannt, die Strandlandschaft in aufatmender Luftigkeit, wundervoll frei und Möwen als dominierende Strandhocker!

Unsere Malerin wird, wie jeder kreativ Tätige auch, stets eine Lernende bleiben, einmal von der Natur lernen, dann vom Material, manchmal von Kollegen. 
Dabei entstand schönes Unfertiges neben wahrlich Vollendetem. Überraschendes steht neben auch Konventionellem. Das ist dann aber für Ausstellungsbesucher wie ein Wiedererkennen. 

Manchmal wurde Aktmalerei auch zur Skulptur und steht hier nebeneinander. Verständliche Formgebung, die man nachempfinden darf; „schön“ empfindet, weil „Schön-Sein“ auch oft Einfaches enthält. 

Das heißt jedoch nicht, dass jeder Gegenstand schnell in einen Rahmen gepresst oder jeder Kringel auf Papier schon Kunst darstellt! Zu einer solchen wird es erst dann, wenn das Besondere auch überraschend widergespiegelt wird, eine gewisse Wertevermittlung stattfindet, - oder zumindest zum Nachdenken anregt...
Es lohnt sich aber auch hier, die sogenannten kleinen Sujet zu würdigen:
Die Leichtigkeit der Tänzer in Filz, eigentlich ein schweres Material.
Oder ihre verrückten, Federn sprühende Hähne, kommunizierenden Masken in bemalter Wellpappe sowie ihre kräftigen weiblichen Kleinskulpturen.

In Monika Oberbergs Werken steckt viel Kreativität und Temperament. Sie spart weder mit Anmut noch Mühe... 

Ich wünsche Ihnen nun aufschlussreiche Einblicke in das reiche Schaffen von Monika Oberberg und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Eveline Schicker-Figura 


Annaberg-Buchholz, 12. April 2015

 

Dollys Heiratsvermittlung nun auch in Annaberg

Der einstige Broadway-Knaller „Hello, Dolly!“ hatte am Eduard-von-Winterstein-Theater erfolgreiche Premiere. Mitreißende Musik und spritzige Tanznummern sowie der Charme der fünfziger Jahre ließen das etwas gealterte Musical neu aufleben.

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Am Sonntag, dem 12. April 2015, ging die letzte musikalische Premiere dieser Spielzeit im Stammhaus des Eduard-von-Winterstein-Theaters über die Bretter. Die musikalische Komödie, die auf englische Vorlagen und auf die provozierend schrägen Wiener Vorstadt-Komödien eines Nestroy, hier  „Einen Jux will er sich machen“, basiert, sowie die phantastisch arrangierte Musik von Jerry Hermann, hat immer noch genügend Potential, das Publikum mitzureißen. 
Die etwas älteren Semester können sich noch an die amerikanische Verfilmung in Idealbesetzung mit Barbara Streisand  und Walter Matthau erinnern, andere wissen um die legendäre „Dolly“ am Berliner Metropol-Theater aus den Siebzigern mit der bisher unübertroffenen Gisela May in der Hauptrolle. Nichtsdestotrotz gilt: Hier ist hier und heute ist live! 
Der neue Ausstattungsleiter Peter Gross gab den Rahmen mit einer großen, zweckmäßig bestückten Bühne, in malerischen Silhouetten von New York und den unvermeidlichen Ami-Fähnchen. In der Mitte ein multipel bespielbares Podest mit Schubfächern und Treppe, die allerdings für die Präsentation einer Dolly im Harmonie-Garden als Show-Treppe ein wenig zu kurz geraten war.

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In der Regie von Urs Alexander Schleiff, der bei uns schon einiges auf die Bretter zaubert, wie u.a. „Das Wirtshaus im Spessart“, ist ein kompakt durchinszenierter Guss entstanden, nicht ganz frei von Klischees und Simplizitäten. Der „Staub“ auf dem Dolly-Stoff ist auch nicht so leicht weg zu spielen, sitzt er doch im Inhalt: Der ältliche reiche, geizige Witwer Horaz Vandergelder schikaniert seine Umwelt und wird von der jugendlich agilen Heiratsvermittlerin mit unzähligen weiteren Berufsbildern Dolly Meyer an unmögliche Heiratskandidatinnen vermittelt, damit sie ihn schließlich am Ende endlich selbst bekommt. Weibliche Raffinesse macht´s möglich: Die mehr als Rock- und Soul-Sängerin bekannte Elisabeth Marksteinspielte die Dolly schlank, schlagfertig und sängerisch auf Musical eingestellt als charmante Frau, die weiß, was sie will. Vielleicht fehlte manchmal ein wenig weibliche Anschmiegsamkeit - auch in der Gesangsstimme - und Reife in der Ausstrahlung. Ihr Gegenpart, László Varga, als verbiesterter Hagestolz und Ausbeuter bedient alle Klischees dieser Rolle bis fast zum versöhnlichen Ende, und bis in Maske und Kostüm (Brigitte Golbs) hinein mit unendlichen Koteletten und langweiligem Anzug, damit ja auch der letzte Uneingeweihte merkt, wessen Geistes Kind dieser Mann ist. Mit nur zwei, allerdings wirkungsvoll maskulin gesungenen Titeln und viel Text sowie etwas Selbstironie boxt sich Varga durch die Rolle. 
So richtig weiß man dann allerdings doch nicht, warum die Dolly so scharf auf das Ekel ist. Wird es wohl schließlich doch am Gelde liegen?! Hello_Dolly_HP2-296
Bezaubernde Spielstudien liefern die zwei bis drei Buffo-Paare: Die verwitwete (im prüden Amerika scheint es keine Geschiedenen, sondern nur solche Frauen mit totem Mann zugeben!) Hutmacherin Molloy der Therese Fauser und der Cornelius Hackl, Komis beim Vandergelder, des Jason-Nandor Tomory war das perfekte Duo des Abends, beide sangen wunderbar, spielten und tanzten mit Lust und Esprit und schauspielerischer Vielfalt. Assistiert wurden sie von  Minnie Fay, der hübsch plappernden Kerstin Maus und des 2. Komis Barnaby Tucker, des Österreichers Marcel-Philip Kraml, mit gekonnt tänzerischen, manchmal artistischen Einlagen.Samuel Schaarschmidt als Kemper versucht die ständig plärrende Nichte Vandergelders, Ermengard (Christiane Schlott) bei ihrem Ausbruch ins Erwachsenwerden zu beruhigen. Auch wenn solche Heul-Ausbrüche im Textbuch stehen, sollte man sie heute ein wenig anders zicken lassen. 
Zu den exaltierten Hochzeiterinnen der Dolly gehörte die Ernestina der Bettina Corthy-Hildebrandt, mit der Vandergelder wahrlich nicht die reine Freude hatte. Am schönsten ausstaffiert u.a. mit einem waren Hutwunder spielte und trällerte sie komödiantisch, ein schönes Bein zeigend, über die Bretter. Juliane Roscher-Zücker gab die Gerichtssekretärin in verhaunem sächsischem Erzgebirgisch, und Leander de Marel hatte mal wieder alle Lacher auf seiner Seite – sowohl als Richter und zum anderen als Oberkellner Rudolf, der die Schar der die Dolly anhimmelnden Kellner anführt. Das Publikum hat von der mit ihm besetzten Rollen zwar noch mehr Witze und Bonmots erwartet, was das Textbuch nicht hergab, aber er war genau wieder mit dem passenden Ton im Louis- Armstrong-Sound zur Stelle: Extra-Applaus!  
Aber was wäre die „Dolly“ ohne die Musik aus dem Graben, die man zu gerne live auf der Bühne erlebt hätte. 
Der 1. Kapellmeister der Erzgebirgischen Philharmonie AueDieter Klug, hat mit den seinen Musikern großartig gezaubert: Die Märsche mit Swing gewürzt, die akzentuierten Ragtimes, die Bläser mit Spaß am Schrägen, genau solistisch brillanter Klang und das Schlagzeug als Feuerwerk des Abends. Der Star des Abends war dieses Orchester unter diesem Dirigenten. Mehrfaches Bravo! 
Und so konnte die gut gezirkelten, Schweiß treibenden, ja artistisch gewürzten Choreographien von Kirsten Hocke und der Assistenz von Susi Žanić vergessen lassen, dass es sich meist nicht um Berufstänzer handelte. Der Chor (mit Extrachor und Coruso e.V.) unter der versierten Leitung von Uwe Hanke hatten den überaus aktiven Backround, die skurrilen Typen auf Straße und im Harmonie-Garden zu liefern, taten das mit Wohlklang und Spielfreude. So entstand ein farbige reanimierte Dolly-Version, die sich sehen lassen kann. 
Das immer noch attraktive Genre des literarisch geprägten klassischen Musicals bietet reichliche und niveauvolle Kurzweil für alle Altersklassen. Ein toller Erfolg und Kassenfüller noch dazu zum Spielzeitende.

E. Figura
Fotos: Theater/Dirk Rückschloß

Nächste Vorstellungen: 17./29.4., 19.30 Uhr

 

Ein Tag Frieden als Lösegeld

Erfolgreiche Premiere von „Der Tag, an dem der Papst gekidnappt wurde“ am Annaberger Theater. Eine Komödie aus den 70er Jahren, die fast noch aktueller ist als seinerzeit, weil die Welt sich nicht ändern will.

Der 1924 in Budapest geborene Autor, Bühnen-, Film- und Fernsehregisseur, João Estevão Weiner Bethencourt, wanderte zehnjährig mit seinen Eltern nach Brasilien aus. Das Stück von 1972 „Der Tag, an dem der Papst gekidnappt wurde“ war sein erfolgreichstes, mutmaßlich auch deshalb, weil er sich in Denk- und Verhaltensweisen, Ausdruck und Humorspezies der jüdischer Auswanderer auskannte.  Die Premiere am Eduard von Winterstein-Theater am 26.4.2015 fand unter großer Zustimmung des Publikums statt.

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Die Geschichte ist kurios wie einfach: Der Taxifahrer Samuel Leibowitz (passgenau gespielt von Udo Prucha - und mit bester Sprechkultur) bekommt in New York den leibhaftigen Papst in sein Auto und entschließt sich spontan, diesen zu entführen und vorerst in seiner geräumigen Speisekammer zu deponieren. Der sieht nicht nur aus wie der gegenwärtige Franziskus (Gerd Schlott, der hier den sprachlich sonoren Stellvertreter spielt, nachdem er im „Faust“ einst Gott selbst geben durfte!), sondern verhält sich auch so leutselig und genügsam, spielt sogar mit, als Leibowitz die Weltgemeinschaft dazu auffordert, im Gegenzug zur Wiederfreilassung des Pontifex Maximus einen einzigen Tag vollkommenen Frieden zu halten, ohne Schießen und Töten auf unserer Welt. Die UNO stimmt zu und alle halten sich daran.
Die Regisseurin Christine Zart hat in der bescheidenen Wohnung der Familie Leibowitz (Ausstattung Peter Gross) die sympatische Familie in die jeweilige Gemütszustände der Situation gemäß platziert. Leider werden grundsätzliche Theatergesetze dann verletzt, wenn man Schauspieler so auf der Bühne arrangiert, dass sie nach hinten sprechen, bzw. dem Publikum den Rücken zudrehen müssen und dabei mitunter schlecht verständlich über die Rampe kommen. 
Mutter Sara (Marie-Louise von Gottberg), ist die zunächst verzagte, sich dreinschickende Ehefrau, die sich durch gutes Kochen beruhigt und den Papst mit  Kartoffelschälen beschäftigt. Sie kommt mit gewohnter Leichtigkeit von Panikausbrüchen zu gewohnter Bodenständigkeit, sinniert über Folgen und vertraut ihrem Samuel schließlich voll, die Sache im Griff zu behalten. Das tut sie glaubhaft, aber mitunter zu leise.

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Die Kinder sind wohlerzogene Kameraden. Tochter Miriam (Stephanie Braune) gibt den hilfsbereiten Teenager, hängt an den Infostrippen. Der Sohn Irving (Dennis Pfuhl - sprachlich wohltemperiert) hat wieder die Skala von folgsam bis exzentrisch in feinen Nuancen zu bieten und freut sich diebisch über die Idee, den Rabbi Meyer (Urs Alexander Schleiff), mit einlaufenden Anzug unter die Dusche zu stellen. Das ist Strafe für ihn, der sich zwar harmlos zum Schachspielen mit den Papst an den Tisch setzt, aber sonst seine Sache für sich ausbrüten will: Er verrät der Öffentlichkeit, wo sich der Papst befindet. Zum Judas erklärt, windet er sich in amüsanter Charakterstudie aus der Affäre. Schade, dass nicht noch ein Muselmane in die Geschichte hinein geschrieben werden konnte! Vielleicht eine neue Ring-Parabel...?
Als Gegenspieler zwischen Repressionsgewalt, der Familie Leibowitz und dem menschlich überzeugenden Papst (eine Hommage an Papst Johannes XXIII. und dessen bis heute unvollendetes 2. Vatikanisches Konzil) tritt Kardinal O´Harra (Marvin Thiede) auf. Ein Mann der unversöhnlichen Kurie, die weder die Motive seines Vorgesetzten, noch die des  Entführers versteht wird. Er ist das Prinzip, was stets verneint, dazu trocken und ohne Entwicklungsaussicht. Dagegen Samuels Einsatz für die Menschlichkeit. Prucha lässt es krachen, mit Herz und Bomben für den Frieden.
Die Geschichte hat fast ein Happy End, keiner wird bestraft. Doch nach einem Tag in erkämpftem Frieden ist trotz freundlichem Papst die Welt wie vorher oder noch schlimmer. Dramaturgie (Silvia Giese) und Regie lassen Radiomeldungen (mit den markanten und eleganten Sprechstimmen von Jörg Simmat, Brian Sommer und Sebastian Schlicht als Sheriff) aus unseren Tagen ertönen mit Kriegen, Flüchtlingstod und Katastrophen. Aber sind wir bereit etwas dagegen zu tun wie Leibowitz, oder schon zu sehr gewöhnt, dass es immer die anderen trifft?! 
Ein stimmiger, kurzweiliger und sehenswerter Zweistunden-Abend mit viel Humor und tiefen Einsichten - zum arbeitsreichen Spielzeitende.

Eveline Figura
Fotos: Dirk Rückschloß, BUR

Nächste Premiere: SCHWARZENBERG (nach Motiven des gleichnamigen Romans von Stefan Heym, 
von Annelen Hasselwander und Tamara Korber (Regie) in Schwarzenberg 
am 9. Mai 2015 um 19.30 Uhr im Ringlokschuppen des Eisenbahnmuseums Schwarzenberg
Shuttle-Verkehr vom Parkplatz Bahnhof Schwarzenberg zum Eisenbahnmuseum 
ist ab 18 Uhr hin - und nach der Vorstellung zurück - eingerichtet. Eintritt 10 Euro, bzw. 8 Euro.

Vorverkauf wird empfohlen: 03733-1407-131 (Service Annaberg)
03774-225-40 (Service Schwarzenberg)

 

Vor der Haustür - hinter der Haustür

Landschaften und Stilleben von Christian Domke aus Hermsdorf füllen die Galerie im Ratsherren Café in Annaberg-Buchholz mit satten Farben und heimatlicher Stimmung.

Christian Domke
 fand erst 1989 zur Malerei, obwohl er schon früher gerne malte. Ein fast als Erweckungserlebnis geschilderter Besuch in Worpswede (Niedersachsen) war wohl der Beginn seiner Hinwendung zur Malerei. In jener Künstlerkolonie also, die seit 1889 die deutsche Malerei wieder an die Wurzeln der Landschaft und zum einfachen Leben zurück führte sowie die Epoche des Jugendstils führend mitprägte. Große Namen sind mit ihr verbunden: Heinrich Vogeler, Otto Modersohn, die Anfänge von Paula Modersohn-Becker, Overbeck u.a., und schließlich der große Lyriker Rilke, der, wie eine Offenbarung, Inspirationen, aber auch menschliche Enttäuschungen brachte.

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Kein Wunder also, dass ein junger Suchender für sich Formensprache und Anregungen von dort aufnahm. 
Bei Christian Domke sind diese Einflüsse in seinen Ölgemälden bis heute ablesbar. Manches davon wird wie eine Verbeugung an Worpswede sichtbar. Und doch ist seine Sichtweise auf die heimatliche Umgebung im Osterzgebirge die zweite Inspirationsquelle. Vor seiner „Haustür“ - und dahinter - befinden sich weite Ackerflächen mit großen Pflugspuren und Waldrändern in Nachmittagsfarben, Dorfstraßen mit den Profilen kleiner Häuser und dominierenden Kirchen, Himmel, die spiegelnde Pfützen nach einem Gewitter zeigen. Es ist die mächtige Schönheit des Einfachen, das Große im Kleinen, den meist unsichtbaren Menschen er in seiner von ihm geschaffenen räumlichen und in Stilleben auch gegenständlichen Behagen schildert. Manche Landschaft wirkt dunkel, aber immer in warmen Mischungen von Ruhe in der Vesperzeit. Domke hat sich einer Lebens-Zufriedenheit mit Hilfe der Kunst genähert. 2015-05-13 17.07.18 (Andere)
Geboren 1966 in Karl-Marx-Stadt, Lehre und Arbeit als Rinderzüchter, studierte er Kirchenmusik, die heute einen Teil seines Lebens bestimmt. Nach seiner energischen Hinwendung zur Malerei, die er durch Gasthörerschaft an der Hochschule für bildende Künste Dresden fundierte, wurde er Mitglied im Neuen Sächsischen und Freiberger Kunstverein. Daraus ergab sich Kommunikation und Ausstellungen, u.a. in Freiberg, Dippoldiswalde bis Oberwiesenthal sowie Beteiligungen an Schauen bis nach Delft. Nun in der Annaberger Ratsherren-Galerie unter dem Titel „Vor der Haustür – hinter der Haustür“: Hier wurde er nach der Vorstellung durch Galerie-Initiatorin Bärbel Rothe am 13. Mai 2015 von Besuchern nach seinen Malweisen gefragt. Unter anderem, ob er in der Natur oder nach Skizzen aus der Natur arbeite. „Natürlich beides“, war seine Antwort. Und die von ihm gar nicht dunkel empfundene Farbgebung entstehe eben aus seiner Intuition und auch daraus, dass beim Malen oft die Dämmerung mitarbeite. 

                                                                                         
Christian Domke (r.) und Gottfried Rothe bei der Ausstellungseröffnung.

Die Menschen „sollen bei meinen Bildern Sehnsucht bekommen“, meint der Maler. Sehnsucht auf die Weite der Welt, um in sie hineinzugehen, sie sich bewusst zu machen. 
Das gelingt Christian Domke in vielen Bildern in einer Mischung aus überkommenen und inzwischen eigenen Stilmitteln sowie mit überraschender Sicherheit im Einsatz von Lichtmomenten in unseren sich wunderbar durch die Jahreszeiten entwickelnden Flächen und Gebirgsfarben.

Eveline Figura

Die Ausstellung in der Galerie im Ratsherren-Café 
Annaberg-Bucholz (Markt) ist bis Ende Juni 2015 zu sehen.

Kontakt:
 Christian Domke, Hauptstraße 41, 01776 Hermsdorf

Literaturempfehlung zur Künstlerkolonie Worpswede:
Klaus Modick: „Konzert ohne Dichter“, Verlag Kiepenheuer und Witsch, 2015

 

Humorgebremste Komödie

Die Spielzeit 2015/16 begann mit einem in die Jahre gekommenen Boulevardstück. „Room Service“ hatte mit unnötigen Längen, manch versemmelten Gags und gewohnter Spielfreude des Ensembles seine Premiere.

Wer wissen will, wie 1937 am Broadway Theater organisiert wurde, mit welch existentiellen Problemen Schauspieler, Tänzer und Regisseure zu tun hatten, sollte sich das Stück von John Murray und Allen Boretz ansehen. Es ist eins aus den gefühlten 150 Stück seiner Art, die hinter der Bühne, den Kulissen und auf dem Boden der Tatsachen spielen, mit denen hiesige Theater durchaus auch - aber letzten Endes doch nicht - zu kämpfen haben. Sind diese doch staatlich teilsubventioniert. Und doch drohen Rostock, dem Musiktheater in Weimar oder in Zwickau/Plauen immer wieder Spartenschließungen und damit Kulturverluste für die Regionen sowie den Sängern und Darstellern Existenzängste.

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Das Thema im Stück „Room-Service“ ist jedoch als Slapstick-Boulevard-Komödie ausgewiesen. Dieser Drei-Genre-Clou ist vermutlich ein Trick der Stückeschreiber, die Kritiker schon im Vorfeld der Aufführung zu verwirren, um jede kritische Bemerkung von vornherein entkräften zu können: „Slapstick“ bedeutet soviel wie übertriebene Albernheit, also theatralische Überhöhung der Realität. „Boulevard“ steht für entspannte Unterhaltung, und „Komödie“ schließlich für die große Kunst der Darstellung des Menschen als unheldische Figur. All das kann man auf der Bühne des Eduard von Winterstein-Theaters in seiner neuesten Inszenierung von Christine Zart finden - und auch wieder nicht. Im Bühnenbild vonRobert Schrag dominiert eine Hotel-Suite mit vielen klappenden Türen und einem vorgestellten Hotelflur. Dort spielen die Darsteller am Anfang und dann zwischen den Akten originell arrangierte pantomimische Blitz-Choreographien der kommenden Handlung, die das Publikum auf die Szenen neugierig machen sollen. Dabei hätte man es auch bewenden lassen können, denn die folgenden Spielhandlungen walzten - zumindest den ersten Teil der Handlung - so respektvoll am pointenarmen Text in die Länge, dass die Schauspieler gezwungen waren, durch eben jene Slapsticks Lacher zu provozieren, was dann in den ersten 90 Minuten bis zur Pause auch gerade zweimal gelang. Room_Service_HP2-099 (Andere)
Benjamin Muth gab den stets optimistisch bleibenden Produzenten eines Erfolg versprechenden Theaterstücks, der Geldgeber sucht und seine Truppe probend in einem Hotel einquartiert hat. Auf der Bühne ist vom Stück selbst nur die Rede. Zu sehen sind aber die lautstarken, nervenaufreibenden Kämpfe mit der Hoteldirektion. Hin- und hergerissen zwischen menschlicher Hilfe und Geldeintreiben spielt Udo Prucha den verzweifelnden Hoteldirektor überzeugend, getrieben von seinem brutalen, die Schauspieler aus den Zimmern befördernden Vorgesetzten (Marvin Thiede), der zwischen Extemporés, Berechnung und verzweifelndem Mut schließlich auf der Seite der Theaterleuten ankommt, - sehr wandlungsfähig! 
Nach der Pause gerät das Stück dann mit dem Erscheinen des Senators Blake (Gerd Schlott, der gleich drei Rollen verkörpert) etwas in Fahrt. Schlott überzeugte als Oberkellner, in dem ein russischer Exilant und ehemaliges Mitglied des Moskauer Künstlertheaters steckt, und der natürlich in dem beabsichtigen Stück mitspielen will. Room_Service_HP2-135 (Andere)
Nenad Žanić brilliert gleich in vier Rollen, eine schrulliger als die andere. Herrlich sein immer wiederkehrender Incassovertreter, Hotelarzt oder Bankbote. Er ist eigentlich das stetig retardierende Element, stört die Freude am endlichen Sponsor-Scheck oder Champagnerumtrunk. Seine schrägen Texte sind trotz exzentrischer Körperverrenkungen klar verständlich und deshalb auch endlich Lacher produzierend. Die Künstlertruppe selbst entfremdet sich ständig durch überbordende Requisitenvielfalt und aktivistischen Bewegungsdrang. Der Regisseur Binion des Dennis Pfuhl mit Haardolle, Kniggeboggern und gefährdetem Miniquartier gefällt sich in skurriler Verzweiflung und tänzerische Attitüden, die den Text leider an mancher Stelle verschlucken. 
Der junge Autor des Stücks, gespielt von Sebastian Schlicht, war mit seiner Knabenfigur in der „Hungerszene“ mit Pfuhl und Muth überzeugend, während seine Mutter-Nummer, die Simulanten-Variationen und Kleiderwechsel gar zu ausgewalzt, die Längen vor der Pause produzierten, uneingedenk der alten Theaterregel: Die dritte Wiederholung eines Gags ist der Tod jeder Pointe! 
Drei Damen hatte der Abend auch: Die grazile, aber doch durchsetzungsfähige Hotel-Sekretärin der Stephanie Braune mit Happy Ende zu ihrem Autor, dann die selbstbewusste Mimin und Produzenten-Freundin Christin Marlow der Gisa Kümmerling, zupackend und dominant-sympatisch. Und schließlich in Marlene-Manie die Rolle der Marie-Louise von Gottberg. Wie so mancher der Texte des Werkes, war deren Rolle für den Gang der Handlung durchaus verzichtbar, ihr Spiel der kleinen Gesten und sonoren Kommentare allerdings nicht.
Das Stück ist leichte Unterhaltung mit selbstgemachten Humor-Bremsen. Ein wenig mehr Swinguntermalung könnte die Roofgardenstimmung der Zeit vielleicht noch hervorkitzeln. Aber vermutlich ist das Stück auch nur deshalb inszeniert worden, um dem hiesigen Ensemble zu vermitteln, wie komfortabel dessen Einkommenssituation und Existenz hier und heute im Vergleich zu amerikanischen Verhältnissen - damals wie heute - beschaffen ist. Deshalb sei auch den Kollegen des Sängerensembles, des Chores und den Orchestermusikern sowie den anderen Gewerken dringend der Besuch dieser tragischen Komödie an Herz gelegt, um bei kommenden Tarifverhandlungen Selbstdisziplin üben zu können...

Eveline Figura

Nächste Vorstellungen: 7./16./24. und 31.10., jeweils 19.30 Uhr

Fotos: Theater Annaberg/BUR/Rückschloß


 

Musikfest Erzgebirge
Mit Haydn durchs ganze Jahr

Die St. Georgen-Kirche in Schwarzenberg war der musikalisch geprägte Raum für die Aufführung von Haydns „Die Jahrezeiten“ mit hervorragenden Sängern, dem RIAS Kammerchor und der Staatskapelle Dresden unter der Leitung von Hans-Christoph Rademann

Abschlusskonzert Rademann Sa_chsische Staatskapelle RIAS Kammerchor St. Georgenkirche Schwarzenberg - Foto (c) Mathias Marx
Würdiger konnte man sich das strahlende Abschlusskonzert des Musikfestes Erzgebirge am Sonntagabend, dem 21. September 2014 kaum vorstellen: St. Georgen ist eine der großen phantastisch gelegenen Bergkirchen des Erzgebirges, die als Kulturraum für dieses Musikfest die im Volk tief verankerte Arbeitswelt der Bergleute mit religiös geprägter Sinngebung und reicher Musiktradition verbindet. Die prachtvolle Renaissance-Ausstattung der Kirche hat viele spielerischen Stuck- und Figurenelement, die den Glauben für die normalen Menschen versteh- und fühlbar macht. 
Joseph Haydns Oratorium „Die Jahreszeiten“, ist, mit dem kongenial Text des großen Mozartförderers Gottfried van Swieten, das wohl volkstümlichste Werk der Wiener Klassik. Es ist das Meisterwerk der Klänge, das die menschliche Arbeit durch die Jahreszeiten begleitet, die Schönheit der Natur und das Geschaffene würdigt, aber auch die Unbill, Ängste und Schrecken thematisiert, denen der Mensch bis heute ausgesetzt bleibt. Dass dort viele Gedanken der Aufklärung, so die Würdigung der Natur - auch der im Menschen - einflossen, gleichzeitig das Werk aber auch ein Hymnus auf „den Schöpfer aller Welten“ und die Hoffnung auf ein Glück im Jenseits verheißt, passt zur Zeit wie auch zum Bedürfnis nach Trost und Schutz. Haydns Oratorium liegt der Zauber der Märchen inne: Schönheit, Frohsinn, Liebe, genauso die aber auch harte Realität in Gestalt tobender Unwetter, unerbittlicher Winter oder die Gefährdungen junger Mädchen durch reiche Feudalherren. Das alles in bildhafter Sprache und einfühlsamen Tonbildern.
Dirigent des Abends war der Intendant des Musikfestes Erzgebirge, Prof. Hans-Christoph Rademann, ein ausgewiesener Kenner historischer Aufführungspraxis. Er ist Leiter des Dresdener Kammerchores, seit 2007 auch des RIAS Kammerchores und seit kurzem Nachfolger von Prof. Helmut Rilling an der Spitze der Stuttgarter Bachakademie. Seine Wurzeln, auch die musikalischen, liegen hier in Schwarzenberg, wo sein Vater bis heute der geachtete Alt-Kantor in St. Gorgen ist und sein Bruder als namhafter Holzbildhauer wirkt. 20140921_225443
Das Orchester des Abends, die Sächsische Staatskapelle Dresden, wirkt seit 1548 unter den führenden Komponisten unseres Landes und ist als Opernorchester der Semperoper Dresden wie kein anderer Klangkörper ausgewiesen, diese dramatische Musik zu interpretieren. Das tat sie dann auch unter dem fachkundigen, sensiblen und zupackenden Händen des Dirigenten in bewegender Weise. Rademann lässt freie Hand dort, wo Spitzenmusiker ohnedies wissen, wie was zu spielen ist. Er fordert da, wo es auf Kontraste, Differenzierung ankommt oder wo Forcierung gestaltbar bleiben muss. Er ist ein Dirigent, der ganz der Sache dient, die Sänger feinfühlig führt und im Gesamtklang des Werkes hörbar bleiben lässt. Auch bei Virtuosen gelingt der Hörnerklang nicht immer ganz sauber, was hier aber eher den Klang von Natürlichkeit verstärkte. Bei den Jagdszenen und Fortissimo-Stellen der Naturgewalten gelang phantastisch Präsenz. Bei Haydn lebt die Natur mit fast naturalistischen Stimmen aus dem Orchester, was durch die Staatskapelle Dresden mit künstlerischer Akribie gestaltet wurde.
Der Star des Abends war der RIAS Kammerchor, der einer jener Klangkörper ist, der früh an historischen Klängen feilte. So hörte das begeisterte Publikum in reifer Weise sowohl die vielen lyrischen Situationen, Leichtigkeit der Frauenchöre, wirklich Mädchenhaftes. Vielfältige Kontraste bis zu beeindruckender Stimmdynamik boten alle Gruppen. Der Sopran klang wunderbar leicht auch im Kraftvollen, der Alt als weibliches Zentrum stand gleichberechtigt neben den hohen Stimmen. Die Kraft der Männerstimmen waren ausdifferenziert und genussvoll insbesondere in den Fugen zu vernehmen. (Einstudierung: Ralf Otto)
Die Solisten des Abends waren die Sopranistin Christina Landshamer (Hanne), der Tenor Werner Güra (Lukas) und Bassbariton Daniel Schmutzhard (Simon), alle national und international mit renommierten Dirigenten und Klangkörpern unterwegs und großartig im Zusammenklang. Christina Landshamer moduliert ihren lyrischen Sopran bis in jede Kadenz mit achtsamer Feinfühlichkeit und zarter, sicherer Höhe, sozusagen als Idealbesetzung für die Hanne. Werner Güra sang den Jüngling Lukas mit kräftiger, unforcierter hoher Lage, schöner Tiefe und routinierter Artikulation. Daniel Schmutzhard ist ein Bassbariton mit kräftiger, metallischer Höhe, der in den Pianopassagen manchmal etwas verflacht klang, aber dann wieder mit angenehmer Tiefe überzeugte.
Es war ein Abend anhaltender Hochstimmung, der an Konzentration von Mitwirkenden und Publikum bis in die letzte Emporennische nichts zu wünschen übrig ließ. Überhaupt waren die Veranstaltungen des Musikfestes, ob mit großen Ensembles oder die eher kammermusikalischen intimen Programme mit Sorgfalt und Sinn für das Ungewöhnliche, ja Seltene ausgewählt und mit ausnahmslos hervorragenden Virtuosen dargeboten worden.
Die Orte taten ihr Übriges zu nachhaltigen Konzerterlebnissen für Einheimische und die zahlreichen ausländischen Gäste.
Ein Kompliment gehört den achtsamen Textgestaltern des großen informativen Programmheftes.
Am Abend der „Jahreszeiten“ insbesondere dem frech-gescheiten fiktiven Streitgespräch zwischen Haydn und van Swieten (Text: Roman Hinke)
Angenehmen Eindruck hinterließ auch die rührige Pausenumsorgung bei allen Veranstaltungen mit Festbier, kleinen und frischen Speisen zu sehr menschlichen Preisen .
Das Festival hatte in seinen 13 ausverkauften Veranstaltungen an zwölf Spielorten über 7.500 Besucher zu Gast. Damit ist das Musikfest Erzgebirge beim Publikum angenommen und das Erzgebirge damit alle zwei Jahre aufgenommen in den Kreis der beachtenswerten deutschen und internationalen Musikfestival-Adressen.
Das nächste Musikfest Erzgebirge wird dann vom 9. bis 18. September im Jahre 2016 stattfinden.

Eveline Figura

Fotos: Festivalbüro (1), AW (1)






 

 

Musikfest Erzgebirge
Mehr als das Wort berührt die Musik

Der über 500 jährige Knabenchor des Choir of the King`s Choir Cambridge brachte in seinem Programm englische und deutsche Kompositionen sowie deren historische Berühungspunkte in der Marienberger Kirche zum Klingen

Im mächtigen Korpus der später im Barock ausgestalteten Marienkirche in unserer Bergstadt Marienberg, erklangen mit dem seltenen Gastspiel des Knabenchores des King`s Chores of Cambridge - im Rahmen des Musikfestes Erzgebirge - Werke aus der Gründungszeit und der Blüte unserer Renaissance-Städte. Die Kunst in dieser Hochkultur war hier wie dort nicht schlechthin Ornament am Bau oder Spielwerk von Farben und Tönen, sondern eng verwoben mit der Sinngebung der Bauten, direkter Transport der Glaubensinhalte an die Hörer oder Betrachter, Vertiefung der Wirkungen des Wortes und Verinnerlichung bei den Rezipienten.
Im ersten Teil des Konzerts unter der Leitung von Stephen Cleobury erklangen Werke von William Byrd (ca.1543-1623), Henry Purcell (1669-1695), Thomas Tallis (1505-1585), aus der romantischen, spätromantischen Epoche solche von Sir Charles H. Hastings (1848-1918) und Charles V. Stanford (1852-1924) und Herbert Howell (1892-1983) bis zu Benjamin Britten (1913-1976). Währen die frühen Werke in ihrer konsequenten Kontrapunktion noch Strenge und Unterordnung anzeigten, die späteren dann die bewusste Verbindung dieser Tradition mit dem freieren Spiel oder auch Rückkehr und Versenkung - wie in Brittens „Hymn to St. Cecilia“ - mit Kraft durch die Dynamik der Stimmgestaltung. In der Spezifik der britischen choristischen Sangeskultur, die sowohl disziplinierte Werkarbeit, dem Zurücknehmen-Können mit stimmlichen Aufblühen der hohen Knabenstimmen sowie dem Einsatz von Männerstimmen in der Kopfstimme (Altus) verbindet, bricht sich klanglich Individualität Bahn. Man darf Virtuoses hören! 
So gelingt bereits in dieser alten Musik jener aufblühende Klang des Herzens im Glaubensinhalt, der die Renaissancestimmung widerspiegelt. Dennoch war Wirkung einzelner Werke beim Publikum eher meditativer Natur, weil so selten wahrgenommen, ja ungewohnt. Sind doch unser noch älteren Knabenchöre, wie Thomaner und Kruzianer, eher noch im homogeneren Klang der Stimmgruppen tradiert. Gerade aber in der Wahrnehmung des Unterschied der Klangkörper lag der Zauber des Abends.
Im zweiten Teil kam Bekanntes zum  Glänzen. Nicht nur gehört Heinrich Schütz´ (1585-1672) „Also hat Gott die Welt geliebt“ zu den populärsten a capella-Werken sächsischer Kirchenmusik und Thomaskantor Johann Hermann Schein (1586-1630) zu den geachteten Vorgängern Bachs. Mit dem brillanten Orgelwerk des grandiosen „Unvollendeten“ Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1947) hat der Chor in seinem Programm nicht nur bewusst auf den Wiederentdecker dieser Linien in der Zeit der Romantik verwiesen, sondern auch auf einen Komponisten, der in England hoch verehrt wird, da u.a. sein Oratorium „Elias“dort uraufführte wurde. Gleichzeitig ist Mendelssohn Bartholdy dort bewundert und geliebt worden, als er im Deutsche Reich als „entartet“ geschmäht und totgeschwiegen wurde. 
Ohne Zweifel standen die Interpretationen aus der „Cantus Missae“ von Joseph Gabriel Rheinberger und Johannes Brahms´ (1833-1897) „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz“ als Höhepunkte im Kirchenraum. Die Werke gelangten mit den Klangfarben des Chores und den strahlenden Sopranstimmen der Knaben direkt in die Herzen des heimischen und internationalen Publikums. Sie gewährten Blicke in die große Musiktradition Britanniens, die mit unserer – bei aller Eigenständigkeit - eng verbunden ist.
Der Abend wurde vom Deutschlandradio Kultur direkt übertragen.
Ein Dank gilt auch den informativen Texten im Programm-Heft des Festivals - zu diesem Abend geschrieben von Alexander Keuk.

Eveline Figura


 


 

 

Musikfest Erzgebirge

West-Östliche Begegnungen


Unglaubliche Klangwelten erlebten die Besucher beim gemeinsamen Konzert des Dresdner Barockorchesters und des PERA Ensembles sowie der Mailänder Sopranistin Francesca Lombardi Mazzulli in der Lößnitzer Johanniskirche
                                            

 


Erzgebirgisch war an diesem nachklingenden Abend des 17. September 2014 nur der Ort und die Mehrheit des aufgeschlossenen und überaus begeisterten Publikums. Durfte es doch seltene „Blicke“ (Thema des Musikfestes Erzgebirge) und Klangwelten in die barocke Pracht osmanischer Musik am Sächsischen Hofe erleben.
Wer weiß schon um deren Klangreichtum, den kulturellen Vorsprung, mal abgesehen vom wissenschaftlichen Niveau der osmanischen und arabischen Welt? Spezialisten und solche, die das Glück hatten und haben, in beiden Welten zu leben oder am Rande ihrer von der anderen berührt zu werden.
Der Leiter des Pera Ensembles, Mehmet Yesilcay (Foto), ist in Deutschland aufgewachsen, dann zur Musik seiner Heimat und der dort akademisch geprägten zurückgekehrt, um heute beide Kulturen in historischen Aufführungspraxen zu verbinden.
Das Dresdner Barockorchester unter ihrer Konzertmeisterin Ulrike Titze kam u.a. über die „Planetenfeste“ August des Starken, auf denen eine Janitscharenkapelle spielte, auf Barockkompositionen, die von dieser Musik geprägt waren, von den vielen berühmten europäischen Kompositionen á la turca ganz zu schweigen.
Das Barockorchester Dresden (mit historischen Instrumenten und stehend spielend sowie mit seiner glänzenden Cembalistin Michaela Hasselt) hatte die meist türkischen Musiker des Pera Ensembles in ihre Mitte genommen, die bedingt durch ihre Instrumente, sitzend spielten: Lauten (Oud), kleine auf dem Knien gestrichene Geige (Kemence), Flöten („Seelen der Musik“), das 76-saitige Saiteninstrument (Kanun), Percussionen wie Tamburine und Trommeln. 
Es erklangen instrumentale Werke und Arien von Johann David Heinichen, Georg Friedrich Händel, Johann Adolph Hasse, Johann Georg Pisendel, Nicola Antonio Porpora, Antonio Vivaldi, Antonio Lotti, Giovanni Battista Sammartini, Johann Joseph Fux, Georg Philipp Telemann, Dervis Frenk Mustafa, Silvius Leopold Weiss, einem Hugenotten aus dem Gebiet des heutigen Polen, dessen Ciacona zum wohl eindringlichsten der gesungenen Teilen der Sopranistin Franscesca Lombardi Mazzulli (Foto) gehörte. Die agile Künstlerin hat sich offenbar auf barocke Gesangstechniken spezialisiert und gestaltete die Arien mit Temperament, sanfter Mittellage, schöner Höhe, nicht exaltiert(!) und stilsicher.
Selbst ihr dunkelblaues Taftkleid mit Sternenschimmer passte zur West-Östlichen Musik. Das Programm brachte getragene und außerordentlich agile, ja rhythmisch dominierte, tänzerisch animierte Stücke im schönen Wechsel. Während das Publikum anfangs verhalten lauschte, Ungewohntes, ja Fremdes in den eher gewohnten barocken Kontext einordnete, gelang die Integration zunehmend genussvoll zur Einsicht, dass die friedliche, gegenseitige Durchdringung unterschiedlicher Kulturen stets zu Erkenntnis und Kulturfortschritt, ja Lustgewinn geführt hat. Was Kurfürst August und unser Dichterfürst Goethe zelebrierten, gelang den Meistern der Renaissance und des Barock im Mittelmeeraum wie Claudio Monteverdi oder Ahmet Celebi sozusagen spielend, ja glänzend. Das begeisterte Publikum applaudierte stehend im schönen klassizistischen Kirchenraum der Lößnitzer Johanniskirche.
Die Honorationen, darunter der sächsische Innenminister Ulbich und der Landrat des Erzgebirgskreises Vogel, erhielten wieder einen Beweis mehr, wie innovativ und strahlend das noch recht junge Musikfest Erzgebirge daherkommt.
Als Ehrengeschenke wurden hübsche Weihnachtsmann-Räuchermännel übergeben, wobei allerdings unser höchsteigenen Lichter- oder Räuchertürken noch eine besondere Überraschung gewesen wären...

Eveline Figura

Programm des Musikfestes Erzgebirge
 

„Winnetou“ im Herkunftsland

Karl Mays unsterbliche Helden kämpfen für das Gute auf der Felsenbühne Greifensteine und sorgten so am vergangenen Sonntag für eine erfolgreiche und ausverkaufte Premiere.

 



Als gehörten sie alle genau hierher, siedeln die Apatschen des Erzgebirgers Karl May aus Ernstthal (später Hohenstein-Erstthal) und deren kriminelle Gegenspieler um den späteren Winnetou-Mörder Santer (Marvin Thiede) saufend und prügelnd im Saloon. Die gutherzigen Trapper um Sam Hawkins (Udo Prucha) agieren mit Witz und Menschlichkeit zwischen den Fronten. Schließlich erscheint auf der zauberhaften Spielstätte ein deutsches Bleichgesicht - Bücher lesend und naiv als „Greenhorn“. Wie sich schnell herausstellt, kann der Deutsche auch kräftig zulangen und mit der Faust agieren. Er wird deshalb kurzerhand mit dem Ehrennamen „Old Shatterhand“ (Olaf Kaden) ausgestattet. 
Das Wichtigste, was Groß und Klein aus dem Stück lernen können, ist, dass Großmut und Friedenssehnsucht nicht ohne Mut und Heldentum zu erreichen sind und sich Feigheit, Hinterlist und Brutalität am Ende nicht lohnen, sondern bestraft und verlacht werden. 
Dass das für die wahren Ureinwohner Amerikas real nicht so ausging, ist bekannt: Geldgier auf der einen Seite und Verelendung, Ausrottung der „edlen Rothäute“ auf der anderen bis heute. Das ändert nichts an der Tatsache, dass schon damals unser Volksschriftsteller und Dichter Karl May als Pazifist, Mensch und Christ Position bezog und bis zu seinem Tode 1912 von Kriegstreibern geschmäht wurde.
Die Kunst von Mays Genres bestand darin, sprachliche Meisterschaft (deshalb sollten Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene, heute wieder seine Bücher lesen!), ethnologische und geographische Kenntnisse mit Spannung und Witz zu verbinden. Und genau das ist auch in „Winnetou I“ in der Inszenierung des Eduard-von-Winterstein-Theaters zu sehen und zu erleben (Regie: Urs Alexander Schleiff). Die Handlung wurde, frei nach Motiven Mays, von Jochen Bludau stark verknappt auf den Bau der Eisenbahnlinie durch (also Konfrontation) oder um das Land der Indianer herum (als friedlichem Miteinander) gebaut. Dabei wird auf beiden Seiten, bei den Guten wie den Bösen, nicht mit Kinnhaken, Faust- und Ringkämpfen, Saltos, Kugelregen und Pfeilegeschwirre nicht gespart. Besonders aktionsreich sind die Zweikämpfe inszeniert. Ein Bravo für den Kampftrainer Claus Großer aus Leipzig und den Hauptdarstellern Nenad Žanić als Winnetou, Old Shatterhand (Olaf Kaden), den Unterhäuptling Ketahan schonka (Oliver Baesler) sowie den vielen Groß- und Kleindarstellern in ständiger Bewegung bei beachtlichen Sommertemperaturen. 
Auch die Gruppe um Winnetous Vater Intschu-tschuna (Leander de Marel), dem weißen, weisen Lehrer Klekih petra (Film- und Fernseh-Altmime Giso Weißbach) und die zierliche Winnetou Schwester Nscho-tschi (womit sich Helene Aderhold vom Annaberger Publikum verabschiedet!) agieren mit Würde, männlicher Sprachgewalt oder zurückhaltenden Liebesgefühlen. Sam Hawkins Truppe (neben Udo Prucha spielen Michael Junge, Matthias Stephan Hildebrandt) und komische Requisiten wie Perücken, verbogenem Gewehr sowie ein detailtreues, stilgerechtes und raumgreifendes Bühnenbild (Ausstattung: Wolfgang Clausnitzer) sorgen mit viel Wortwitz und Situationskomik für Lacher und Applaus. Sam Hawkins auf Sächsisch wäre natürlich noch ein besonderes Heimspiel gewesen...! 
Damit alle Zuschauer die Bösen auch als solche erkennen, waren diese in filziges Schwarz gekleidet (neben Marvin Thiede als Santer, spielen Dennis Pfuhl mit Quietscheentenstimme und Samuel Schaarschmidt ) - alle wildbewegt und ständig betrunken, sich gegenseitig linkend. 
Damen sind naturgemäß gar nicht vertreten. Nur die Saloon-Mädels, die tanzend (Choreographie: Susi Žanić) hauptsächlich am Geld interessiert sind. Ihre Chefin Miranda (Marie-Louise von Gottberg) kann alles: Männer beherrschen, tanzen, raustimmig befehlen und sportliche Einlagen präsentieren.

Doch alles in allem zählt die Gesamt-Wirkung: Die wunderbaren, nicht übertriebenen Indianerkostüme, der alberne erste Golfanzug von Old Shatterhand als „Greenhorn“ (auf seinen legendären Henrystutzen und Bärentöter wurde verzichtet), die Tippies, viele Detailbauten, die  übersichtliche Nutzung des ganzen Areals mit Felsen, Kleinplateaus, die schönen Pferde aus Thum (der Reiterin Kathleen Kahl) und das volle „Haus“ zur Premiere, das beim Einspielen der berühmten Filmmusik begeistert durchatmete.
Der Regisseur Urs Alexander Schleiff (bereits ausgewiesen durch „Das Wirtshaus im Spessart, „Pippi Langstrumpf, „Die Olsenbande“), der auch die Rolle des besoffenen Sheriffs übernahm, hat auf allen unnötigen Schnickschnack weitgehend verzichtet und die Geschichte folgerichtig erzählt, die Wirkung der Texte den Schauspielern überlassen und auf die vielen gekonnte Stunts vertraut. 
Das Publikum war konzentriert und am Ende begeistert bei der Sache. Dass Winnteou und Old  Shatterhand dazu noch Sachsen sind, sollte uns auch heute noch mit Stolz und Freude erfüllen. 
Das Stück dürfte als Serie in den nächsten Jahren ein Dauerbrenner - neben dem irgendwann hoffentlich wieder auftauchenden „Stülpner Karl“ - auf der herrlichen Felsenbühne werden!

Eveline Figura
Fotos: Dirk Rückschloß/BUR


Feuriges Nachtspektakel


Mit Mystik, Musik, Musical und einem potentem Ensemble lockt das Eduard-von Winterstein-Theater viele Zuschauer auf die zauberhafte Naturbühne der Greifensteine zur Premiere von „Elfenfeuer zwischen Felsen“

Zur Premiere am 6. Juli 2014 war alles perfekt: Soll heißen, auch der Wettergott der Elfen und Trolle hat mitgespielt und alles in eine sanfte, laue Sommernacht gehüllt. Tamara Korber, die Regisseurin, und Annelen Hasselwander, Dramaturgie, hatte sich eine verschlungen Geschichte um Camper im Erzgebirge (Gisa Kümmerling, Oliver Baesler, Dennis Pfuhl und Udo Prucha) ausgedacht, die Elfen und Trollen begegnen, deren Zaubertricks ausgeliefert sind, sie hineinziehen in die internen Auseinandersetzungen der Hofintrigen und Dominanzgebärden. Die konkrete Geschichte, auch auf Handzetteln nachzulesen, ist verzichtbar. Die Zuschauer sollen sich lieber zurücklehnen und die vielfältige Musicalmelodien und Rocktitel über sich rieseln lassen und die wenigen, aber umso wohlklingenderen Klassik-Adaptionen genießen, die man alle in Reihenfolge der Auftritte gerne auf Handzettel nachgelesen hätte (schade!). 
Die Musik wurde von Rudolf Hild zusammengestellt, arrangiert und vom Ceyboard aus die Band leitend, mit Temperament und instrumentaler Verve live gespielt. Tolle Truppe (Andreas Gemeinhardt/Hans-Peter Marx, Jan Grebling/Ronny Wiese, Robert Korward, Benjamin Richter)!
Die Ausstattung (Tilo Staudte) hatte sich auf der Bühne zunächst ungewohnt sparsam reduziert. Mammutzähne wie aus dem Drei-D-Drucker, ein paar Giftpilze auf halber Höhe und ein Riesen-Greif am Band-Haus zu vielen Licht-Farb-Reflexen zwischen Felsen und Nadelgehölz waren ausreichend. Doch schnell wurde es üppig durch die wuselnden, tanzende, agierende Schar des Ensembles aus Schauspielern, singenden Darstellern, darstellenden Sängern in wirklich zauberhaften Kostümen. Dazu kam ein unerwartetes babylonisches Sprachgewirr: Haben doch Elfen und Trolle einst auf den Greifensteinen vorrangig wohl Englisch, Indianisch, Italienisch, ja sogar Ungarisch parliert. Udo Prucha jedenfalls konnte mit seinem sächsch´n Versatzstücken und im Spiel mit Kollegen in der alten „Neuen deutschen Welle“-Nummer die eher seltenen Lacher auf seiner Seite sammeln.
Die Ausstattung war mit den verschiedenen phantasievollen Kostümen für die gemischte Truppe dann doch am Erfolg vorn mit dabei, und an manchen Kreationen hatte man richtig Spaß. Die Elfenkönigin (MezzosopranistinTherese Fauser) hatte nicht nur wirklich ein Krönchen, sie war es auch stimmlich mit ihrer italienischen Barockarie und zusammen mit dem Hüter des Feuers (Tenor Frank Unger) im Duett, der selbst langhaarig, türkis glitzernd stimmlich glänzte. Die Schamanin des Abends (Bass László Varga) hatte man als eine Art alternde Conchita Wurst verkleidet. Zum Glück sang er die Soli und  Duette nicht mit Damenbass, sondern gewohnt gekonnt, auch im Musicalsound. Die Microports, übrigens diesmal gut ausgesteuert (!), trugen deshalb zur Unterstreichung der Stimmcharaktere bei. 
In der Hauptrolle der Elfe Galida war Musicalsängerin und Rockröhre Elisabeth Markstein - wie schon gewohnt – auf der Bühnen präsent. Figürlich wie sängerisch genretypisch die Schar der Elfen und Trolle anführend. Dazu stimmlich beachtlich als ElfenkönigThorin Kuhn. Spielerischund stimmlich  agil und in Irokesen-Maske Nenad Žanić auffällig. In zwei RollenMarie-Luis Pühlhorn witzig bewegt und stimmlich im Duett mit Einhorn-Elfe (Helen Aderhold) führend. Letztere überraschte dafür auch noch akrobatisch-tänzerisch! Neben Pühlhorns Hofnarr-Troll war der Part als verliebter Troll der Marie-Louise von Gottbergaußerordentlich reizend mit dem hübschesten Kostümchen dargestellt und getanzt - ein kleiner Sommernachts-Traum-Puck. Die konzeptionell verzichtbarsten, weil unbegründeten Figuren im Elfen-Reigen waren wohl dann Don Quichote (Christian Härtig, gut als kriegerischer Troll), da half stimmlich in der nicht bewältigten Höhe auch kein Mikroport mehr, und auch kaum Sancho Panza (Olaf Kaden, auch als Zaubertroll).
Der Chor agierte, in neutrales Schwarz gehüllt, diesmal „nur“ als Backround, aber wirkungsvoll und gewohnt gut geschult (Leitung: Uwe Hanke). 
Anerkennung auch für das Extraballett (Choreographie: Sigrun Kressmann), die es wieder einmal verstanden hat, den weiten Raum der Felsenbühne bewegt zu füllen und reichlich originelle Blickfänge zu schaffen.
Aber dass ein Sänger - als die sonore Stimme des Greifen aus dem Lautsprecher-Hintergrund - nicht aufgesetzt, sondern honorig wohlklingend das Märchen umrahmt, das gelingt so vermutlich nur Leander de Marel.
Die neue Mythen-Musical-Revue auf den Greifensteinfestspielen vereint die Potenzen des Ensembles mit bewährten Gästen, Soundvielfalt und Sommernachts-Traum-Romantik für Jung und Alt. 
Und dennoch darf da doch auch der vielfach geäußerte Publikums-Wunsch aufkeimen und weitergereicht werden, den wirklichen „Sommernachtstraum“ mit den starken Worten Shakespeares, der Poesie und Komik schauspielerischer Kunst, wie sie in unsrem Ensemble zuhauf vorhanden ist und der Musik Mendelssohn Bartoldys - auch adaptiert oder kombiniert mit den bekannten Musicalmelodien - auf dieser schönen Bühne recht bald zu erleben...

Eveline Figura

Fotos: Theater Annaberg


Transformation und Befreiung


Die Co-Premiere „Der Freischütz“ des Annaberger Theaters wirkte im idealtypischen Ambiente der einmalig schönen Felsenbühne Greifensteine wie befreit. 

Schöner konnte die Premiere am 19. Juli kaum gewesen sein: Samtweiche Sommernacht, ein entspanntes Publikum im gut gefüllten Rund der einmaligen Kulisse der wunderschönen Felsenbühne auf den Greifensteinen. 
Regisseur Dr. Ingolf Huhn hat seine im historischen Duktus gehaltene Inszenierung von der Enge der Bühne des Eduard-von-Winterstein-Theaters auf die Weite der Felsen und die verschiedenen Spielebenen übertragen (Ausstattung: Wolfgang Clausnitzer). 
Man hatte den Eindruck, Carl Maria von Weber sei für die Erarbeitung seines Werkes einstmals hier gewesen. Wie befreit wirkten Solisten und das übrige spielfreudige Ensemble. Linkerhand agierten in einem Sommerschlösschen Agathe (Bettina Grothkopf), immer noch im sogar fürs Biedermeyer zu sehr zugeknöpften Baumwollkleid . Mit ihrer auf schöne Zartheit und Folgsamkeit angelegten Rollenverständnis kontrastiert wohltuend frech ihre Verwandte Ännchen (Madelaine Vogt), die damit die szenische Betulichkeit wohltuend spielerisch und stimmlich auffrischte. Die Mittelbühne wurde durch einen riesigen Hirschschädel als Raum für die „Massen“-Szenen und für die Wolfsschlucht-Gruseleien drapierte. Die beiden konkurrierenden Jägerburschen, Max (Guido Hackhausen als Gast) und Kaspar (László Varga) waren sängerisch hervorragend eingestellt. Hackhausens deutscher Tenor beherrschte damit den Rollecharakter und insbesondere die Höhenlagen sehr gut. Für Varga war der Kaspar auf der großen Bühne ein Heimspiel. Mit Genuss zelebrierte er seine Arien, das Kugelgießen, auch mit sprachlicher Akkuratesse. Sein Eremit am Schluss der Oper vom Felsen herunter war dann die sonore und moralische Instanz. Die Mikroportverstärkung war diesmal sehr gut ausgesteuert, unterstrich den Wohlklang der meisten Stimmen eher als das es zu überzogenen Fremdheiten im Ton führte.
Der Chor hatte spielerisch viel zu tun, das weite Rund zu füllen. Die Kombination aus Konserve und Realton gelang erst am Ende mit dem aufmarschierenden Jägerchor. Die Regieeinfälle allerdings, die das Leid nach den Napoleonischen Kriegen und den deutschen Einheitsgedanken widerspiegeln sollten, kamen leider ein wenig verloren daher, Parallelen zu aktuellen Ereignissen drängen sich gerade zu auf. Da die Premiere zum 200. Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig stattfand, hätte man da ruhig ein wenig dicker auftragen können, auch als inhaltlicher Kontrast zur politischen und religiösen Obrigkeitsunterwerfung! 
Der handlungstreibende Erbförster Kuno (Leander de Marel) sang, sprach und ritt seinen Part überzeugend und würdig. Der böhmische Fürst Ottokar (Christian Härtig) war stimmlich leider nicht so tragend, spielte aber den selbstsicheren Aristokraten und - mit Ännchen flirtend - locker über die Rampe. Mystisch-romantisch kam auch die Samiel-Figur mit Tanz und Schattenspiel auf den Felsen und das Bergsteiger-Double für Maxens Wolfsschluchtarie hoch auf dem Basalt zur Geltung. Die Lichteffekte, gepaart mit Feuer und Gewehrkugeln, unterstrichen die Handlung, waren aber - zum Glück für`s Stück - gut dosiert. Der Sieger des Abends war allemal Carl Maria von Webers herrliche Musik unter der Stabführung eines konzentrierten 1. Kapellmeisters der Erzgebirgs Philharmonie, Dieter Klug, die leider mit einer sehr amputierten Ouvertüren-Einspielung auskommen musste. Man darf auch dem hiesigen Publikum ruhig zutrauen, die gesamte Ouvertüre, die übrigens eines der beliebtesten Stücke in Konzertsälen ist, auf dieser märchenhaften Freilichtbühne auszuhalten zu wollen!

Eveline Figura
Fotos: Theater-Annaberg




Musik am besonderen Ort


Die Bergsänger und Bergbläser des Erzgebirgsensembles Aue - wieder unter der Leitung von Steffen Kindt - brachten das altehrwürdige Frohnauer Hammerwerk mit Steigergeschichten, Mundart und Russischen Hörnern zum Klingen

Es ist stets eine Augenweide, wenn in den alten Steinen, zwischen Schmiedewerkzeugen, Großhämmern, Zangen und vor rauschendem Wasserrad, Bergleute in ihrem aus der Renaissance stammende Habits, bestehend aus Schwarzkittel, weißen Hosen und Feder-Helmen agieren. So wieder einmal geschehen am vergangenen Freitag 
(11.7. 2014), als Mitglieder des Erzgebirgsensembles Aue, das gerade sein 50 Jubiläum beging, unter seinem Leiter Steffen Kindt an diesem Ort agierte. Das Bläserquartett spielte schönes altes Liedgut wie die „Kuttengrüner Mettenschicht“, dann auch mit den selten gehörten russischen Hörnern (Foto oben). Die kamen einst mit russischen Spielleuten nach der Völkerschlacht bei Leipzig zu uns und wurden vom Erzgebirgsensemble in den 1960er Jahren wieder der Vergessenheit entrissen. Der kleine, ca. 8 Jährige Hans Unger, ebenfalls in Berg-Uniform gehüllt, führte selbstbewusst den Nachwuchs an, indem er in noch unverfälschter Mundart die Gäste begrüßte und zwei Gedichte sprach. Christin und Mark, beide so um die 12 Jahre alt, sangen hübsch erzgebirgische Lieder der neueren Art, deren Keyboard-Sound nicht so ganz in den alten Hammer passen wollte. Aber vielleicht lernt bald eines der begabten Kinder Gitarre oder Zerrwanst...! Ihr Mundart-Rap allerdings hatte Witz und brachte wirklich etwas neuen Wind ins alte Gemäuer. 
Ensemble und Zuschauer freuten sich an diesem Abend gemeinsam über den Auftritt von Steffen Kindt (Foto), der als Sänger und Moderator sowie als Leiter des Erzgebirgsensemble Aue nach seiner langen, schweren Erkrankung wieder zurück ins Leben und seinen Beruf findet. Er und sein Kollege würzten die Moderation mit heiteren Steigergeschichten, Begebenheiten aus der Arbeit und den Reisen des Ensembles und - möglicherweise ein wenig zu reichlich - auch aus der Reha-Phase des Ensembleleiters. Vielleicht wären ein paar Informationen über die russischen Hörner und die Entstehungsgeschichte der Musikstücke dem Ambiente gerechter geworden, wie das z.B.  beim “Vuglbeerbaam” anklang. 
Bei bekannten Liedern sangen die Besucher gerne mit. Stimmung kam auf, als Zuschauer gebeten wurden, im Refrain die Erzgebirgsoriginale „ den Astl Paul“, „de Neibert Spinnt“ oder „de Bittlichfraa“ durch Aufstehen zu vertreten. Natürlich gaben die Bergsänger auch „klassische“ Werke der Liederwelt eines Anton Günther oder Franz-Emil Kraus sowie die weltweit bekannte Erzgebirgs-Hymne, das alte Steiger-Lied „Glück auf!“ zum Besten. Zugaben, deren letzte - ein honigsüßes Heimatlied, das leider zu sehr an die Volksmusikstadl im TV erinnerte - beschloss den ansonsten stimmungsvollen Abend. Das Ensemble, das sich mit seinem Profil dem Spagat zwischen Tradition und Moderne verpflichtet fühlt, sollte sich mit Kollegen beraten und sich nicht unkritisch dem Massengeschmack andienen, sondern seine bewährte anspruchsvolle und authentische Markenqualität halten und weiter ausbauen. 
Der Heimatforscher und „Hammerherr“ Bernd Schreiter überreichte im Namen des Hammerbundes Frohnau den Mitgliedern des Ensembles eine hier geschmiedete Eisen-Note zum Andenken. Das Publikum dankte mit viel Applaus dem Ensemble, den Veranstaltern und nicht zuletzt dem Hammerwirt Stephan Feller für seine Bewirtung im alten Gemäuer. 
Musik an diesem ganz besonderen Ort sollte häufiger erklingen. Handelt es sich doch beim Frohnauer Hammer landesweit um eine ziemlich einmalig Spielstätte, die noch mehr künstlerische Aufmerksamkeit das ganze Jahr über verdient hätte. Und wenn dann noch die alte Linde vor dem Hammer wieder wie einst zu einer Tanzlinde hergerichtet würde, könnte Frohnau - auch außerhalb der leider nur aller fünf Jahre stattfindenden Hammer-Feste – fast so etwas wie eine kulturelle Pilgerstätte werden...

Eveline Figura


Feuriges Nachtspektakel

Mit Mystik, Musik, Musical und einem potentem Ensemble lockt das Eduard-von Winterstein-Theater viele Zuschauer auf die zauberhafte Naturbühne der Greifensteine zur Premiere von „Elfenfeuer zwischen Felsen“

Zur Premiere am 6. Juli 2014 war alles perfekt: Soll heißen, auch der Wettergott der Elfen und Trolle hat mitgespielt und alles in eine sanfte, laue Sommernacht gehüllt. Tamara Korber, die Regisseurin, und Annelen Hasselwander, Dramaturgie, hatte sich eine verschlungen Geschichte um Camper im Erzgebirge (Gisa Kümmerling, Oliver Baesler, Dennis Pfuhl und Udo Prucha) ausgedacht, die Elfen und Trollen begegnen, deren Zaubertricks ausgeliefert sind, sie hineinziehen in die internen Auseinandersetzungen der Hofintrigen und Dominanzgebärden. Die konkrete Geschichte, auch auf Handzetteln nachzulesen, ist verzichtbar. Die Zuschauer sollen sich lieber zurücklehnen und die vielfältige Musicalmelodien und Rocktitel über sich rieseln lassen und die wenigen, aber umso wohlklingenderen Klassik-Adaptionen genießen, die man alle in Reihenfolge der Auftritte gerne auf Handzettel nachgelesen hätte (schade!). 
Die Musik wurde von Rudolf Hild zusammengestellt, arrangiert und vom Ceyboard aus die Band leitend, mit Temperament und instrumentaler Verve live gespielt. Tolle Truppe (Andreas Gemeinhardt/Hans-Peter Marx, Jan Grebling/Ronny Wiese, Robert Korward, Benjamin Richter)!
Die Ausstattung (Tilo Staudte) hatte sich auf der Bühne zunächst ungewohnt sparsam reduziert. Mammutzähne wie aus dem Drei-D-Drucker, ein paar Giftpilze auf halber Höhe und ein Riesen-Greif am Band-Haus zu vielen Licht-Farb-Reflexen zwischen Felsen und Nadelgehölz waren ausreichend. Doch schnell wurde es üppig durch die wuselnden, tanzende, agierende Schar des Ensembles aus Schauspielern, singenden Darstellern, darstellenden Sängern in wirklich zauberhaften Kostümen. Dazu kam ein unerwartetes babylonisches Sprachgewirr: Haben doch Elfen und Trolle einst auf den Greifensteinen vorrangig wohl Englisch, Indianisch, Italienisch, ja sogar Ungarisch parliert. Udo Prucha jedenfalls konnte mit seinem sächsch´n Versatzstücken und im Spiel mit Kollegen in der alten „Neuen deutschen Welle“-Nummer die eher seltenen Lacher auf seiner Seite sammeln.
Die Ausstattung war mit den verschiedenen phantasievollen Kostümen für die gemischte Truppe dann doch am Erfolg vorn mit dabei, und an manchen Kreationen hatte man richtig Spaß. Die Elfenkönigin (MezzosopranistinTherese Fauser) hatte nicht nur wirklich ein Krönchen, sie war es auch stimmlich mit ihrer italienischen Barockarie und zusammen mit dem Hüter des Feuers (Tenor Frank Unger) im Duett, der selbst langhaarig, türkis glitzernd stimmlich glänzte. Die Schamanin des Abends (Bass László Varga) hatte man als eine Art alternde Conchita Wurst verkleidet. Zum Glück sang er die Soli und  Duette nicht mit Damenbass, sondern gewohnt gekonnt, auch im Musicalsound. Die Microports, übrigens diesmal gut ausgesteuert (!), trugen deshalb zur Unterstreichung der Stimmcharaktere bei. 
In der Hauptrolle der Elfe Galida war Musicalsängerin und Rockröhre Elisabeth Markstein - wie schon gewohnt – auf der Bühnen präsent. Figürlich wie sängerisch genretypisch die Schar der Elfen und Trolle anführend. Dazu stimmlich beachtlich als ElfenkönigThorin Kuhn. Spielerischund stimmlich  agil und in Irokesen-Maske Nenad Žanić auffällig. In zwei RollenMarie-Luis Pühlhorn witzig bewegt und stimmlich im Duett mit Einhorn-Elfe (Helen Aderhold) führend. Letztere überraschte dafür auch noch akrobatisch-tänzerisch! Neben Pühlhorns Hofnarr-Troll war der Part als verliebter Troll der Marie-Louise von Gottbergaußerordentlich reizend mit dem hübschesten Kostümchen dargestellt und getanzt - ein kleiner Sommernachts-Traum-Puck. Die konzeptionell verzichtbarsten, weil unbegründeten Figuren im Elfen-Reigen waren wohl dann Don Quichote (Christian Härtig, gut als kriegerischer Troll), da half stimmlich in der nicht bewältigten Höhe auch kein Mikroport mehr, und auch kaum Sancho Panza (Olaf Kaden, auch als Zaubertroll).
Der Chor agierte, in neutrales Schwarz gehüllt, diesmal „nur“ als Backround, aber wirkungsvoll und gewohnt gut geschult (Leitung: Uwe Hanke). 
Anerkennung auch für das Extraballett (Choreographie: Sigrun Kressmann), die es wieder einmal verstanden hat, den weiten Raum der Felsenbühne bewegt zu füllen und reichlich originelle Blickfänge zu schaffen.
Aber dass ein Sänger - als die sonore Stimme des Greifen aus dem Lautsprecher-Hintergrund - nicht aufgesetzt, sondern honorig wohlklingend das Märchen umrahmt, das gelingt so vermutlich nur Leander de Marel.
Die neue Mythen-Musical-Revue auf den Greifensteinfestspielen vereint die Potenzen des Ensembles mit bewährten Gästen, Soundvielfalt und Sommernachts-Traum-Romantik für Jung und Alt. 
Und dennoch darf da doch auch der vielfach geäußerte Publikums-Wunsch aufkeimen und weitergereicht werden, den wirklichen „Sommernachtstraum“ mit den starken Worten Shakespeares, der Poesie und Komik schauspielerischer Kunst, wie sie in unsrem Ensemble zuhauf vorhanden ist und der Musik Mendelssohn Bartoldys - auch adaptiert oder kombiniert mit den bekannten Musicalmelodien - auf dieser schönen Bühne recht bald zu erleben...

Eveline Figura

Fotos: Theater Annaberg



Urviech mit zarten Tönen

Zur Ausstellung von Peter Rehr „Zwischen Traum und Wirklichkeit” im Erzhammmer

Ein Berg von einem Mannsbild ist dieser Rehr Pét aus Scheibenberg, wie man ihn landläufig nennt. Andre sagen Urviech, feiner Kerl oder Lebenskünstler zu ihm. Er ist auf jeden Fall von allem Etwas. Ein wirkliches Original unseres Erzgebirges - im feinsinnigsten Gebrauch dieses selten gewordenen Prädikats.

Fotos: Hans-Joachim Schmiedel

12. Feb. 2012. Ursprünglich gelernter Drechsler, Geburtsjahr 1948, zeigt er nun im Zentrum des Erzgebirges, im Annaberger Erzhammer, einen Teil seines inzwischen beachtlichen Werks. Am vergangenen Samstag, als hier in der Nacht das Thermometer die Minus 20° C erreichte, freute man sich im Musikzimmer des Kulturzentrums über diesen umtriebigen Volkskünstler. Es waren zahlreiche Kunstinteressierte und Freunde erschienen, um zunächst seine unvermutet zarten Landschafts- und Blumenaquarelle zu bewundern oder, wie sein langjähriger Künstlerkollege, Dietmar Lang, lobende Worte für die Kunst des Rehr Pét zu finden sowie Schnurren aus gemeinsamen Tagen zum Besten zu geben.

Zu Fuß, auf Skiern mit seinem geliebten Hund „Bella“ im Wald und auf Feldern unterwegs, konnte er bei der Schönheit unserer heimischen Landschaft gar nicht anders, als diese aufs Papier zu bannen. Die reiche Farbigkeit großer Himmelsszenen, Baum, Busch und Weg in überraschenden Durchblicken auf der einen Seite und dann wieder die filigrane Zartheit andererseits, oder beides gemeinsam in einem Bild. In dieser Unmittelbarkeit überträgt sich seine Liebe zur Natur, seiner Umwelt, in der er sich auch manchmal etwas Detail versessen verlieren kann. Von seinen Großfiguren aus Holz, die er bei zahlreichen Holzbildhauer-Symposien mit Kettensäge, Messern und Schlegel zu Leibe rückte, sei hier nur wegen der biografischen Vollständigkeit berichtet.

Im Stadtbild von Annaberg stehen sie u.a. auf Spielplätzen und im Park der Lebenshilfe e.V.. Immerhin hatte er seinen „Bunten Vogel” von der „Art Figura”-Ausstellung aus Schwarzenberg mitgebracht. Im Treppenhaus hängen sattfarbige Ölbilder mit Welt anschauenden und unmißverständlich ironisch kommentierenden Inhalten wie „Don Quichots Kampf gegen die Windmühlen”, die heute Windräder sind und wohl nicht in sein Heimatbild passen wollen. Oder „Das Abendmahl” mit einem bebrillten Vorsitzenden und schläfrigen Ratsmitgliedern. Aber eben auch ein Marienbild mit einem Jungen, das Hoffnung birgt in der Schwere des Schicksals. Die Vernissage wäre untypisch verlaufen, hätten irgendwelche Musiker dazu verkrümmte Musik von sich gegeben, wie das manchen Orts so üblich ist.

Der Kunstfreak Rehr tut alles, was er macht, ganz! Und so musizierte er seine eigene Musik mit seinem Freund Thomas, der neben dem „Zerrwanst”, den er zur Eröffnung der Ausstellung zu Peters Gitarre und Mundharmonika spielte, sonst noch viele andere Instrumente meistert. Diese Musik vom auch Volksmusiker Rehr ist dann am liebsten Erzgebirgsblues mit eigenen skurrilen Mundarttexten, Sozialkritisches und die Natur Beschreibendes von Anton Günther, in unverwüstlichen Frische vorgetragen. Kein Wunder, dass die Besucher mit lachendem Gesicht durch die Räume wandelten, in denen sich dieser sensible Riese, dieses erzgebirgische Urviech mit zarten Tönen noch bis zum 8. April präsentiert.

Eveline Figura



Holz unterm Messer

Rückschau auf die 20. Erzgebirgischen Schnitzertage in Annaberg-Buchholz

Annaberg-Buchholz kommt aus den Schnitzhöhepunkten gar nicht mehr heraus. Gerade ausgeklungen war die mit über 6.000 Besuchern in drei Wochen sehr erfolgreiche Ausstellung „Schnitzerland Erzgebirge” und schon treffen sich die Mitglieder von mehr als 30 Schnitzervereinen am vergangenen Wochenende in beiden Sälen des Haus des Gastes „Erzhammer”, um ihren Leistungsstand in Aktion zu präsentieren.

Vom Werden und Wachsen. Die Evolution des geschnitzten Bergmannes.

Insgesamt 154 aktive Volkskünstler mit erfreulich sichtbar aktivem Nachwuchs arbeiteten an ihren Figuren, Reliefs, Spanbäumen, Tierfiguren, Pyramiden, Bergwerken, Leuchtern oder Lichterengeln. Frau Dr. Gabriele Lorenz, die Leiterin des Hauses, begrüßte die zahlreichen Teilnehmer und Zuschauer mit dem traditionellen Wunsch-Gruß der Bergleute„Glück auf!” und konnte sich über stetig wachsendes Interesse an diesem typischen Kulturhandwerk des Erzgebirges freuen. Sie dankte ausdrücklich, wie auch die Oberbürgermeisterin Frau Barbara Klepsch in ihrer Begrüßungsansprache, der ehemaligen Leiterin des „Erzhammers, Frau Hannelore Staub, für deren jahrzehntelanges Wirken, von dem aus sowohl nunmehr die 20. Schnitzer- wie auch schon zum 23. Mal die Klöppeltage als überregional wahrgenommene Veranstaltungen einst ins Leben gerufen worden waren.

Oberbürgermeisterin Klepsch krönt die neue Klöppelkönigin

Die Oberbürgermeisterin der Erzgebirgshauptstadt weiß um die Freude an diesem Handwerk, wie sie angesichts der Schnitzversuche ihres Ehemannns schmunzelnd berichtete und betonte gleichzeitig, wie wichtig das Bewahren und Weitergeben von Traditionen und Fertigkeiten in Familien und Vereinen heute ist. Umrahmt von den Klängen des Bläserensembles des Bergmusikcorps „Glück Frisch” wurde dann auch noch die neue 6. Klöppelkönigin Maria Müller von der Klöppelmeisterin Manuela Fischer und der OB gekrönt. Dietmar Lang, Vorsitzender des Dachverbandes der Erzgebirschen Schnitzervereine und selbst Holzbildhauermeister, freute sich in seinen Begrüßungsworten über das Niveau und die immer mehr gemeinschaftlichen Ausstellungen von Schnitzervereinen, die sich dadurch gegenseitig anregen und frei von Konkurrenzdenken agierten.

Während der Veranstaltung fanden in den vielen Räumen des Hauses auch interessante Vorträge statt, so von Dietmar Lang zur Geschichte der Annaberger Freiland-Weihnachtspyramiden, die weltweit die ersten waren und heutzutage mit über 400 Unikaten die Erzgebirgstradition in viele Städte und Länder brachten. Im nächsten Jahr, dem 90. Jubiläum der ersten Ortspyramide Annaberg/Frohnau, ist dazu von Dietmar Lang eine Publikation geplant.

Blick in die Schnitzerschule

Hanz-Joachim Schmiedel vom Schnitzverein „Paul Schneider“ und der Leiter der Annaberger Schnitzschule, Ingolf Gleisel, präsentierten ihre soeben fertig gestellte Broschüre über die Meisterwerke des Schnitzers Paul Schneider, dessen 120. Geburtstag man damit würdigte und dessen Namen die Frohnauer Schnitzschule trägt. Am zweiten Tag der Veranstaltung fand neben den Schnitz- und Ausstellungsaktivitäten, der Vortrag von Claus Leichsenring zum „Erzgebirgischen Leuchterbergmann” große Beachtung. Der ausgewiesene Fachmann für die Geschichte der erzgebirgischen Volkskunst wurde für sein vielfältiges Lebenswerk mit dem „Goldenen Schnitzmesser“ ausgezeichnet. Weitere Ehrungen gehen an Sieger im Schnitz-Wettbewerb „Sport und Freizeit” sowie „Der Schnitzer in seiner Werkstatt”, was als Publikumsabstimmung konzipiert wurde.

Für das Publikum ist indes die interaktive Welt im ganzen Haus ein Erlebnis, zu dem den fleißigen Mitarbeitern des „Erzhammer“ besonderer Dank gilt. Die Vielfalt der Exponante und „Schnitz-Handschriften”, die Freude und der Stolz der Beteiligten, ist indes nicht mit Gold aufzuwiegen, auch wenn zwischen einzelnen der zahlreichen Exponate durchaus Unterschiede im Grad der Vervollkommnung sichtbar sind. Deshalb sei an dieser Stelle auf die Angebote der Schnitzschulen, Meisterkurse sowie Klöppel- und Schnitzurlaub-Programme verwiesen, die Einsteigern, Anfängern, aber durchaus auch Fortgeschrittenen Anregungen für Perfektionierung, Spezialisierungen und Themenanreicherungen geben können.

Bei aller Pflege überlieferter Tradition sind auch auf dem Felde des Schnitzerhandwerks Neuheiten, Originalität und ein humorvoller, selbstironischer Blick auf die Menschen „neben mir” gefragt. Gedankenaustausch mit Designern, Malern, Grafikern gäben dem einen oder anderen einen neuen Blick, der dann vom rein handwerklichen Geschick in teilweiser hoher Meisterschaft, dann auch verstärkt zu künstlerischen Ergebnissen führen könnte.

Nicht zuletzt bleibt zu erwähnen, dass in der Männerdomäne Schnitzen auch einige Frauen das Schnitzmesser schwingen, so Corinna Helbig aus Cainsdorf, die schon als Kind den Hang verspürte und vom Großvater in die Schnitzschule gebracht wurde. Auch einige ihrer Arbeiten sind Ergebnis von Lehrgängen, die sie besuchte. Frau Ingrid Süß hat sich auf die Restaurierung und Bemalung spezialisiert. Und die Kinder und Jugendlichen probieren sich - ganz der Jahreszeit gemäß - an Igeln, Häschen oder an Filigranbildern fürs Fenster, was sie der Mutti zum Frauentag schenken. Selbstgemacht bleibt eben selbstgemacht!

Eveline Figura



Rache in der Fastenzeit

Sehr erfolgreiche „Fledermaus”-Premiere am Annaberger Winterstein-Theater

Die Premiere der „Königin der Operetten“ in die Fastenzeit zu legen, gilt noch heute in ihrem Heimatland und dem der Strauß-Dynastie als Sakrileg. Und das nicht nur, weil dort die praktizierte Walzerseligkeit in der Nacht vom Faschingsdienstag zum Aschermittwoch begraben wird.

Zugegeben, die Wiener insbesondere sind mit ihrem hundertfach bestückten Ballkalender dann auch eh schon redlich müd’ und haben eine Pause verdient, auch um den Alkoholpegel zu normalisieren und den Sektkellereien die Chance zum Auffüllen der Lagerbestände zu geben. Aber wenn am Annaberger Theater selbst im tiefsten Winter die Bäume im Prater zum Blühen gebracht werden können, warum soll dann nicht die „Fledermaus“ in der Fastenzeit ihre Rache üben dürfen?

Michael Junge (Gabriel von Eisenstein), Leander de Marel (Frosch). Fotos: Dieter Knoblauch (c) Theater Annaberg

Johann Strauß jr., der Walzerkönig, einst Großunternehmer in Sachen Tanzmusik, der „Die Fledermaus” auf Anregung Jaques Offenbachs, Pariser Großmeister wirklich komischer Opern, endlich komponierte, hat wie dieser nicht einfach eine lustige Rachestory der Society in freundliche Klänge verwandelt. Er hat auch das Milieu der abgehobenen und von der 48er Revolution verschreckten Wiener Gesellschaft widergespiegelt. Aber wie er das tat! Der Rausch der Ballsaison, bestehend aus dem Genuss der unglaublich schwungvollen großen Walzer-Klänge, und dann das Können der Ballbesucher, wirklich den Links-rum-Walzer zu drehen bei gleichzeitiger Abkühlung der erhitzten Gemüter mit prickelndem Champagner. Das zusammen erzeugte jenen „Rausch”, der oft genug Ohnmachten gleichkam - leider heute auf dem Wiener Opernball so auch nicht mehr anzutreffen.

Das passierte dann in der Premiere hier in Annaberg auch nicht, und daran waren nicht nur die völlig - der Fastenzeit adäquaten - abwesenden Champagnerflaschen oder gar -gläser auf der Bühne Schuld. Die Inszenierung (Intendant Ingolf Huhn) erzeugte ein den Abend füllendes, lebhaftes Amüsement über die immer wieder tolle Geschichte, die fließend erzählt, durch temperamentvolles Agieren in Szene gesetzt wurde. Meist glaubhaftes und temperamentvolles Spiel erzeugte den Effekt zwischen Bühne und Zuschauerraum, Champagner sei den Darstellern schon irgendwo infiltriert worden. Der Rausch aus der Walzermusik (am Pult GMD Naoshi Takahashi) klang später dann nach und nach auch an. Die Ouvertüre jedenfalls war zunächst frei davon, einschläfernd und teilweise unexakt intoniert. 

Die Rollen waren fast immer sehr gut vom jungen Sänger-Ensemble des eigenen Hauses besetzt, das mit Spielfreude und Lockerheit ans anspruchsvolle Werk ging. Die Rollencharakteristik wurde differenziert über die Rampe gebracht, voran und endlich einmal herausragend Michael Junge als Eisenstein, der bewegt über Sofas und Ballsirenen stieg und die verwickelte Geschichte um seine Woche Arrest als Bariton in manchmal spröde, aber meist anständig tenoral gesungene Gefilde hievte. Seine Rosalinde, Bettina Grothkopf - wer sonst? - gab die etwas zu solide Ehefrau in schönen, aber sehr sparsam dekoltierten Roben (Kostüme: Brigitte Golbs) und üppiger Haartracht, die beim téte a téte mit ihrem Sänger Gspusi Alfred (Frank Unger) die Erotik unfreiwillig ziemlich behinderte.

Chrissa Maliamani (Adele), László Varga (Frank), Kerstin Maus (Ida), Tatjana Conrad (Prinz Orlofsky)

Sängerisch kokettierend, differenziert und zur großen Csárdás-Geste in der Lage, war sie der bewährte Partner für Frank Ungers strahlende Tenor-Ausbrüche, der für Eisenstein ins Gefängnis wandert. Der Spielmacher der Intrige, Dr. Falke, war Jason Nandor Tomory, der seinen mitunter angenehmen Bariton nicht überstrapazierte, lyrisch, aber fast zu schüchtern, das Champagner-Ensemble „Brüderlein und Schwesterlein“ anführte. Sein hier gezügeltes Temperament kam in den tänzerischen Cuplés und Ensembles jedoch vielleicht gerade dadurch zur Geltung. Der Gastgeber des Abends, Prinz Orlowski, gar zu zierlich gegeben von Tatjana Conrad und trotz russischem Akzent und hübschen Kassak doch so etwas wie die Sparvariante in der Vermittlung russischen, androgynen und stimmlichen Flairs. Oder vielleicht eher ein wenig von der Regie allein gelassen?

Die Zimmermädchen-Diva Adele (Cryssa Maliamani, eine Griechin, die z.Zt. noch in Würzburg studiert) sang die Partie als Gast für die erkrankte Madeleine Vogt mit Grazie, schönem Vibrato, sicherer Höhe und - trotz sehr kurzer Probenzeit - mit spielerischem Einfühlungsvermögen. Ihre Schwester Ida (Kerstin Maus), wie gewohnt niedlich, gehörte zur Schar der die kräftigen Beine schwingenden Ballett-“Ratten”, die im großen Ballbild in gar zu viel Tüll steckten und meist alles Mögliche tanzten, außer schwingenden Walzer (Choreographie:Sigrun Kressmann). Die Zimmermädchen und Kellner waren (Demokratie von heute!) gegenüber der eleganten Welt komplett überrepräsentiert.

Ensemble: Maria Gessler (Rosalinde), Chrissa Maliamani (Adele), Rebekka Simon (Sidi), Michael Junge (Gabriel von Eisenstein),  Kerstin Maus (Ida), Tatjana Conrad (Prinz Orlofsky), Jason-Nandor Tomory (Dr.Falke), Chor, Extrachor, Extraballett

Das „Dui-Du“-Ensemble brachte, durch die wohlklingende Solisten und den gut studierten Chor (Uwe Hanke), endlich die volle Klangwelt, den österreichischen Schmäh zur Geltung. László Varga gab dem Gefängnisdirektor Frank mit seinem beweglichen Spielbass auch bewegte Gestalt. Im Spiel hin- und hergerissen zwischen würdevoller Naivität und Suff. Den konnte er im Gefängnis-Akt, gemeinsam und im köstlichen Zusammenspiel mit dem stets beschwipsten Frosch (Leander de Marel) voll ausspielen. Der Frosch war eine der markanten Perlen des Abends und auch in der reichen Karriere von Leander de Marel selbst. Er spielte - leicht wienernd - mit sich, dem Bühnenpartner Frank (der sich am „Fros(t)ch-Schutzmittel“ gütlich tat), seinem Slivo-Witz, den Libretto-Kalauern und aktuellen Anspielungen, einfallsreich, ohne in exaltierte Grotesken zu verfallen.

Das Publikum amüsierte sich köstlich. Und selbst mit „süffigster” Aussprache blieb de Marel allzeit verständlich. Der Advokat Dr. Blind (Markus Sandmann) gab den junge Komikerpartner kongenial und sang, stotterte, stolperte durch die Rache-Eskapaden des Abends. Gelungener Rahmen für die gelungene Inszenierung war das Bühnenbild von Tilo Staudte, der endlich einmal die ganze Höhe der Bühne auslotete: Nur ein Bühnenbild, zwei große Öffnungen, mal als Fenster des Salons, dann als Durchgänge zum Ballsaal, schließlich doppelt vergittert als „Schwedische Gardinen“ zu nutzen, ein großes Kanapé, ein paar Sessel – mehr nicht. Dafür viel Spielfläche.

Diese vom Publikum begeistert aufgenommene „Fledermaus” wird über einen längeren Zeitraum viele Besucher finden und erfreuen und endlich um Silvester herum dann auch den ihr gebührenden Platz im Ballkalender einnehmen!

Eveline Figura



Silber-Empfang für die Jüngsten
 

Stadtoberhaupt Barbara Klepsch begrüßt die neuen Bürger von Annaberg-Buchholz standesgemäß

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Dreimal im Jahr ist es nunmehr schon gute Tradition in der Stadt Annaberg-Buchholz geworden, ihre kleinsten Bürger freudig zu begrüßen und den Weg ins Leben herzlich zu begleiten. So tat es denn die Oberbürgermeisterin, Frau Barbara Klepsch, und ihre Mitarbeiter am 18. April 2012 wieder in der Bergkirche, die von neuesten Kinderwagenmodellen regelrecht umstellt war. Einen würdigeren Ort konnte man für diesen Anlass kaum finden. 

Hier, wo sich die Bergleute im 15. Jahrhundert ihren Ort der Hoffnung auf gute Silberfunde und glückliche Wiederkehr aus den dunklen Gruben selbst geschaffen hatten, wünschte Frau Barbara Klepsch mit warmen Worten den Kindern, geboren zwischen November 2011 und Februar 2012, nun ebenfalls Glück im Leben. Dafür will die Stadt möglichst optimale Rahmenbedingungen schaffen, „damit sich die jüngsten Bürger gut entwickeln und ihre Fähigkeiten entfalten können.”

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Die Oberbürgermeisterin überreichte dann symbolträchtige Geschenke, die später noch die Kinder an das Ereignis ihrer Geburt erinnern sollen. So erhielt jedes Kind einen Silbertaler mit dem Stadtwappen auf der einen und einem Baum auf der anderen Seite. Dort sind auch Name und Geburtsdatum des Babys eingraviert, damit in Annaberg ebenfalls seine Wurzeln ausbilden und sich mit seiner Heimatstadt immer gerne identifizieren möge. Die Verbindung zwischen den Generationen wurde liebevoll durch jeweils ein paar niedliche handgestrickte Söckchen unterstrichen, die die Bewohner des Mehrgenerationen-Hauses fertigten und die von Senioren, zusammen mit einer Rose, überreicht wurden. Für die musikalische Untermalung sorgte mit kräftigem Griff in die Tasten des Blüthner Flügels die Schülerin Patricia Fritsch vom Evangelischen Gymnasium, die in Annaberg auch die Musikschule besucht. 

Die entspannte Atmosphäre im ehrwürdigen Raum der Bergkirche, zwischen den Holzfiguren der Bergmännischen Krippe, gestalteten die glücklichen Eltern, von denen sich viele kannten, selbst. Gespräche und manch kräftige Stimme des Nachwuchses unterstrichen die Meinung einer der anwesenden Muttis: „Ja, Kinder verbinden eben!”
 

Eveline Figura


Die Räuber sind los…!

Gelungene Premiere vom Musical „Wirtshaus im Spessart” 
auf den Greifensteinen

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 Fotos: D. Knoblauch, Eduard von Winterstein-Theater Annaberg

Wenn leider hier und da urige, oft geliebte Wirtshäuser schließen müssen, kann wenigstens das Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg mit einem neu eröffneten aushelfen: Seit dem 21. Juli hat auf der herrlichen Felsenbühne Greifensteine jetzt 
„Das Wirtshaus im Spessart” als beliebtes Musical (Musik: Franz Grothe) auf dem Spielplan. Unter der Regie von Urs Alexander Schleiff und der sorgsamen und auch temperamentvollen musikalischen Leitung von Dieter Klug wurde ein bewegtes, amüsantes Spektakel gegeben, an dem das Publikum und die Darsteller gleichermaßen ihre reine Freude hatten. 

Die dadurch sichergestellte Lockerheit, bedingt auch durch die ständig zu überwindenden Höhen, Tiefen und Weiten der Bühne, die vom Räuber-Chor und Extrachor (Leitung: Uwe Hanke) zum klingen gebracht, Ballett und Statisterie (Choreographie: Kirsten Hocke) farbig bewegt drapiert wurde, gelang trotz ständiger Regen-Schauer-Gefahr eine die Zuschauer mitreißende Inszenierung. Vornweg seien die zwei umwerfenden Spielmacher, die menschelnden Räuber Funzel und Knoll (Leander de Marell und Matthias Stephan Hildebrandt) genannt, der eine sächselnd, der andere berlinisch die Handlung kommentierend, nach Griechenland auswanderungswillig, ihre kabarettistischen Einlagen gekonnt zelebrierten. Als dann auch noch hüftschwingende Tanzeinlagen folgten, war das Publikum nicht mehr zu halten. Kompliment an das homogene Solistenensemble und die Schauspieler, die in den Rollen und den Partituren nicht immer ideale musikalischen Matrizen für ihre eigentlichen Fähigkeiten vorfanden. -432_Spessart

Die Tenöre Frank Unger (Felix) und Marcus Sandmann (Parucchio und Peter) durften selten in gewohnten Höhen strahlen, machten das aber durch Spielastik wett. Madelaine Vogt als Comtesse Franziska von Sandau kam zwar burschikos und dennoch sehr charmant singend über die Rampe und fand im Hauptmann der Räuber (Jason –Nandor Tomory) ihr baritonales Happy-End, schön lyrisch intonierend und ansehnlich dazu! Dem die Comtesse begleitenden Pfarrer Haug (László Varga) gelang eine durchgängige Karikatur garniert mit klangvollem Bass-„Psalm”. Und Michael Junge bot als Obrist eine Kalauer- und Tenortonreiche Parodie des preußischen „Zack-Zack”. Von den vielen guten schauspielerischen Einzelleistungen seien hier nur stellvertretend der sprachgewaltige Graf Sandau (Gerd Schlott), der trottelnde, abgewiesene Verlobte Sperling (Tim Osten, Foto rechts) und das reizvoll agierende, leider kaum singende Räuberliebchen (Tatjana Conrad) hervorgehoben. Es war ein Nachmittag für die ganze Familie. Die Kinder hatten Freude an Pistolenknallen, Pferden und Kutschen, die Erwachsenen an vielen lustigen Gags mit etlichen aktuellen Bezügen sowie an der farbigen Ausstattung mit vielen hübschen Details (Wolfgang Clausnitzer). Das Publikum sollte sich bis Ende August nicht durch den dramatischen Wetter-Firlefanz abhalten lassen. Die Ausstattung und das Spiel machen das Ereignis. - Und dazu kann man dem Annaberger Theater und seinem Ensemble rundum gratulieren!
 

Eveline Figura



Atelier Rosa - Eine Oase der Kunst

Über einen Besuch bei der Annaberger Malerin und Bildenden Künstlerin 
SABINE SACHS

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Erst kürzlich machte sie von sich reden, die zierliche blonde Frau, als sie interessierte Gäste zu ihrer Vernissage im Annaberger Theater-Foyer begrüßte. Dort stellte sie kleine Grafik-Arbeiten aus. Hinter vielfach strukturierter Strichführung, Papierschleiern, Symbolverweisen auf den Inhalt, bedarf es doch einer besonderen Geduld der Entschlüsselung. Die Freude des Rezipienten ist die  Erkenntnis, dass nicht alles fremd ist, was sich nicht sofort erschließt. Genauer besehen, tauchen menschliche Silhouetten, Kunstgestalten, gebrochene oder zerbrochene Symbole für Weltsichten auf, die man hinterdenken muss.

Anderes in ihrem Atelier Rosa, Obere Wolkensteiner Gasse 3. Hier regiert die kreative Künstlerin mit kräftigen und sanften Farbe, auf mittleren und größeren, selten großen Tafeln. Viele Kleinstadtmotive in verwinkelte Segmente zerlegt und in fantasievoll tanzende Bewegtheit gebracht: „Ein Ort nirgends”, wie ein Titel adaptiert. Nachtstimmungen mit Schafen, Orientalisches auch, Reise-Impressionen. Auf dem Tisch springen noch feuchte Aquarellstudien in die Augen: üppige Blumen, Winden, dann auch erkennbar Annaberg in gelbem Licht, die Bergkirche in Abendtönen, blaue Durchgänge. Konkret, gekonnt und leicht, keine Detailpedanterie. Zu selten kommt sie zum Malen oder Skizzieren in der Natur, was sie für unverzichtbar hält.
Nach ihrem Werdegang befragt, schildert sie ein selbstbewusstes Vorangehen zu ihrem heutigen Kunstleben. Aber auf was für Umwegen:
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Geboren im Thüringischen 7.000-Seelen-Ort Ohrdruf, war das Künstlerische dennoch sehr nah. 
Die Zeichnungen des Vaters, ein Steinmetz, sprachen sie an und hielten sie fest. Im Unterricht - mit einer Stunde pro Woche war, wie heute, - in den Schulen nicht viel auszurichten, dafür in den Zeichenzirkeln am Nachmittag. 
In der neunten Klasse bewarb sie sich mit einer Mappe an der Leipziger Kunsthochschule mit dem Ergebnis, dass der freundliche Professor sie ermutigte, weiter zu machen. Mehr nicht, aber auch nicht weniger. Den Berufsempfehlungen der Familie entzog sie sich und ging an die Medizinische Fachschule nach Eisenach. Krankenschwester sollte sie werden. Sie wär´s geworden, hätte nicht der Körper gestreikt.

Paul Raboldt, komödiantischer Schauspieler und fantasievoller Regisseur am Annaberger Theater, Sabine Sachsens Großonkel, vermittelte sie als Praktikantin in den Malsaal des Theaters. Dort blieb sie von 1978 bis 1983, um viel zu lernen, ihr großzügiges Verhältnis zur Farbe zu entwickeln, aber sicher auch den Umgang mit dem Kosmos von Materialien, die Effekt machen, auszuprobieren.

Heute stehen Papierstatuetten, Körper und Kollagen im Atelier, aber auch die Malunterflächen sind durch Aufbringen von Papier strukturiert. Sie experimentiert viel.
In Annaberg lernte sie auch ihren Mann kennen, der Theaterwissenschaften in Berlin studierte. Dann kam der Sohn, der heute im weit entfernten Frankfurt lebt.
Nach der Theaterzeit - Selbststudien in Öl- und Aquarell. Telefonisch meldete sie sich schließlich zur Berufsausbildung an. Um die Familienexistenz mit zu sichern, erlernte sie den Beruf einer Kindergartenerzieherin. Da die Erzieherausbildung zu DDR-Zeiten eine enorme Breite an künstlerischen Fähigkeiten und Fertigkeiten beinhaltete und forderte, kam ihr diese Tätigkeit auch von dieser Seite entgegen. Arbeitsort: Kindergarten in der Villa Clara, Johannisgasse. Dass dort einst das Edelatelier mit Malschule von Arthur Wirth, einem Kunstmaler in Annaberg, sein Domizil hatte, war ihr unbekannt.

Schließlich Umbruch oder Wende 1989/90. Im zurück erhaltenen Familienhaus ihres Mannes, neue geschäftliche Anfänge nach etlichen Brüchen. Raum für Atelier. Der Traum vom Malen, Gestalten war stark wie noch nie. Mit Hilfe ihrer Eltern studierte sie, endlich, nebenberuflich fünf Jahre (2002-2007) am IBKK in Bochum, u.a. in der Meisterklasse bei Prof. Bruno Konrad (Dresden) und Era Freidzon Malerei/Grafik. 2006 dann das Diplom. Mit dem Mut des Kreativen wurde sie Freiberufler mit allen Freuden, aber auch den existentiellen Risiken der neuen Zeit: Sich durchboxen, präsentieren, ausstellen, aber auch leben müssen. Wie bei vielen Künstlern, bekam der Begriff „Bildende Kunst“ nun eine doppelte Bedeutung. Sie begann mit Mal- und Gestaltungs-Kursen an der Volkshochschule Chemnitz und Annaberg, unterrichtet im Ganztagsprogramm von Schulen und im eigenen Atelier, wo sie bei unserem Besuch gerade eine junge Frau unterrichtete, die eine Mappe für die Bewerbung an der Fachschule Schneeberg vorbereitet.

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AW: Frau Sachs, ist es heute schwerer mit Kindern zu arbeiten 
als vor der PC- und Spiele-Zeit?
Sabine Sachs: Eigentlich nicht. Sobald die Kinder angesprochen sind, arbeiten sie ganz locker und freudig mit, entwickeln Fantasie und wählen gern die Zirkel.

Aus welchen Schichten kommen Ihre Schüler im Atelier oder der VHS?
Das ist ein breites Spektrum; vom Verwaltungsangestellten, Selbständige, Jüngere, Senioren, Geschäftsführer.

Was für Unterstützungen gibt es heute seitens der Stadt Annaberg-Buchholz?
Eigentlich keine, wenn man sich nicht selber kümmert. Vor zwei Jahren hatte die Oberbürgermeisterin einige Künstler geladen, um mit ihnen über Zusammenarbeit zu sprechen. Leider ist aus den Ideen kaum etwas geworden.

Gibt es denn heute noch Auftragskunst von Firmen oder von der Stadt oder vom Landratsamt?
Sehr selten, eher nicht. Für den Handel arbeite ich nicht mehr so gerne; die Vorgaben sind schematisch und entsprechen hauptsächlich dem Massengeschmack.

Gegenwärtig wird über die Notwendigkeit einer Städtischen Kunst-Galerie diskutiert. Wie denken Sie darüber?
Die gab es ja schon mal. Ich bin sehr dafür, zentrale Präsentationsräume mit Verkaufsmöglichkeiten zu haben.
 
Darüber hinaus wäre es für Sabiner Sachs und ihre vielen Künstlerkollegen wichtig, mehr öffentliche Förderung, ja Aufträge zu bekommen. Der öffentliche Raum, Amtsstuben, Schulräume gewännen an Farbe, Leichtigkeit und Identität mit der hiesigen Künstlerschaft. Dazu gehört auch, dass Besucher unserer Stadt in einer Galerie die Werke der hier ansässigen  KünstlerInnen ausgestellt finden kann, sich daran Kontakte knüpfen oder schlicht weg Bilder gekauft werden können. Nicht nur Touristen mit Geschmack suchen danach, sondern vielleicht auch zunehmend wieder die Bürger der Stadt, die ihre Wohnungen endlich mit mehr als nur billigen Reproduktionen und dennoch wohlfeil gestalten wollen. Und nicht wenige sammeln Kunst... 

Es lohnt sich, im „Atelier Rosa“ vorbei zu schauen, sich mit der Künstlerin zu 
unterhalten, an den preiswerten Kursen (siehe unter 
www.atelier-rosa-sabine-sachs.de) – auch für Kinder und Jugendliche – teilzunehmen, oder auch mal ein etwas anderes, niveauvolles Geschenk für die verschiedensten Anlässe hier zu erwerben. 

Text und Fotos: Eveline Figura

Weitere Informationen unter: 

Atelier Rosa
Sabine Sachs
Obere Wolkensteiner Gasse 3
09456 Annaberg-Buchholz
Tel.: 03733-4196552
info@atelier-rosa.de
www.atelier-rosa-sabine-sachs.de



Steine, Gewölbe und Lebenslinien

Die Zwickauer Malerin Elisabeth Decker stellt Werke in der Galerie Ratsherren-Café in Annaberg-Buchholz aus.

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Galerieleiterin Bärbel Rothe (stehend) begrüßt Elisabeth Decker und Heidi Bergmann 
(Stirnseite von rechts nach links) zur Ausstellungseröffnung im Ratsherren-Café.

Elisabeth Decker, die 81jährige, im böhmischen Dux geborene Zwickauer Malerin, präsentiert mit ihrer kleinen, sieben mittelformatige Bilder zählenden Ausstellung, Endpunkte ihrer bisherigen Vervollkommnung. Als Künstlerin ist sie bekannter Teil der Zwickauer Malschule, unter deren Initiatoren Karl Heinz Schuster und Prof. Carl Michel sie sich entwickeln konnte.AW - Decker 3

Die Bilder der Malerin sind kräftig in der Grundstruktur und Farbgebung, mit denen sie vorrangig versteinerte Welten darstellt als Symbole menschlicher Lebenssituationen und Fühlstrukturen. Manches geht ins Abstrakte, so das Bild „Eine Form von Schmerz” oder eine ihrer letzten Gemälde „Lebenslinien”, was so betitelt schon Inhalte festschreibt. 

Zur Vernissage am 8. August kam die Künstlerin mit der Verstärkung einer Freundin: Heidi Bergmann, Lyrikerin, sprach über das Kennenlernen, die lange Freundschaft, in der auch gemeinsame Bücher entstanden sind. Sie rezitierte schließlich zu jedem der ausgestellten Werke poetische Wortgebilde oder Sinnbilder, die auch nachzulesen, neben den Bildern angebracht sind. Was bei abstrakten Motiven noch als Interpretations-vorschlag durchgehen kann, ist bei „Rote Felsen, Napatea” oder „Hochgebirge, Gletscher” eher verwirrend und die Rezipienten von den eigenen Gedanken ablenkend gewesen, was sich dann auch im etwas schwerblütigen Künstlergespräch andeutete. 

Frau Decker hob hervor, dass sich jeder jedoch sein Bild selbst machen soll und bei weitem nicht alle ihre Werke textlich begleitet seien. Die Bildsprache der Künstlerin ist so aussagestark, dass eigentlich keine Programmmusik nötig ist. Und so hängen die plastisch wirkenden Zweidimensionalen an der Wand und beinhalten Urzustände. Die Betrachter werden  ihren Weg, den Gang ans Meer und am Wasser, durch Höhlen, Bergwerksysteme und Kulturszenerie aus aller Welt finden und angerührt, bedrückt oder befreit werden. Steine geben auch Sicherheit, sind schlecht verrückbar, alt und vielfältig schön. 
AW - Decker
Diese Schönheiten sind nun Teil der schon langen Reihe von Ausstellungen an diesem Ort, die unter der Leitung der Kunst-Fotografin Barbara Rothe in zehn Jahren einander ablösten. Große Namen wie Karl-Heinz Westenburger, Erhard Vorberg, Ilona Langer, aber auch junge Grafiker wie Robert Schmiedel waren darunter. Nun ist die Folge noch ein wenig vollständiger, denn Elisabeth Decker, deren Tryptichon „Sisyphos” im Zwickauer Rathaus mahnt, gehört schon zu den malenden Altmeisterinnen unseres Großraumes. Ihre Werke werden bis zum 28.11 2012 im Ratsherren-Café am Markt in Annaberg-Buchholz zu sehen sind
 

Eveline Figura



Liebe in Zeiten der Kälte

Hans Falladas „Kleiner Mann - was nun?”  im Annaberger Eduard-von-Winterstein-Theater erhält das Prädikat „wertvoll“ und wird insbesondere der Schuljugend und der Lehrerschaft empfohlen.

„Kleiner Mann - ganz großartig“ kann man das Stück nach dem berühmten Fallada-Roman von 1932 heute bezeichnen, dessen Inszenierung am 12. Februar am Annaberger Winterstein-Theaters Premiere hatte. Deshalb ist es auch nicht zufällig, dass es am Theater Freiberg auf dem Spielplan steht, was wohl mehr an der brennenden Aktualität des Stoffs als an einer kaum abgestimmten Spielplanpolitik liegen dürfte.

14. Feb. 2012

Die Regisseurin Tamara Korber hat die Geschichte von Herrn Pinneberg und seinem Lämmchen, die durch ihre reine Liebe die Menschen vernichtende Ausbeutung in Zeiten von Wirtschaftskrisen und Demoralisierung im Großstadtdschungel gerade noch überstehen konnten, verständlich, anrührend und mit deftigem Sarkasmus in Szene gesetzt. Das Schauspielensemble hatte denn auch reichlich zu tun: manche der Protagonisten agierten in bis zu sechs extremen Rollen, die meist verständlich interpretiert und spielerisch gut bewältigt wurden. Manches blieb aber auch in Andeutungen stecken oder kam laienhaft flach über die Bühne.

Fotos: Annaberger Theater (c) Dieter Knoblauch

Augenfällig belebt und illustriert wurde die Großstadtszenerie, in ihr die individuelle Vereinzelung, Versuchungen und schließliche Vernichtung von Menschlichkeit durch pantomimisch-tänzerische Ausdrucksmittel der Protagonisten dargestellt werden, die in wiederholender Rhythmik an die Stadtkritik der „Metropolis”-Filmbilder erinnern. Somit beschreiben sie als lebende Kulisse das Aktionsfeld der Hauptdarsteller (Choreographie Sonja Elstermann).

Das Lämmchen (Helene Aderhold-Goos) ist die reizende blonde Naive, die mit ihrem praktischen Lebenssinn, nicht zu erschütternder Liebe das durch Arbeitslosigkeit, Hunger, Drogen, Prostitution und aufkeimenden Rassenwahn extrem bedrohte Leben scheinbar im Blindflug meistert. Ein Typ Frau, der bis heute und hier jedem Mann behütend unter die lebensunfähigen Arme greift und diesem selbst die Angst vor schreiendem Nachwuchs nimmt.

Die Aderhold ist quirlig, ohne Überdrehtheit, lieblich ohne verkitschte Sentimentalität. Ihre Stärke besteht in klarer Artikulation. Sie argumentiert ihre Liebe und überzeugt somit sogar einen Mann. Selbst den Zuhälter-Partner ihrer Schwiegermutter „zähmt” sie in die Schranken. Alles Schlechte prallt an ihr ab. Somit ist es „ihr” Pinneberg, der durch die Katastrophen des Arbeitsmarktes taumelt. Mathias Renneisen ist in dieser Haupt-Figur der oft allzu gerade Gatte. Er spielt ihn auch als den anständigen Kollegen, den intelligenten Verkäufer im Modehaus Mandel. Großartig hier die Verkaufsszene mit Nenad Žanić als verstockt-verdrehter, von Weibern getriebener Kunde und auch als „menschelnder Zuhälter” - und das alles in wirkungsvoller Sprechkultur.

Pinnebergs Unentschlossenheit, seine Anständigkeit, sein Sich-Heraushalten schützt ihn nicht vor dem Abstieg. Die Charakterrollen werden jedoch von anderen gespielt: Zuförderst Udo Prucha als pedantischer Schickanierer Kleinholz, Doktor, Puttbreese oder Spannfuß. Prucha gibt jeder Rolle ihre Charakteristik und er kann wirklich noch an der richtigen Stelle extemporieren, begründet, verständlich - sowohl laut als auch leise! Gleiches, aber in ganz anderer Gestalt, gilt für die komischste Gestik, vor allem für die feinfühligen Dialoge der Gabriele Kümmerling als jüdische Vertreterin. Sehr anrührend ihr kurzer Monolog zum Antisemitismus.

Endlich scheint auch bei Dennis Pfuhl in der Figur des Heilbutt eine Darstellungskunst durch. In den anderen Rollen überlagert zu oft kopierte Slapstick die Charakterzeichnung. Mehr gestische Ruhe gibt schließlich auch der Komik und dem Wort tieferen Nachdruck.

Tim Osten war in allen fünf Rollen ein verlässlicher Darsteller und blieb insbesondere in der kleinsten als Murkel im Gedächtnis. Maria Richter ist offensichtlich die Wandlungsfähigste unter den wirkungsvollen Zickenrollen des Stücks. Ihre mannstolle Kleinholz erhielt jedoch noch mehr Substanz bezüglich der Rolle innewohnenden Tragik, wenn die Textverständlichkeit an manchen Stellen prägnanter wäre. Die Mia Pinneberg der Marie-Luise von Gottberg gewann gerade dadurch ihre Differenzierung in den verschiedenen Situationen. Enorm grass in der Darstellung auch ihre zweite Dame bei Mandel.

Bei Fallada ist die Suche nach Menschlichkeit sichtbar links gerichtet. Sein Blick auf den kaum schon (stalinistisch) verhunzten Kommunismus gelingt verständlich und undenunzierend. Die Suche nach alternativen Lebensformen der „Wandervögel”, individuelle Flucht in die Drogen oder die Welt der „Nudisten” scheint auf. Die drei Nackten auf der Annaberger Bühne bringen das begründet umgesetzt über die Rampe, damit aber auch gleichzeitig die Verletzlichkeit dieser Theorien und Praktiken gegenüber der aufkeimenden Brutalität der Epoche. Die Ausstattung (Annabel von Berlichingen) ist sparsam, bewegungsorientiert und sinnvolle-spielerisch-leicht die Requisiten. Der Inszenierung gelang es, die Aktualität Hans Falladas in agile Szene zu setzen. Einige Reserven schlummerten aber noch in einer ruhigeren Figurenzeichnung und dramatischeren Textgestaltung (wie z.B. Monologe des Pinneberg und des Lämmchen).

Das Programmheft (Silvia Giese) strotzt zwar äußerlich vor Einfaltslosigkeit, rehabilitiert sich aber durch gescheite Inhalte, die den Theaterbesucher über Falladas Text hinaus mit in dessen Zeit nehmen, die mit unserer scheinbar durch nichts und doch mit so Vielem vergleichbar ist. Hier finden sich Fallada Texte zum Nachlesen, seine Vita, Brecht-Gedicht und aktuelle Informationen zum Thema Arbeitslosigkeit im heutigen Deutschland. Um den Wert eines solchen Programmheftes, auch für auswärtige Besucher oder Sammler zu steigern, wäre es angebracht, Hausadresse, Mail- und Hompage-Adresse sowie Telefonnummern des Theaters darin mit zu veröffentlichen.

Der Annaberger Inszenierung kann durchaus das Prädikat „wertvoll“ gegeben und für die Schuljugend und die Lehrerschaft wärmstens empfohlen werden.

Eveline Figura

Fotos: Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz



Sturm und Drang in Annaberg

Schillers Frühwerk „Die Räuber” - entstaubt, verständlich und meisterlich interpretiert – hatte am Winterstein-Theater seine umjubelte Premiere. Ein sehr erfolgreicher Schauspiel-Auftakt zur 120. Spielzeit.-382_Räuber

Das Annaberger Theater darf sich rühmen, häufig nach hoch stehenden Sternen zu greifen. So geschehen in der letzten Spielzeit mit der weltweit nur hier auf dem Spielplan stehenden anspruchsvollen Oper „Götz von Berlichingen” von Carl Goldmark. Die nach dem Sturm-und-Drang-Drama des jungen Goethe komponierte eindrucksvolle Oper hatte am vergangenen Samstag ihre erfolgreiche Wiederaufnahme in der neuen Spielzeit. Und nun, einen Tag danach, gleich Schillers Jugendgroßtat „Die Räuber”. 

Die umjubelte Premiere von zwei Stunden und 40 Minuten bewies erneut eindringlich wie konzentriert, engagiert und mit welch guten, jungen Kräften in kleineren Häusern gearbeitet werden kann. Die Leitung des Stückes lag dazu vollständig in den straffen und dennoch einfühlsamen Händen von Tamara Korber, der einfallsreichen Regisseurin, die die Abläufe szenisch gestrafft im unverstellten schwarz-weiß Bühnenbild von Annabell von Berlichingen platzierte, deren Kostüme zeitlos mit wenigen Verweisen an die Schillerzeit das packende Spiel untermalten. 
Die „Psychobox” auf der Hinterbühne, wohin sich die Darsteller in ihrer Zerrissenheit flüchteten, krümmten und kletterten, war allerdings verzichtbar. 
Die Hauptrollen waren alle komfortabel besetzt: Der Maximilian Graf von  Moor durch den Altmeister Gerd Schlott geprägt, der mit kränkelndem Beharrungssinn dennoch den Intrigen seines Sohnes Franz unterliegt, seinem eigenen Versagen mit mimischer und stimmlicher Vielfalt Gestalt verlieh. Der ungeliebte Sohn Franz, gespielt vom „Annaberger Gründgens”, Sven Zinkan (Foto oben mit Helen Aderhold), überzeugte mit seiner wunderbaren Wandlungsfähigkeit nicht nur in den verschiedensten Werken und Genres, wie sie mit ihm in Annaberg bisher schon erlebbar waren, sondern gerade in dieser wahrlich verrückten Gestalt des Franz, der seine verbal beschriebene Hässlichkeit hier nicht als sichtbare Entstellung zeigt, sondern diese in seiner unberechenbaren Zerrissenheit, in seinem Charakter spielt. Wahrlich: Ein großartiger Charakterspieler, dieser Zinkan! So schwankt er zwischen introvertiertem, körperlich verdrehtem Jammern und Gekränktheit als hintan gesetzter Sohn zu raffinierten Intrigen, die mit getarnter, zielstrebiger Grausamkeit durchgeführt werden. Zinkan deklamiert sowohl leidenschaftlich expressiv als auch in leisesten Selbstgesprächen immer kultiviert und die Mittel wägend. Sein Tod schließt damit auch das Bedauern des Zuschauers ein, weil er sein Scheitern auch bis ins gesellschaftliche Beziehungsgeflecht verdeutlichen konnte.

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Der zum „guten” Räuber getriebene Karl Moor wird ansehnlich in Sprache und Gestus von Nenad Zanic (Foto u.a. mit Udo Prucha) gegeben. Vielleicht wirkt er als über die Stränge schlagender Leipziger Student noch zu lange Zeit als zu wohlanständig in seinem immer mehr brutalisierten Räuberhaufen, den er mit Humanität zu disziplinieren meint. Sein Tod, gemeinsam mit Amalia, als Bekenntnis zu seiner Liebe, ist die Abkehr von Anarchie und Gemeinheit. Die einzige weibliche Rolle, gespielt vonHelene Aderhold als zupackende, selbstbewusste und temperamentvolle Frau, überzeugte zwar darstellerisch, in Ausstattung (albernes Flügelröckchen, heißen Höschen und Frisurwolle) und manchen Extemporés (Trampelattacken auf der Bühnenschräge) nicht durchgehend. Manche Sequenz hätte noch mehr sprachliche Ausgeglichenheit benötigt, um zu berühren. Am meisten Diskussionsstoff gaben aber wohl die Räuber her. Eine wilde Truppe etwa zwischen „missbrauchten Kindersöldner” und „Olsenbande” angesiedelt. Dennis Pfuhls Spiegelberg zwischen Anstifter und Nonnenvergewaltiger war durchaus differenziert, aber er hätte mehr erwachsenen Zynismus und weniger pubertäre Quirlichkeit vertragen. Udo Pruchas Schweizer wirkte als Mörder Franzens anständig, sein Freitod daher begründet. 
Der Schufterle Jörg Simmats als der Brutale überzeugend, wechselnd in den Motiven und Gestaltungselementen. 
Die Figuren des Roller und Kosinsky von Hannes Sell waren wohlbegründet figuriert und gut artikuliert. Auch der Hospitant am Theater, Samuel Schaarschmidt, hielt tapfer mit den studierten Mimen beim Räubern Schritt. 
Viele Kabinettstückchen aller erster Güte in seinen zwei Rollen lieferte in seiner Fies- und Feigheit der Herrmann des Tim Osten. Seine im Suff endende Dekadenz sowie sein Pastor als Vertreter der das Volk spaltenden Obrigkeit, waren einprägsam und komödiantisch sehr gelungen.

Gut beraten war die Regie mit dezenten Videoeinspielungen von Wald, Blätterfall und gut platzierter Rockmusik, die sowohl die Gefühlslagen der Protagonisten und hoffentlich ebenso die vieler junger Zuschauer promotet.
Die Texte Schillers, derart verständlich dargeboten (einige nach hinten gesprochene Passagen und verhaspelte Texte bei den Räuberaktionen sind noch reparabel), haben sich allemal wieder als sehr heutig und brisant gezeigt. 
Sollten sich nun nur noch die Schüler und Lehrer der Gymnasien, deren Literaturstoff „Die Räuber” sind, genauso an- und aufregen lassen wie die jungen und älteren Zuschauer in der umjubelten Premiere in unserem Theater.

Eveline Figura

Fotos: Dieter Knoblauch / Winterstein-Theater Annaberg


Glanzvoller Jubiläums-Ball

Zum 20. Theaterball, der unter dem Motto „Ich lade gern mir Gäste ein“ stand, würdigte Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich das Kulturengagement der Stadt Annaberg und das des Winterstein-Theaters, dessen gesamtes Ensemble den Jubiläumsball mit einem fulminanten Programm veredelte. Am Samstag wurden die Publikumslieblinge gewählt (Namen siehe am Ende dieses Beitrages). DSC00866

Der Landkreis Erzgebirge durfte sich glücklich schätzen, innerhalb weniger Wochen gleich zweimal Sachsens Ministerpräsidenten Stanislaus Tillich (Foto rechts) und seine Gattin in seinen kulturvollen Mauern zu begrüßen: Erstens zu einem der Höhepunkte des Erzgebirgischen Musikfestes mit Haydns „Schöpfung” unter Simon Halsey, Kantoreien und der Erzgebirgs-Philharmonie Aue in der Annaberger St. Annen-Kirche, und nun zum 20. Theaterball der Stiftung ETHOS des Eduard-von-Winterstein-Theaters Annaberg und der Erzgebirgs-Philharmonie Aue am vergangenen Freitag im Ahorn-Hotel in Oberwiesenthal. DSC00936
Der Vorsitzende des Vereins ETHOS, Rolf-Jürgen Schubert (Foto links mit Gattin Evelin), begrüßte die Gäste des höchstgelegenen Theaterballs und überreichte Blumen an den Schauspieler Gerd Schlott, der seit 1989 in Annaberg auf der Bühne steht und viele Laienspielgruppen leitete. Blumen auch an die treueste Besucherin des Theaterballs, Frau Berg aus Bayern. Der Ehrengast, Sachsens Ministerpräsident, bedankte sich herzlich für die Einladung, die er mit großer Freude angenommen habe. Erneut hob er den „hohen kulturellen Anspruch” hervor, den das Annaberger Theater und das Orchester repräsentiere. Zu den vielen weiteren Einrichtungen, die Sachsen als „seltener Schatz” besitze, gehören allein elf Orchester, was z.B. weit über die Zahl der Klangkörper in ganz England hinausgehe, wie der Ministerpräsidenten den renommierten Chordirigenten Simon Halsey zitierte. Der Freistaat Sachsen sei ein Bundesland, das mit seinen Traditionen, der reichen Kultur und der Wissenschaft „den Menschen eine liebenswerte Heimat von Annaberg bis Zittau ist“. Er dankte ausdrücklich dem Engagement der von hier stammenden Bundes- und LandtagsabgeordnetenWerner Baumann und Steffen FlathLandrat a. D. Oettel, den Annaberger Oberbürgermeistern Klaus Hermann und Barbara Klepsch sowie dem zwanzigjährigen ehrenamtlichen Wirken des ETHOS-Vereins unter der Leitung von Rolf-Jürgen Schubert. Der Landesvater zeichnete das Ensemble weiterhin durch sein amüsiertes Interesse am dargebotenen Programm sowie sein Verweilen den ganzen Abend über besonders aus.
In seiner Begrüßung hob der Intendant des Theaters, Dr. Ingolf Huhn, mit seinem gewohnten Esprit hervor, dass der Theaterverein vor zwanzig Jahren gleich mit einem Ball das Herz des Publikum zur Unterstützung gewonnen haben, somit auch „Ball-Verein” betitelt werden könne. Das sehr umfangreiche Gala-Programm des Theaters vereinte diesmal die Erzgebirgs-Philharmonie Aue, die Künstler des Musiktheaters - die allerdings recht unparitätisch zum Einsatz kamen - und das Schauspielensemble in temperamentvollen, witzigen, die Genre übergreifenden Darbietungen aus dem laufenden, vielseitigen Spielplan sowie einigen Schmankerln künftiger Produktionen. Fünf Dirigenten zeigten ihre Handschriften, von denen insbesondere die Wagneriade „Happy birthday” unter GMD Naoshi Takahashis und Dieter Klugs (1. Kapellmeister) „Kiss me, Kate”-Dirigat die Philharmoniker zum strahlen brachte. Das Publikum genoss anschließend das Walzer-Tanzen zum großen Ballorchester sichtlich sowie die Tanzmelodien der Band bis in die frühen Morgenstunden. Im Foyer des Hotels wurde gepflegte Barmusik intoniert. Das Personal servierte gekonnt ein noch optimierbares Dreigang-Menü und ein unübertreffliches Eis- und Dessert-Buffet. 
Ein wunderbarer Abend also für alle Beteiligen und Gäste. Ob man die dann im kommenden Jahr nicht doch mal zum 21. Theaterball nach Annaberg locken sollte, um den Glanz eines solchen gesellschaftlichen Ereignisses dort erstrahlen zu lassen, wo die Protagonisten ihr künstlerisches Zuhause haben, dürfte nicht nur eine Überlegung wert sein. Und warum nur 1.50 Euro/Karte von den relativ hohen Eintrittspreisen in den doch so rührigen ETHOS-Verein fließen, bleibt ein Geheimnis der Kalkulatoren… DSC00919

Der Ballabend wird am Samstag wiederholt und durch die Bekanntgabe der Publikumslieblinge gekrönt werden, die soviel „Theater für ein erfülltes Leben” veranstalten, wie der Intendant mit Stolz und sehr berechtigt seinem Ensemble attestierte.

Und die Zuschauer können nicht nur Stolz auf ihr Theater, sondern auch glücklich darüber sein, dass Annaberg-Buchholz über einen derart rührigen und künstlerisch anerkannten Musentempel verfügt. Für viele ist das Theater zu einem unverzichtbaren Lebens-Mittel geworden. Tun wir alles dafür, dass auch die anderen noch auf den Genuss dieser Notwendigkeit kommen, und dass dieser „seltene Schatz mit seinen hohen kulturellen Ansprüchen“, wie der Ministerpräsident formulierte, uns nie verloren gehen möge.                                                                Eveline Figura

Nachtrag: 
Am Samstag wurden folgende Ensemblemitglieder
zu Publikumslieblingen 2012 gewählt:

Musiktheater:

Madelaine Vogt
Leander de Marel

Schauspiel:

Sven Zinkan
Maria Richter 
(die das Haus verlassen muss, 
da ihr Vertrag nicht verlängert wurde) 
 



Mark Twains Dauerbrenner auf den Greifensteinen

Tom Sawyer und sein Freund Huck locken die Besucher

auf eine der schönsten Freilichtbühnen Europas-80_Sawyer
Fotos: D. Knoblauch, Theater Annaberg

Die Greifenstein-Festspiele des Eduard-von Winterstein-Theaters ziehen auch in diesem seltsamen Erzgebirgs-Sommer das treue Publikum auf die Ränge der wunderbaren Felsenbühne bei Ehrenfriedersdorf. Viele Familien nutzen mit ihren Kindern den Besuch der Spektakel mit einem Bad im nahegelegenen Greifenbachstauweiher oder gar auf dem Kletterareal gleich neben dem Parkplatz der Freilichtbühne. Wie richtig das Theater mit der Wahl des Stückes liegt, das am 9. August seine erfolgreiche Premiere hatte, zeigte die total ausverkaufte Arena. Sozusagen „mit Kind und Kegel” waren die Besucher geströmt und wurden nicht enttäuscht, hat doch Mark Twains Dauerbrenner „Die unglaubliche Geschichte von Tom Sawyer und Hucjelberry Finn” alles - hier nach der Bühnenfassung von Gerold Theobald und der Musik von Rudolf Hild (der auch die musikalische Leitung der Aufführung hatte) - was jugendliche Herzen mögen: Wildwestflair, Freundschaft, Jugendliebe, Anständigkeit und auch noch sozialen Hintergrund. -253_Sawyer

Die Inszenierung vonAndreas Ingenhaagbrachte die verschiedenen Spielsituationen schlüssig, manchmal etwas zu weitschweifig, über die Rampe, obwohl natürlich im Freilufttheater immer gegen Kamera-Raffinessen der bekannten unzähligen filmischen Fassungen und die Weite der Arena anzuspielen sind. Das tat denn das gut besetzte Schauspielerensemble nach Herzenslust mit weiten Gesten, kräftigem Ton und an den überzeugendsten Passagen auch mit ausdrucksstarker Sprache und elegantem Pathos. Voran die Tante Polly der Gabriele Kümmerling, der Richter Thatcher von Gerd Schlott und gleich in vier Rollen (Lehrer, Pfarrer, Hank und Dr. Robinson) Udo Prucha

Das Ensemble gab sich redlich Mühe, die weit auseinander liegenden Spielflächen zu füllen. Sven Zinkan als Tom Sawyer an der Spitze, kann er doch jugendlich albern, ist beweglich bis in die Haarspitzen (siehe auch seine Travestie in der aktuellen „Rocky Horror Show”), singt stimmungsvoll und spielt auch noch die Mundharmonika (Musik: Rudolf Hild)! -398_Sawyer
Sein Aussteiger-Freund Huckleberry Finn, dargestellt durch Dennis Pfuhl, der spielt, was er kann. Ihm gelingen die Gags aber erst, wenn die dramatische Fassung Fahrt aufnimmt, verstärkt durch Kraftausdrücke, Pferde, Peitschen- und Pistolenknallen. Besonders stark in seiner menschlichen Geste am Ende des Dialogs mit dem Neger Jim, den Matthias Stephan Hildebrandbeeindruckenden Charakter verleiht. Ansonsten sind die anderen Darsteller typgerecht eingesetzt, so Kerstin Maus als niedliche Becky und Tim Osten als überzeugender und spielgewander Trunkenbold. Es fällt auf, dass der auf die zerrissenen Gestalten wohl ein Abo hat, was auf Dauer keine leichte Aufgabe ist und vom Publikum nicht immer richtig belohnt wird! Schließlich ist dieser Schauspieler zu mehr in der Lage, man sollte sein künstlerisches Pulver nicht derart verschießen... Dennoch hätten die Bösewichte böser, die Requisiten und einige Kostüme (Wolfgang Clausnitzer) farbiger, manchmal die Gags früher kommen und das ganze Stück um eine Viertelstunde gekürzt werden können. Lebhaft waren die Schüler eingesetzt, voran Sidney und Joe (Leroy Barth und Samuel Schaarschmidt). Das Publikum regierte auf kleinste Ereignisse und ging dann aus sich heraus, als es die Handlung, Musik und Regieeinfälle auch taten. 
Somit sei dem Theater zum richtigen Griff ins Bewährte gratuliert und noch viele trockene Vorstellungen gewünscht.
 

Eveline Figura


Dekorative Selbstfindung

Heike Carolis Acrylkompositionen sind in der Ratsherren-Galerie am Markt zu besichtigen. 
Es ist die 30. Ausstellung, die auf Initiative von Bärbel Rothe hier zu sehen ist.

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Sie hat es geschafft! Heike Caroli (auf Foto links), 43, Jahre, Erzieherin in der KITA „Pöhlbergzwerge” stellt ihre Kreationennun in der Kleinen Galerie des Ratsherren-Cafés am Annaberger Markt aus. Bisher war sie eher in Frisörsalons oder Arztpraxen zu sehen, zugegeben dort ist auch viel Publikumsverkehr. Bärbel Rothe, renommierte Fotografin, gilt als engagierte Initiatorin der Galerie-Aktionen und hat es auf schon 30 Ausstellungen gebracht, in denen gestandene ältere, aber auch viele talentierte junge Maler, Grafiker, Fotografen und Plakatgestalter anwesend waren. So verschieden waren auch immer die Handschriften, Malweisen, Gestaltungselemente. 2013-01-23 17.39.13

Zur Vernissage am 23. Januar 2013 an vollbesetzter Tafel begrüßte Gottfried Rothe im Namen seiner indisponierten Gattin Frau Caroli und viele Gäste sehr herzlich. Da ihm Kunst selbst ständig den Kopf bewegt, fand er passende und verständliche Worte für das Metier. Der Prozess des Gestaltens sei immer auch ein individueller Findungsprozess, der mit „Erfinden, sichtbar machen, sich finden, aber auch Selbstfindung und geistige Selbstbefriedung” zu tun habe. 
Dem stimmte Heike Caroli während einer angeregeten Diskussion zu, die angefangen hat zu malen, um Stress abzubauen und ihre Empfindungen heraus zu lassen. Die in kräftigen, ja grellen Orang-, Hellgrün- und Brauntönen gehaltenen Tafeln in verschiedenen Formaten und Verbindungen strukturieren sich in kräftigen Pinselstrichen, Spachtel-, Pasten- und Schaumplastik und erhalten durch den Betrachter gewisse Assoziationen zu Gebirgsprofilen, Wüstendünen, Kreisen und Linien. 

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Frau Caroli experimentiert mit Schmelzglas oder Metallen als interessante Elemente auf grundierter Fläche und neuestens auch Figürliches mit Modelierpaste. Differenzierte, weichere und wärmere Farbengebungen könnten nächste Schritte in Fantasiewelten eröffnen. Thematische Untertitelung hat sie ihren Werken nicht aufgedrängt, gehört doch ihr begrüßenswerter Schaffensprozess dem dekorativen Gestalten an.

E. Figura

Die Galerie ist zu den Öffnungszeiten des Ratsherren-Cafés zugänglich.


Mephisto-Premiere

Das Annaberger Theater stellt sich mit einer anspruchsvollen und nachhaltigen Inszenierung 
einem großen Thema aus Vergangenheit und Gegenwart-523_Mephisto

Der Stoff ist bekannt wie kaum ein anderer, doch meist nur bei Literatur-, Theater- Filmkennern und Interessierten. Zugrunde liegt „Mephisto - Roman einer Karriere” von Klaus Mann, dem talentierten Sohn aus der Schar der (un)glücklichen Kinder unseres Nobel-Überdichters Thomas Mann. Klaus Mann hat in genialer Weise das politische, soziale und psychologische Klima der schillernsten, dann verheerendsten Zeit der deutschen und Weltgeschichte beschrieben, die sein Volk und ihn in den Suizid trieb. Es sollte keine Autobiographie und kein Outing eines konkreten Menschen, der Karriere machte, sein. Und doch ist er, sind sie alle anwesend: Seine Familie, Freunde, Kollegen und er, der bedeutende, bis heute charismatische deutsche Schauspieler, der alle blendete, faszinierte, sie alle letztlich an den Nazi-Staat verriet und dennoch nicht scheiterte - Gustav Gründgens. Es ist nahezu unmöglich, auch bei dieser Inszenierung nicht an Gustav Gründgens zu denken. Jenem karismatischen Mimen, der von den Zwanzigern bis zu seinem Tode in den sechziger Jahren den deutschen Theaterhimmel zum Erstrahlen brachte. Ein Weltstar war er nie; das war der Preis für die Nähe zu Hitlerregime, wo er Generalindendant und Preußischer Staatsrat des Berliner Staatsschauspiels geworden war. Ob er in dieser Funktion jüdischen oder politisch gefährdeten Kollegen half, ist schon zweitrangig, denn ihm gelang alles in seiner Vermessenheit, aber er verlor auch alle, die in liebten, die sich dem Wahnsinn durch Suizid, Exil entzogen, oder sich im Widerstand opferten.
 
Das Bühnenstück entstand nach Klaus Manns Roman von Ariane Mnouchkine, die aus der Fülle der in der Romanvorlage enthaltenen Psychogramme Bühnenfiguren schuf, die aufregen, schockieren, verführen und berühren. Das Geheimnis dieser erfolgreichen Inszenierung (Regie: Dietrich Kunze) lag bereits in der Rollenbesetzung und danach in der Herausarbeitung der Typenzeichnungen. In der Hauptrolle des Hendrik Höfgen spielte der sehr jugendliche Hannes Sell zunächst einen ganz normalen Schauspieler, der nur für seinen Beruf lebt, sich dem linken Widerstand mit Worten verpflichtet fühlt, exzentrisch in Liebe und Hass agiert. Er spielt glaubhaft die Widersprüchlichkeit des Charakters, die menschliche Kühle, aber kann doch nicht das „Schillernde” das „Aasige” (Klaus Mann), das Außergewöhnliche über die Rampe bringen, was diesen Schauspieler schließlich in die Nähe der „absoluten Macht” trägt. Er spricht prononciert, auch mit dem ganzen Körper. Aber zur Typgestaltung bedarf es hier stärker den Willen zum Verlassen des Alltäglichen, auch den zum Abheben. Das wäre möglich gewesen, wenn die Regie für diese Hervorhebungen zu Straffungen in der Handlung bereit gewesen wäre.-319_Mephisto

Durch die relativ bleibende Gleichwertigkeit der meisten Haupt-Darsteller, gelingt es Nenad Žanić als den Kommunisten Otto Ulrich (an den großen Theatermann Hans Otto erinnernd), seine Kunst im Dienste einer neuen Gesellschaft charakterstark, menschlich und trotz oder gerade wegen des ideologischen Überschwangs kraftvoll und sympathisch zu entwickeln. Das tut er mit Empathie, warmen Stimmklang, aufopfernd und mit Hinwendung zu den Kollegen, z.B. dem Theaterdirektor Gottschalk und dessen jüdischer Frau. Gerd Schlott und Gabriele Kümmerling überzeugen in diesen Figuren ohne Sentimentalität, deren Vorbilder an den gleichnamigen Schauspieler und dessen Freitod mit seiner Familie erinnern. Die jüdische Kollegin Martin (Gisa Kümmerling) spielt die Lebenslustige wie die ausweglos Verzweifelnde überzeugend. Der an Naziideale glaubende Hans Miklas, zerissen, fahrig, scheiternd und selbstmörderisch aufbegehrend, überzeugend dargestellt von Dennis Pfuhl, schafft dadurch auch Wandlung seiner Gestalt. Der „bürgerliche Block”, die Mann-Aristokratie, bekommen ästhetische Formgebung (auch durch die eleganten Kostüme: Brigitte Golbs). Ausdrucksstark in Sprache und Spiel Marie Luise von Gottberg (Erika Bruckner, die Schwester von Sebastian Bruckner), Jörg Simmat (Sebastian alias Klaus Mann) und Maria Richter als Nicoletta, alias Pamela Wedekind. Alle Drei zeichnen ihre jeweiligen Charaktere, aber leider mit zuviel bürgerlicher Contenance. Das provokative Ausbrechen von Erika und Klaus Mann sowie Pamela Wedekind und Gustav Gründgens im Theater, der Gesellschaft und im späteren, wenn auch verdeckten, homoerotischen Gefühlskosmos klang so kaum an, wäre aber heute durchaus verkraftbar und erklärte zum Teil auch ihr Exil nach 1933. Die für Höfgen schwärmende Theresa Herzfeld der Helene Aderhold kam über ihr zartes Fragen und Dulden zunächst nicht hinaus. Allerdings in den Proben-Szenen des revolutionären Theaters überzeugte sie u.a. mit ihrer grotesken Hitlerparodie.-448_Mephisto
Kerstin Maus als Juliette, Höfgens Geliebte, bewegt tanzend und spielend, fehlte dennoch die letzte Verworfenheit, wird doch sonst nicht klar, warum sie sich im „bunten” Theater der Zwanziger nicht sehen lassen soll. Leroy Barth spielt ergreifend den 15 jährigen, sich aus Hunger prostituierenden Knaben sowie später einen strammen SA-Jüngling. Die Gruppe der Nazi-Sympathisanten in Höfgens Theater wird durch Hans Miklas (Dennis Pfuhl), Herrn Knurr (Udo Prucha) und Frau Efeu (Kerstin Maus) repräsentiert und glaubwürdig aus ihrem Milieu heraus, nicht denunziatorisch, in gekonnten Charakterstudien gezeichnet.
Die darstellerischen Höhepunkte waren die Außenseiter: Die Figur des Teophil Sarder als „größten Dramatiker der Welt” von Tim Osten zwischen Wahnsinn und Verblendung in die nachsichtige Großzügigkeit seiner Entourage gestellt, war überaus sehenswert. Aber richtig gruselig wurde Osten dann als Nazi-Intendant Hans Josthinkel: Schmierig bis in die Frisur, heimtückisch bewegt und perfide intrigant, spielte er diesen Funktionär stimmlich fistelnd bis drohend, Pralinen naschend, Angst einflößend. Anschwellende Marschmusik, Stiefelklatschen, dazu Peggy Einfeldt (Musikalische Leitung) live am Klavier mit mächtigen Akkorden und bekannten Schlagern sowie Gründgens-Titeln entstand im kongenialen Bühnenbild von Wolfgang Clausnitzer eine dichte Atmosphäre. Rasche, auf die Drehbühne orientierte Theaterszenerie mit wenigem, aber passenden Möbeln und Vorhängen, die am Ende von Hakenkreuzen dominiert wurden, unterstützten aktiv das Spiel von Hannes Sell, der nun als umjubelter “Mephisto” in Berlin schier verzweifelt an der Welt, die er gestützt: „Ich bin doch nur ein ganz gewöhnlicher Schauspieler!”, - „Der stets das Gute will…” !?.
 
Der Hauptdarsteller trat dann noch einmal vor den Vorhang und bedankte sich gerührt für die große Unterstützung bei seiner kurzfristig übernommenen Hauptrolle, die Sven Zinkan geleistet hatte, der für diesen „Mephisto“  vorgesehen war, aber wegen eines Unfalls nicht spielen konnte. Den man sich aber durchaus demnächst anschauen sollte... 
Und dessen gelungenes Konterfei auf dem gut gestalteten Plakat man sich auch gerne anstelle des mausgraugrünen Programmheftes (inhaltlich aber sehr informativ!) gewünscht hätte.

Eveline Figura 

Fotos: Dieter Knoblauch, Theater Annaberg


Erfolgreich, aber nicht glanzvoll

Das Cole-Porter-Musical „Kiss me, Kate” hatte am Annaberger Winterstein-Theater Premiere.
Wenn das, was aus dem Orchestergraben zu hören war, auch auf der Bühne sein Pendant gefunden hätte, 
wäre von einer erlebnisreichen Inszenierung die Rede gewesen.-576_Kate


Im ausverkauften Eduard-von-Winterstein-Theater hatte am Sonntag eines der frühen amerikanischen Top-Musicals eine recht erfolgreiche, aber keine glanzvolle Premiere. Das Stück von Samuel und Bella Spewack basiert auf der Unverwüstlichkeit mehrerer Komponenten: Die lange Erfahrung einer Paarbeziehung der Schreiber, der Verbindung von Bühne und Privatheit der Darsteller, der Wiederbenutzung eine der erfolgreichsten Komödien des Genies Shakespeare sowie der eindringlichen Raffinesse des Tons des Musical-Fachmanns Cole Porter. 
Die Story um die Zähmung der widerspenstigen Katharina hat in der Vergangenheit Legionen von Frauen und Männer wechselseitig amüsiert, und das wird auch so bleiben, solange das Zusammenleben beider Geschlechter durchaus als die größte der Lebenskünste gilt, die das besondere Maß an Intelligenz und Gefühl verlangt.
Das Positive der Inszenierung zu Beginn: Sie basiert auf der Orchestration von Don Sobesky vom Broadway des Jahres 1999, reduziert auf das notwendige Potential einer durch gekonnt gespielte Saxophone erweiterten Bigband (leider im Programmheft nicht zu lesen, wer die Philharmoniker hier verstärkt hatte!). Unter der kreativen Leitung des 1. Kapellmeister Dieter Klug(Foto) gelang es, das musikalische Esprit der vierziger Jahre, den adaptierten Cole-Porter-Sound zu transportieren. Klug gelange es dabei, einem Orchester, das in diesem Metier nicht ständig zu Hause ist, authentische Töne zu entlocken. Wenn das, was aus dem Orchestergraben von der Erzgebirgischen Philharmonie samt Big Band zu hören war, auch auf der Bühne sein Pendant gefunden hätte, wäre von einer insgesamt erfolgreicheren Inszenierung die Rede gewesen.AW - Dieter Klug

Musikalisch beschreibt er gleichsam die Gefühle der Liebe, die Ironie der Texte und den Witz der Situationen. Glücklich dabei auch die Verbindung der Ausstattung der Francesca Ciola bei Kostümen und Bühnenbild, beides durch Einfachheit und moderne Formenadaption aus der Renaissance das Spiel befördernd, Räume schaffend, die vom phantasiereichen Choreographen Alexandre Tourinho weidlich genutzt wurden, um das sehr junge Extraballett, das junge Gesangsensemble und den Chor/Extrachor(Uwe Hanke) Handlungs- und Schweiß treibend, gekonnt und sehr ansehnlich in Szene zu setzen.

Die Regisseurin Birgit Eckenweber (zuletzt verantwortlich für „
La Bohéme”) wird wohl ihre geheimen Gründe gehabt haben, einer Opern-Debütantin wie Therese Fauser die Kate/Lilli Vanessi und einem ehemaligen Wagnerbariton, Michael Junge, den Petruchio/Fred Graham zu übereignen. Die Fauser konnte trotz ihrer hübsch anzuschauenden, beweglichen Figur und ihrer angenehmen Stimme, die Faszination einer klug agierenden, faszinierenden, vor allem erotischen Frau - trotz vorn geschlitztem Kleide - nicht recht über die Rampe bringen. Fürs Musical braucht es mehr schauspielerische Mittel, vielfältige Mimik und Sprech-Stimmen-Klang, in den Songs (alles Ohrwürmer!) auch den Mut zu stabilen Tönen, manch abwegigeren Farben im Streite und eine klarere Artikulation, insbesondere der Konsonanten! Vielleicht bringen die Lockerungen der Darsteller nach der Premiere noch manche Facette hinzu… Michael Junge gab den Graham/Petruccio spielerisch zwischen abgewetzten Theaterklepper, fühlendem Mann und berechnenden Erbschleicher recht überzeugend, nicht jedoch in den musikalischen Anforderungen der Duette und Solosongs. Musical ist die schwere Kunst, Darstellung mit charakteristischer Stimmkultur zum Sound aus dem Graben zu modulieren. Verbrauchte Opernattitüden sind hier einfach unangebracht. 

Das junge Solistenensemble hingegen legte, so es rollen- und regiemäßig zugelassen wurde, Ehre ein. Das zweite Paar war spielerisch, stimmlich und sinnlich eigentlich das erste. Kerstin Maus als Lois Lane/Bianca bot eine wundervoll „runde” Leistung an Charme, stimmlichen Musicalfeeling sowie Beweglichkeit. Sie erntete dafür zurecht viel Applaus und Bravos! Partner Jason Nandor Tomory (Bill Callhoun/Lucentio), wie immer spielerisch und tänzerisch überzeugend. Stimmlich käme er noch angenehmer rüber, würden seine Pianos nicht zu oft guttural wegrutschen. Die Tenor-Freier, Frank Unger und Marcus Sandmann, originell und stimmlich präsent, wirkten allerdings darstellerisch unterfordert, wie auch das Ganoven-Duo Matthias Stephan Hildebrand und Leander de Marel, denen ihre komödiantischen Potentiale nicht in vollem Umfange abgefordert wurde. Im Unterschied zum „Wirtshaus im Spessart”, dort Lachsalven erzeugend, kamen sie hier im seit 1947 bekannte Duett „Schlag nach bei Shakespeare” etwas altbacken am Text klebend, auf jeden Fall leider arg gebremst, vermutlich auch mit Text-Strichen versehen, über die Rampe. Hier hätte die Regie den beiden Komödianten mehr Freiräume für ihre Entfaltung – auch bis hin zur Klamotte, schließlich geht es hier auch um Theater auf dem Theater - einräumen können. Kabinettstückchen hingegen boten der Töchtervater Max Lembeck (Harry Travor/Baptista) in kultivierter Sprachbehandlung der Shakespearetexte gepaart mit gekonnt gespielten Verzweiflungsgesten, der sehr amerikanische General Howell des László Varga mit angenehmen Gesangstimbre und die nervöse Theaterverliebtheit der Inspizientin von Juliane Roscher-Zücker. -472_Kate

Ob gerade im Anfangsensemble die allzu routinierte Beweglichkeit und Stimmcharakteristik der Bettina Corthy-Hildebrand als Garderobiere Hattie so glücklich gewählt war, lässt Zweifel aufkommen. Gilt doch gerade auf der Bühne, dass der erste Eindruck des Abends ein bleibender sei. Verzichten sollte man (nicht nur) im Musical auf alle pragmatischen Erwägungen wie z.B., dass die neue Stimme am Haus gleich die erste Hauptrolle bekommen muss, dass im Musiktheater immer jede Rolle von Sängern, gar denen von der Oper, besetzt werden müsse, dass Microports nur der Verstärkung zu dienen haben und die Musiker nur im Graben agieren dürften. 
Besonders gut gelangen die Beweglichkeit der Bühne, die offenen Umbauten, die Nutzung des großen Garderobeständers quer über der Spielfläche z.B. im Duett Maus/Tomory. Die schnelle, offene Bühne wurde indes nicht immer dem notwendigen Tempo des Spiels gewidmet. Manches zog sich, auch in den Dialogen am Anfang. Ob die Streichungen im Textbuch an den richtigen Stellen gelungen waren oder nicht, interessiert das Publikum schon nicht mehr so sehr, wie das unmittelbare Amüsement des Abends. Und da bot das Stück mit der unvergleichlichen Theatralik, der tollen Musik Porters und der Quirligkeit des Ensemble allemal ausreichend Kurzweil.
Wenn man allerdings Informationen über die spezifischen Regieabsichten oder die dramaturgischen Hintergründe dieser Annaberger Inszenierung erhalten will, dann sollte man nicht in dem an fremden Quellen reichen und uninspirierenden Programmheft (Micheael Eccarius) nachschlagen, sondern lieber beim Altmeister Shakespespeare selbst, - 
„denn da steht was drin...“

Eveline Figura
Fotos: Dieter Knoblauch, Theater Annaberg



„Reigen” ohne Skandal

Arthur Schnitzlers einstiges Skandal-Stück wurde im Annaberger Theater hauptsächlich als schauspielerische und akrobatische Meisterleistung geboten.

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Auf der großen Bühne, im spärlich besetzten Hause des Eduard-von Winterstein-Theaters Annaberg, ging am vergangenen Samstag ein Skandal-Stück ersten Ranges der Wiener Moderne zu Beginn des I: Weltkriegs anstandslos über die Bühne. Arthur Schnitzler entzog nach der Uraufführung und der folgenden Anklage wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses seinem Werk die Aufführungsgenehmigung auf Lebenszeit, bis es endlich, - unvergessen, wegen seiner sozialen Tiefe und Sozialkritik – „Der Reigen“ wieder die Bretter und Filmleinwände eroberte. -384_Reigen

In Annaberg hatte man die „zehn Dialoge” für zwei Schauspieler eingerichtet, die ordentlich am Bühnenumbau (Regie und Bühne: Gerald Gluth-Goldmannn), mit wenigen aber gezielt eingesetzten Requisiten sowie die Situationen malenden Kostümen ausgestattet (Annabel von Berlichingen) beachtlich zu tun hatten, um den jeweils fünf Charakteren Profile zu verleihen. Als Dirne, Stubenmädchen, junge Frau, süßes Mädel und Schauspielerin brillierte Marie-Louise von Gottberg, die nie mit grellen Tönen schon so manchem Kammerspiel überzeugende Darstellung verlieh. Den Frauen aus unterschiedlichstem Milieu gab sie verständliches, menschliches Gepräge. Den lustvollen Szenen genüssliches Eigenbedürfnis, und zusammen mit ihrem Partner, Sven Zinkan, viel Spaß voller Dynamik. Sven Zinkan, einer der besten Schauspieler des Hauses, gab seinen Figuren, dem Soldaten, einem jungen Herren, dem Ehemann, einem Dichter und dem Grafen wirkliche Gestalt. So schwankt der Soldat zwischen Sado und Maso als Aus-Nutzender der Frauen. Der junge Herr als pubertierender, gedankenloser Nichtsnutz. Der Ehemann als überlegener, süffisanter Großkotz. Als Dichter seiner Muse huldigend bis zum Tierchen, und als Graf selbstvergessend von der Schauspielerin besessen und die Selbstlosigkeit der Dirne schließlich bewundernd. Im „Reigen” geben sich zu Walzer- und Schlagerklängen die Figuren einander von Oben und Unten die Körperteile der Liebe weiter, allerdings ohne Liebe dem Mythos hinterher hechelnd, oder Aufkeimendes im Keime zu erstickend, bevor es beginnen könnte. 

Auf der Strecke blieb in der temporeichen und mitunter akrobatischen Inszenierung allerdings die Charakterisierung der menschlichen Verzweiflung der sozial Abhängigen. Die Frauen sind Opfer, aber sie machen das Beste daraus! Darüber darf man sich köstlich amüsieren. In unserer Zeit der reuelosen Freizügigkeit bekommt der „Reigen“ eine neue Dimension hirnlosen Hingebens und nach Legion zählendem Partnerwechsel. Kein Wunder, dass auch die Männer darunter leiden und – einschlafen, oder die „Mädels” im Publikum ständig an den falschen Stelle lachten, weil die Reize der Oberflächlichkeit zwar gekonnt inszeniert sind und meisterlich gespielt werden, dabei aber Inhaltliches, Hintergründiges – eben „Schnitzlerisches“ - im Vordergründigen verblassten.

E. Figura
Fotos: Dieter Knoblauch/Theater Annaberg




    Samiel, hilf!

    (13.1.2013) Die Enthusiasten der Oper hatten sich auf den Premieren-Abend vom „Freischütz“ lange gefreut, doch die Erwartungen wurden nur punktuell erfüllt. Carl Maria von Webers ’Unsterblicher Lebenshauch’, wurde in Annaberg mit zu viel Respekt vor der historischen Konvention inszeniert.


    Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz” ist die selbstbewusste und kenntnisreiche Abkehr vom übermächtigen italienischen Musikdrama seit der Uraufführung 1821 am Königlichen Schauspielhaus in Berlin und gilt seither als erste deutsche Nationaloper, da „seit Mozart nichts Bedeutenderes für die deutsche Oper geschrieben wurde als Beethovens ’Fidelio’ und dieser ’Freischütz’ ” (E. T. A. Hoffmann, 26. Juni 1821). Das Libretto von Friedrich Kind, stark in der Poesie der Liedtexte und Schlüssigkeit der Dialoge, weniger in der moralischen Betulichkeit der Handlung, sind indes nicht zu trennen und so „befreundet sich” in der nachnapoleonischen Zeit „die jüngst noch so zarte, nervenschwache Muse mit dem Satan, der Hölle…”. Und tatsächlich bedurfte es in der damaligen Gesellschaft schon starken Tobaks, sprich Teufelskerle, die sich reaktionär verfestigenden Verhältnisse am „Tanzen” zu halten, den gesamtdeutschen Willen der Freiheitskriege nicht wieder in die hunderte territorialen deutschen Försterstuben versanden zu lassen. 
    Insofern ist der „Freischütz” ein Tanz auf dem Vulkan und auf der Nase der Zensur zum Erhalt der Aufbruchstimmung. So schrieb denn auch der Theatergenius Berlins, E. T. A. Hoffmann, anlässlich der Uraufführung: „Man will nicht ergriffen, nicht gerührt, man will gepackt, geschüttelt werden, es soll sich das Haar sträuben, der Odem stocken…”. Und das soll heutzutage eine Inszenierung leisten angesichts von täglich konsumierten TV-Horrorszenarien und Monsterspielwelten von Kindesbeinen des Publikums an? Unmöglich! Deshalb war der Regisseur Ingolf Huhn wohl auch im Historischen verhaftet geblieben, seine bereits an anderen Theater in den Grundzügen bewährte Inszenierung in der Zeit der Romantik zu belassen und nur an Kulminationspunkten aufzubrechen. 
    Nahezu die gesamte Intension der Oper ist in Webers Ouvertüre musikalisch vorgegeben, und deshalb hat diese auch in den Konzertsälen eigenständig Berühmtheit erlangt. Aus dem Orchestergraben erklangen am Sonntag die bekannten Motive, allerdings vieles zu breit, zu behäbig angelegt. Auch ging es nicht ohne Irritationen bei den Bläsern ab, und den Jägerklängen hätte durchaus etwas mehr Temperament anhaften dürfen.

    Auf der Bühne dann gelang in den Eingangschören der Mädchen, wo Weber mit Mut, Sekunden-Intervalle in der „He, he, he”-Provokation und Engstirnigkeit komponiert hatte, dies war zu gestalten und das kräftige „Viktoria” des Männerchores sichtbar und hörbar zu machen. Max wird verlacht wegen seiner Fehlschüssen, und das taktgenau. Der reiche Bauer Kilian (Markus Sandmann) in gewohnter Frische und Übermütigkeit war der Aufgabe stimmlich und gestalterisch gewachsen. Da schien gleich am Anfang hoffnungsvoll etwas Musik-Theater auf, was aber im weiteren nicht durchgängig eingelöst wurde. Frank Ungers (Foto rechts mit Bettina Grothkopf) Auftrittsarien als Max strahlten in der Höhe und standen im schönen Gegensatz zu seiner überzeugenden Niedergeschlagenheit mitten im dunklen deutschen Wald. Was hier rührend war, blieb in seinem Wolfsschluchtauftritt stummfilmhaft statisch, zwar gut beleuchtet, aber wunderlich leise. Alle Darsteller waren dort in der gruselig gedachten Schlüsselszene irgendwie nur ab Taille aufwärts zu sehen oder von Hutkrempen verdeckt. Der halbe Kaspar dann in der wunderlichen Feuergrube (Bühnenversenkung) eingeschränkt agierend, die spukenden Schattengestalten im Hintergrund hinter einem Hohlweg lauernd. Samiel, der Teufel, schwebte als rot bedresste, verführerische Frauengestalt mit Männerstimme durch die Wolfsschlucht. Er hinkte ansonsten als Kriegsinvalide durch die Handlung (Rebekka Simon). 
    Der erste Jägerbursche Kaspar goss wirklich die Freikugeln und spielte das Gruseln, aber richtiger Theaterdonner im Sinne Carl Maria Webers „Rezept für ein Drama“ blieb leider aus. Darstellerisch überzeugend, sängerisch mit voluminöser Klangkraft und guter Textverständlichkeit war László Varga als Kaspar (Foto unten mit Ensemble) die durchgängig überzeugende Gestalt. Gelang es ihm doch, ohne Masken-Schnickschnack einen durch Krieg und Ausgrenzung gebrochene Person in Szene zu setzen. Besonders gelungen der mutige Regiegriff, den Eremiten am Ende der Handlung nicht als heere Lichtgestalt moralisieren zu lassen, sondern aus Kaspars Sterben, quasi aus dem Bösen das inhärent Gute, zu entwickeln. Nicht alle Zuschauer werden bei dieser Schlusssequenz mitgekommen sein, weil auch im ansonsten informativen Programmheft leider nichts über die Auflösung steht und der Eremit als solcher aus der Darstellerliste entfernt wurde. Es ist damit aber ein menschliches Ende gefunden worden, nachvollziehbar und bedauernswert. Als Figur ist Kaspar der einzige, der aufbegehrt und – deshalb – scheitert...
    Die Duldsamkeit der Agathe (Bettina Grothkopf) im unvorteilhaften, hellblauen, zugeknöpften Flanellkleid und mächtigem Blondhaar drapiert, imponierte mit klangvollen Pianos, schöner, ausdrucksstarker, strahlender Höhe, doch auch mit etwas (Regie bedingter) Atemlosigkeit in einigen Registerläufen. Endlich wurde auch im Terzett mit Max und Ännchen (Madelaine Vogt) Agathe zur selbstbewussten Frau, die ihre Liebesinteressen verteidigt. Das Ännchen ward anrührend gesungen, manchmal etwas verhaspelt gesprochen und neckisch-bewegt, in hübscher Ausstaffierung gegeben. Die Regie erlaubte ihr in prüder Zeit sogar kleine Flirts mit Max und Ottokar, dem Fürsten! Der als Gast mit angenehmen Bariton (Gonzalo Simonetti, ein Chilene aus Erfurt) die entgeisterte Gesellschaft zum versöhnlichen Ende organisierte. 
    Leander de Marel als fürstlicher Erbförster Kuno gelang es einmal mehr, auch dieser Gestalt ihren Charakter zu verleihen. Bei ihm und Markus Sandmann saßen sogar die Perücken und Ofenrohrzylinder einigermaßen ansehnlich. Von den zwei Schlagern des Abends sei noch gesprochen: Dem Jungfernkranz-Lied der Brautjungfern und dem Jägerchor. Das erste ward in den Strophen sehr Natur treu gesungen, denn nur weil eine eine Jungfer ist, muss sie nicht unbedingt schön singen können. Als Chorklang waren alle zusammen reizend – aber eben nur zusammen. Der Männerchor war mit Extrachor wohltönend verstärkt. Und die Försterstube barst – insbesondere als darin auch noch geschossen wurde. 
    Beide Chöre hatten Applaus verdient, aber es fehlte an dem Moment aus dem Orchestergraben, den man nicht komponierte Generalpause nennt, die man erfühlen muss, damit die musikalische Spannung das Publikum zum Jubel verleiten kann. So aber blieben beide Zugstücke der Opernliteratur am Premierenabend Applausfrei! 

    Die Ausstattung war in den Händen von Wolfgang Clausnitzer, der wirklich a l l e Bäume im deutschen Wald richtig platziert und die Geweihe an den Wänden der Förster-Hutzenstube symmetrisch hat anbringen lassen. Die Uniformen der Jäger grün, das Brautkleid weiß, manch blonde Locke einfach zu viel – und die Wolfsschlucht-Szene einfach blass!

    Der Abend war eine große Aufgabe für das Ensemble, dem man in der Premiere manch fehlende Übereinstimmung von Bühne und Orchester (am Pult GMD Naoshi Takahashi) anmerkte. Doch sollte man sich getrost die herrliche Musik vielleicht bei einer weiteren Vorstellung, wenn sich manches gesetzt hat, das Premierenfieber nicht vorhanden ist und eventuell noch ein paar Nachbesserungen umgesetzt wurden, noch einmal gönnen. 
    Wie allerdings junge Leute, deren Schulstoff der „Freischütz” ist, sich zu dieser Inszenierung verhalten werden, bleibt abzuwarten.

    Eveline Figura

    Fotos: Dieter Knoblauch/
    Winterstein-Theater, Annaberg



Kunst der kleinen Leute

Der Dresdener Jägerhof zeigt zum 100. Geburtstag die kulturelle Vielfalt kreativer Sachsen sowie zahlreiche Exponate der erzgebirgischen Volkskultur - aber auch die Gitarre von Anton Günther.Dresden_Jägerhof_

Unbestritten hat Annaberg die größte Ausstellung mit erzgebirgischer Volkskultur aufzuweisen. Diese kann u.a. sowohl in der so genannten „Manufaktur der Träume“, als auch im Erzgebirgsmuseum oder im Frohnauer Hammer besichtigt werden. Wer sich allerdings einmal einen Überblick über die Volkskultur von ganz Sachsens und die Zuordnung des Erzgebirges in den Freistaat verschaffen will, der sollte nach Dresden in die dortige Neustadt reisen. Auf der Köpeckestraße, nicht weit vom Goldenen Reiter, befindet sich der Jägerhof. Dieses  schöne Renaissance-Gebäude ist das älteste Baudenkmal der Dresdner Neustadt. Der ehemalig kurfürstliche Jägerhof bestand ursprünglich aus vier Flügeln, von denen nach der Zerstörung Dresdens durch englische und amerikanische Bomben nur noch der Westflügel verblieben ist.Anton Günther2013-08-28 12.23.18

Dieses noch immer sehr attraktive, wieder aufgebaute Rest-Gebäude beherbergt heute das sehenswerte  Museum für Sächsische Volkskunst mit zahlreichen Exponaten aus dem Erzgebirge. Hier ist auch die Gitarre von Anton Günther, dem Liedermacher aus Gottesgab, zu besichtigen. Sie hat das Museeum im Jahre 2011 von seiner Enkelin, Frau Major, erwerben können. Schließlich war der Gründer des Museeum, der Maler, Dozent und später Professor für kreatives Zeichen an der Dresdner Kunstgewerbeschule Oskar Seyffert (1862-1940) mit Anton Günther (1876-1937) befreundet. Seyffert, der am 6. September 1913, in Anwesenheit des Sächsischen Königs Friedrich August III, das „Landesmuseum für Sächsische Volkskunst“ eröffnen konnte, hegte eine große Wertschätzung gegenüber der „Kunst der kleinen Leute“, wie er das kulturelle Schaffen außerhalb der „erhabenen Kunst“ definierte. Ihm ist es auch zu verdanken, dass der Begriff der „Volkskunst“ differenzierter betrachtet wurde als das heute der Fall ist, wo sich nur sehr allmählich er Begriff der „Volkskultur“ für dieses ästhetische Genre zu etablieren beginnt. Museum Jägerhof

Seyffert wies auch durch seine Ausstellungskonzepte nach, dass diese Art der kulturellen Äußerungen und Veräußerungen durchaus wandlungsfähig ist und nur sehr wenig mit einem traditionellen Festhalten an Althergebrachtem bedeutet, wie nicht nur die Begriffswandlungen, sondern auch deren inhaltliche Draufsicht im Laufe der Jahrhunderte verdeutlichen. 2013-08-28 13.07.48
Das Museum in Dresden kann somit auch Anregungen geben für heutige Akteure auf diesem Gebiet und als Anstifter für Eigeninitiativen in Sachen lebendiger Volkskultur gelten.
In zahlreichen Räumen, Nischen, auf Bildern und über moderne Medien erhält der Besucher einen informativen und fantastischen Einblick in die Sächsische Kulturgeschichte auf diesem speziellen Gebiet. 

Wer seiner Fantasie noch einen weiteren Höhepunkt gönnen möchte, dem sei das Obergeschoss dieses liebevoll gestalteten Museum empfohlen. Dort befindet sich seit 2005 eine umfangreiche Puppentheatersammlung, die große und kleine Herzen höher schlagen läßt und viel Heiterkeit mit auf den Weg gibt...

Eveline Figura 

Die Ausstellung „100 Jahre Volkskunst im Jägerhof“ 
ist noch bis zum 3. November 2013 zu besichtigen.


Musikalische Beziehungskisten

Lloyd Webbers „Tell me on a Sunday” hatte am vergangenen Samstag mit Therese Fauser 
auf Annabergs Studiobühne Premiere-141_Sunday

Das Musical für eine Sängerin ist von den Oscar-Preiträgern des Genres, Lord Andrew Lloyd Webber (Musik),  Don Black (Liedtexte  u.a. Song „Frei geboren-König der Wildnis”) und dem kongenialen Übersetzer der Liedtexte Michael Kunze (Libretti für „Elisabeth”, „Tanz der Vampire”, „Mozart”) kreiert. Auf der Studiobühne, der kleinsten Spielstätte des Eduard-von Winterstein-Theaters in Annaberg-Buchholz, hatte es am Sonnabend seine Premiere. Das Werk ist eine beachtliche Aufgabe für eine junge Sängerin in ihrem ersten Engagement. Therese Fauser absolviert gerade ihre erste Spielzeit am Hause als Mezzosopranistin und war von Anfang an ziemlich eingedeckt mit anspruchsvollen Aufgaben wie u.a. der Kat in „Kiss me, Kate” oder als alleinige Solistin im Weihnachtskonzert

Ihr neuer Alleingang als „Emma” wurde zum Glück vom bereits bewährten Regisseur Urs Alexander Schleiff („
Wirtshaus im Spessart”) begleitet, der das Musical quicklebendig auf die Bühne brachte. Es wurde von Francesca Ciolaausgestattet, die es hin bekam, in der kurzen Inszenierungszeit, die Hauptstadt des Erzgebirges mit einem Flugplatz auszustatten, von dem sogar Flüge nach New York aufgerufen werden. Das schafft nicht mal die Hauptstadt aller Deutschen! Als Flugbegleiterin war Petra Hilarius (sonst Requisite) im neuen Metier genau richtig, punktgenau agierend, cancelte sie die Verflossenen von Emma an der Abflugtafel ab. 
Die Story besteht aus mehreren Beziehungen Emmas: Erst reist sie einem hinterher nach New York, dann ein Hollywood-Mann mit Haus, Pool und Beziehungen, dann ein junger Hüpfer, schließlich ein Verheirateter - wie das Leben halt so spielt. Dass die nicht anwesenden Männer mit den Konterfeis von Opernsängern des Hauses psychologisch treffend ins Bild gesetzt wurden, amüsierte das Publikum ausnehmend gut. Die Fauser spielt die unterschiedlichen Aggregatzustände, Umkleideszenen und Extempori mit mädchenhafter Naivität, manch unschuldsvollem Aufbegehren und fürs Musical vielleicht mitunter etwas zuviel sopranesker Tongebung, was die Regie als Farbe der verletzten Seele wohl zu nutzen wusste. -36_Sunday
In den überzeugenden Parts gelang Therese Fauser mit leisen, warmen und einfühlsamen Mezzotönen für die schönen deutschen Liedtexte zu vielen bekannten Songs durchaus Berührendes. Ihr stand dafür am Klavier Florian Kießling zur Seite (neu am Haus als Repetitor). Er versuchte, den oft wiederkehrenden, manchmal eintönigen Harmonien (über Webber heißt es ja, dass er der Komponist sei, der aus einer Melodie ein ganzes Musical produziere) mehr Ausdruck, auch seiner Stimme und im Tanz mit Emma sogar Gestalt zu verleihen sowie die Protagonistin feinfühlig zu untermalen. Als Flughafenstimme aus dem Off rundete Annika Ganz das Bild. 
Annabergs rühriges Theater hat damit eine Farbe mehr in der Reihe kleiner, amüsanter, temperament- und klangvoller Beziehungskisten auf seiner besuchenswerten Studiobühne.

Eveline Figura
Fotos: D. Knoblauch, Theater Annaberg


Wir haben einen Plan! 

Die Olsenbande ist wieder im Annaberger Theater umtriebig.

Nach der Sommerpause kommt DIE OLSENBANDE DREHT DURCH am Samstag, dem 21. September 2013 ab 19.30 Uhrerstmals wieder auf die Bühne des Eduard-von-Winterstein-Theaters.

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Nach dem großen Erfolg der Premiere im April 2013 und drei ebenfalls ausverkauften Vorstellungen in der vergangenen Spielzeit, treibt die Olsenbande nun endlich wieder ihr Unwesen: Erstmals in der neuen Spielzeit sind die Ganoven am 21. September 2013 ab 19.30 Uhr im Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz auf ihren Beutezügen unterwegs.
In der Theaterfassung von Peter Dehler, welche unter Verwendung von 13 Olsenbandenfilmen von Erik Balling und Henning Bahs entstand, erkennen die Fans des dänischen Gaunertrios sicher genau, welche Filmszenen in dieses Stück Eingang gefunden haben:
Die Gefängnistüren öffnen sich und heraus kommt: Egon Olsen. Benny und Kjeld sind zur Stelle, um ihren Boss abzuholen und seinen Plan für den nächsten „mächtig gewaltigen“ Coup zu erfahren. Und diesmal geht es - laut Egon - nicht nur ums schnöde Geld, sondern um die „Ökonomie“ als solche. Es geht um Bang Johansen, den großen Hintermann! Natürlich ist auch die Polizei in Gestalt von Kommissar Jensen und Assistent Holm mit von der Partie und die bodenständige Quasselstrippe Yvonne flößt nicht nur Ehemann Kjeld, sondern auch Benny und Egon Respekt ein.

Das unverwüstliche Gauner-Trio, das durch die dänischen Filme bekannt wurde, und seit 1997 auch auf der Theaterbühne zu Hause ist, wird nun also auch in der Spielzeit 2013 / 2014 im Annaberg-Buchholzer Theater seinen unnachahmlichen Charme entfalten und mit Witz und kultverdächtigem Spaßfaktor den ganz großen Coup durchziehen.
Als Egon Olsen steht Udo Prucha (Foto) auf der Bühne, seine beiden Komplizen Benny und Kjeld spielen Sven Zinkan undNenad Žanić. Die unverwüstliche Yvonne wird von Gisa Kümmerling dargestellt.


Museales „Alt-Heidelberg”


Die amerikanisch-deutsch-ungarische Operette „Der Studentenprinz in Alt-Heidelberg” hatte im Annaberger Winterstein-Theater Premiere. Sie hat seit den 20-er Jahren das einseitige Deutschlandbild in den USA und Japan nachhaltig mitgeprägt.

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In unserer Welt und Zeit, in der heutzutage jeder nach seiner Facon leben kann, und selbst gekrönte Häupter, oder die, die es werden wollen, z.B. im katholischen Spanien eine geschiedene Journalistin Laeticia, in Norwegen eine Party-Mette-Marit oder Victoria in Schweden ihren Fitnesstrainer ehelichen, bringt Annabergs Theater den „Studentenprinz in Heidelberg” 
auf die Bretter. Eine Operette, in der der Prinz auf seine Liebe zu einem Schankmädchen verzichten muss - mehr nicht. 
Das Stück ist eine Broadway-Schmonzette aus den Zwanzigern des vergangenen Jahrhunderts, als die Broadway-Theater noch normale Spielstätten waren ohne TV-Image und dessen Verbreitung. Dorthin gingen allerdings viele gute Dichter und Musiker und nahmen ihr europäisches Kulturgut mit. Daraus entwickelte sich dann auch das Romantik-Heidelberg-Bild Hölderlins, Brentanos, Arnims u. a. oder das „Alt-Heidelberg, du feine” von Victor von Scheffel. Dann wurde alles zusammenmontiert mit Wilhelm Meyer-Försters „Karl-Heinrich”-Erzählung” zu dem Stück „Alt-Heidelberg” (1901). Von Berlin aus wurde das Stück ein enormer Erfolg. Die Zusammenarbeit zwischen Dorothy Donelly (Libretto) und dem aus Ungarn stammenden Komponisten Siegmund Romberg brachten es als Operette auf die Bühne und überzeugt seither Generationen von Amerikanern davon, dass Deutschland so ist wie das Heidelberg der ewigen Studenten und der romantischen Liebe, oder eben so wie im Film „Ein Herz und eine Krone”. In Deutschland ist das Stück seit den Anfangserfolgen heute zurecht vergessen. Für den Rest der Amerikaner, die das Heidelberg-Stück nicht kennen, wird Deutschland noch immer alternativ als bayerisches Oktoberfest und Neuschwanstein identifiziert!-624_Studentenprinz

In Annaberg wird das Stück in der Regie von Ingolf Huhn - der als Musik-Theater-”Archeologe” schon für manch nachhaltige Überraschung sorgte - als historisches Sittenbild auf die Bretter gestellt. Das Bühnenbild (Ausstattung: Thilo Staudte) wechselt zwischen ökonomisch effektvollen Palast-Fluchten und einem gelungenen mittelalterlichen Weinrestaurant mit dem Schönblick auf Heidelberg, Neckar und Schlossruine.
Der frischdiplomierte, aber bisher im Schloss eingesperrte Prinz Franz Karl von Sachsen-Fiktivien (Frank Unger) darf endlich auf eine „Studien”-Reise nach Heidelberg ausbrechen. Das tut er mit dem einzigen menschlichen Wesen im Schloss, seinem Lehrer (Leander de Marel), der ihm mit Mut, Noblesse und sauberer Artikulation überzeugt, endlich jung zu sein, sich zu verlieben und ins wahre Leben abzutauchen. Frank Unger spielt sympathisch und singt mit angenehm strahlenden Höhen das Lied seiner Befreiung und seiner Liebe zum Schankmädchen Kathy (Madelaine Vogt), die sich als temperamentvoller Kumpel der Studenten nichts vergeben hat und im hohen Diskant den Prinzen zurückliebt: jung, unbekümmert, spielfreudig und hübsch. Daneben als Hauptdarsteller der Chor der ewigen, gut singenden Studenten und ihrer Freundinnen, alle angeführt vom quirligen Grafen Asterberg (Marcus Sandmann), der etwas schrill den Prinzen für die Saxonia-Verbindung wirbt und Student Lukas (László Varga), der stimmlichen Basston ins Gaudeamus igitur und andere Studentengesänge einbringt. Es wird viel gesoffen, gesumpft und getorkelt im Kneipen-Hauptquartier. Der Kontrast zur steifen Hofkamerilla wird angeführt vom Premierminister (Udo Prucha), der kompromisslos die Verbindung des Prinzen mit Prinzessin Margarete (Bettina Grothkopf) einfordert, seine Kaste jedoch undenunziatorisch spielt. Die Großherzogin Anastasia (Bettina Corthy-Hildebrandt) wird elegant als Gesellschaftstyp charakterisiert, während der Kammerdiener Lutz (Jörg Simmat) sehr gut artikuliert und mit komischem Körpereinsatz die zunehmende Lust am Volk-Sein zelebriert. Bettina Grothkopf spielt und singt die ungeliebte Prinzessin-Braut mit intelligentem Charme, Verständnis für die andre Seite, nimmt sich den Walzerarm des etwas steifen Hauptmann Tarnitz (Jason-Nandor Tomory), ohne auf die Liebe des Prinzen in der Zukunft verzichten zu wollen. Im schönen Ballkleid mit feiner, passender (Sisi) Frisur ist sie ein durchaus akzeptables Trostpflaster für den Prinzen. Als besonderes Schmankerl darf die von Susi Schönfeld ironisch choreografierte Gavotte am Hofe gelobt werden. Diese skurrile Charakterzeichnung hätte man sich durchgehender vorstellen können.-453_Studentenprinz

Die Musik des Sigmund Romberg ist eine Variante der Walzer- und Operettenseligkeit von Strauß bis Kálmán, ohne wirklich deren Schmäh und Schmiss zu entfalten. Der Orchestergraben (Erzgebirgs Philharmonie Aue) tat unter der sorgsamen Leitung vom 1. Kapellmeister Dieter Klug sein Bestes zur Genrezeichnung. Aufgepeppt mit Marschmusik (denn Deutsche müssen ja immer marschieren…!) und des Gaudeamus igitur, webt sich die Handlung bis zum endlichen Melodram beim Abschiednehmen: Kathy geht in die Ferne, ihre Freundin Gretchen (Therese Fauser) erbt und kauft die Studentenkneipe von Kathys Onkel Ruder (Matthias Stefan Hildebrandt). Der Kellner Toni (Max Lembeck) - eine eindrucksvolle Charakterszene (!) - darf, als Heidelberger Mitbringsel, Mundschenk des Prinzen an dessen Hof werden. 
Wie wichtig bei so einem anspruchsfernen Werk die kleinen, aber fein gespielten Kammer-Figuren für die Stimmung auf der Bühne sind, erwies sich einmal mehr bei Leander de Marels honorig gesprochenem und gesanglich etwas gebrochen wirkendem Lehrer und eben bei Lembecks fein ziselierter, fränkisch gefärbter Sprache und Contenance.

Dass aber der Blues des Verzichts bei Madelaines Vogts „schönstem Kleid” als kaki-grün-graues Ganzkörpekostüm mit Friedhofshut Gestalt erhielt, oder der Wirtinenstolz der Fauser mit einem Gouvernantenkleid Ausdruck bekam, war dann doch zuviel! 
Das Publikum hatte auch so verstanden und mitgefühlt, dass es Operetten ohne Happyend mit einem leichten Moll-Ausklang gegeben darf. Alles in allem: Zwar traurig, aber schöööön!

Eveline Figura
Fotos: Dieter Knoblauch, Theater Annaberg


G´schichten aus dem Wienerwald 
Neue und alte Orte zum Hinfahren, Nachdenken und Genießen

Eine Reportage von Eveline Schicker-Figura

Teil 1:  Schloss und Park Laxenburg2013-09-12 16.14.34

Man könnte mit dem bekannten, oft kolportierten Eigenlob der Österreicher beginnen, dass ihr Land wohl an einem Sonntag vom Herrgott geschaffen worden und deshalb so schön sei. Ist  man wiederholt oder auch zum ersten Mal dort gewesen, gibt man ihnen Recht - mit dem erstaunten Nachsatz, dass im Restland Innerösterreich des einstmaligen Habsburger Riesenreiches eine einmalige Dichte an Historie, ihren Exponaten, Bauten, Räumen verblieben ist, die die Bewohner selbstverständlich nun zu ihrem eigenen Genuss nutzen und in liebenswürdiger Weise zu präsentieren verstehen. Damit gelingt ihnen der Spagat, aus der Verschwendungssucht der ehemals Herrschenden heute reichlich Einnahmen zu generieren, deren einer Teil in die Femdenverkehrswerbung und Öffentlichkeitsarbeit und zum anderen zurück in die Erhaltung und vor allem den Neuausbau historischer Orte fließt. Gallo Rosso

Für alle diejenigen, die sich an einzelnen Tagen oder gar wochenweise in das Gewusel von Wien wagen, sei die Weiterreise in den Wienerwald oder zumindest an den Stadtrand dringend geraten.  Dort beginnt der Tourismus sich zu verlaufen. Man kann aus dem hauptstädtischen Museumsschritt wieder in normale Fortbewegung übergehen und durchatmen. Die Laxenburger Straße Wiens führt, wie ihr Name sagt, dann auch zu einem der bedeutenden Jagd-, Sommer- oder auch Stadtfluchtresidenzen des Kaiserhauses. Zur Gemeinde sowie dem Schloss und Park Laxenburg, das sich früher tatsächlich auch mit „chs“, also Lachsenburg, geschrieben haben soll. Standesgemäß darf man sich denn auch gleich im ehemaligen Kaiserbahnhof (Foto) des Residenz-Städtchens verwöhnen lassen. Den Bahnhof gab es als solchen bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts auch noch ohne den Kaiser. Heute sitzt man dort beim  Edel-Italiener, dem Restaurant Gallo Rosso, in den alten, aber inzwischen hell verglasten Mauern. Im Garten wurde einen weitere Longe ebenerdig der Gastronomie gewidmet. Hiesige Steinpilze werden in der Küche wohlgefällig zwischen edle Pastakreationen pippetiert. Selbstredend gibts niederöster-reichische Premiumweine, neben großen italienischen Namen, zu verkosten und genießen.2013-09-12 16.26.05

Die Gebäudekomplexe Laxenburgs haben den Krieg und die sowjetische Besatzung (bis 1955) ziemlich unbeschädigt überstanden. Die Inneneinrichtungen eher weniger. Das Alte Schloss wird gerade für die Zukunft restauriert. Dazu gehören außerdem noch eine Rittergruft, der Concordia-Tempel, die Franzensburgund das Grüne Lusthaus, wienerisch „Saalettl“ genannt und wirklich aus dem Barock stammend. Ein Wunder, dass  diese zarte Holzkonstruktion, von der aus acht strahlenförmig Wege abgehen und das Wild beobachtet werden konnte, noch heute so gut da steht. Innen kann man das originale Deckengemälde bewundern und von der Jagdgöttin Diana  träumen.
Der Wienerwald liegt wie ein  Halbmond um die Stadt und gilt mit dem großen Laxenburger Park als einer der schönsten Park- und Waldgebiete in Österreich. Auf der anderen Seite kann man vom Turm der Franzensburg (immerhin 160 Stufen) einen umfassenden Blick auf das nahe neue Wien über Zinnen und Türme, Umgänge und Figuren werfen. Franz II.,  Enkel Maria Theresias, hat mit der nach ihm benannten Franzensburg eine Ritterburg kreieren lassen, die zur Bauzeit 1798 bis 1835 schon dem Historismus zugeneigt, aber längst aus der Mode war. Die Deutschen kennen das von Neuschwanstein und Co, wo mit zuviel Geld sinnentleerten Hirngespinsten nachgejagt wurde, die immerhin aber heute dem Volke sein Geld zurück bringen. 

Nieveauvoller Eklektizissmus

In Laxemburg darf man Kaiser Franz aber Kunstgeschmack nicht absprechen, der die Herrschergeschichte der Habsburger in Rüstkammer und Marmor-Figuren, ihre Reichsgebiete in vielen verschiedenen Sälen erstehen ließ. Anders als der Bayer Ludwig II. erwarb er hier mit kaiserlichem Nachdruck Kunstwerke, Raumausstattungen, Kassettendecken sowie Interieur aus anderen Schlössern, deren Eigentümer ganz und gar nicht erfreut über die erzherzoglichen Wünsche waren. Die Franzensburg wurde  damit als Sammlung historischer Originale aus den verschiedenen Epochen und Regionen repräsentativ ausgestattet. Dazu gehört u.v.a. der sogenannte ungarische Krönungssaal, in dessen Fenstern Glasmalereien von Hauptorten Großungarns, aber auch Franz im ungarischen Königs-Krönungsornat zu sehen sind. Unter den Figuren- und Portraitsammlungen finden sich auch  die von Kaiser Matthias (ung.: Mátyás Corvinus), der in seinem Land die Renaissance einführte.DSC01127
Im Hof der Franzensburg gibt es im Sommer Theateraufführungen. Schon seit dreißig Jahren erfreuen die Komödienspiele an Wochenenden das Publikum. Der Park selbst weist eine Reihe von Qualitäten auf, die zu ihrer Zeit schon Kaiserin Elisabeth, die Sisi, entzückten. Seine Weitläufigkeit, der Baumbestand, die vielen Seen und Teiche - sicher auch zur Fischzucht benutzt - eine Insel mit kleiner Fähre und die erreichbare Ferne zur Hofburg waren Grund genug für sie, dort ihre Flitterwochen zu verbringen. 
Hier gebar sie auch den erwarteten Thronfolger Rudolf, hier konnte sie reiten und spazieren, sie selbst sein. Heute sieht man viele junge Leute beim sportlichen Laufen oder mit der ganzen Familie zum Entspannen. Ganz beiläufig bekommen die Kinder ein ganz ungezwungenes Geschichtsbild vermittelt. Der Park ist übrigens schon seit Franzens Zeiten öffentlich zugänglich. 
Eine besonders fachkundige und engagierte Führung erhalten Gäste, wenn sie das Glück haben, dass Landschaftsarchitekt Wolfgang Mastny vom Laxenburger Schloss sie durch Säle, Räume, Korridore und „seinen“ Park führt. Und auch hier wie überall in Österreich gilt: Hier kann man alles, nur nicht verhungern und verdursten. Dafür sorgt mit viel Aufmerksamkeit und etlichen Schmankerln die Café-Meierei Laxenburg.

red./E. F. (Fotos: AW)
 
Der Park ist ganzjährig, die Franzensburg mit Turm und Museum 
von Palmsonntag bis Allerheiligen (1.11.), geöffnet. 
Führungen stündlich zwischen 11 und 15 Uhr.
Tel.: 0043/2236/71226, 
www.schloss-laxenburg.at

 

Teil 2: Klosterneuburg: Über Legenden, Stifte und Nationalheilige

Klosterneuburg und Heiligenkreuz sind heute Touristenmagnete allerersten Ranges. Solches wird man nur, wenn mehrere Faktoren zusammenkommen. Am besten funktioniert das über biblische Mythen, einen guten Landesherrn aus den dunklen Anfängen, vielen Reliqien in den Museen, Kunstsammlungen von Weltgeltung und das alles eingebettet in Landschaft und Genuss. All das und mehr bieten Geschichte und Gegenwart der Stifte in Niederösterreich, voran die im Wienerwald.

Klosterneuburg begeht im nächsten Jahr sein 900 jähriges Bestehen. Das fällt zeitlich ziemlich genau zusammen mit wichtigen Staatsereignissen, Königen, Kaisern in Deutschland und Ungarn, den Bayern, also der unmittelbaren Nachbarn - Verwandtschaften inklusive. Markgraf Leopold III., ein Babenberger der bayerischen Mark Ostarricchi, gründete 1114 ein weltliches Chorherrenstift und zwar genau dort, wo bei einer Jagd der verlorene Schleier seiner Gemahlin Agnes wiedergefunden ward. Sie, Tochter Kaiser Heinrich IV., jenes Aufsässigen, der nach Canossa musste! Diese Legende zusammen mit dem Prestige und Reichtum der Mitgift der Markgräfin werteten die Klostergründung auf. Die Berufung der Augustiner Chorherren hoben dann den Stellenwert im christlichen Raum und waren Garant für wirtschaftliches Aufblühen, zu dem die Friedfertigkeit Leopolds III. und seiner Nachfolger beitrugen. Lediglich Verteidigungen gab es, u.a. gegen die aggressiven Ungarn, die auch hier an deren Geschichte erinnern. Ihr erster christlicher König Stefan wurde durch die Heirat mit der Bayerin Gisella befriedet und durch die Heiligsprechung Stefans wie auch der Leopold III. in das Zentrum der Aufmerksamkeit christlicher Politik gehoben. Leopolds Grab wurde Walfahrtsstätte, es kam zu Zuwanderungen, Kaufkraft, damit Kunst und Kultur erblühten - und das bis heute. Erzherzogs-Hut

Ein Besuch im “österreichischen Escorial”

Viel hat die Geschichte zu bieten: So stiftete 1616 Erzherzog Maximilian III. den Erzherzogshut (Foto rechts), die heilige Krone Österreichs, hier zur ewigen Aufbewahrung, deren Bedeutung sich über die ältere Stefanskrone Ungarns stellen sollte. Der barocke Ausbau des Stifts durch Kaiser Karl VI. mit dem Architekten Donato F. d´Allio, den die Österreicher freundlich „Herrn Knoblauch“ nennen, wurde als Karls „österreichisches Escorial“, als Herrschersitz, Grablege und Kloster konzipiert, aber nur zu einem Viertel realisiert. Es prägte das heutige Bild dennoch mächtig, wie ganz Österreich dem Strom der Barockisierung nicht entging. Die Weltoffenheit der Augustiner Chorherren (gegenwärtig leben mehr als 50 aus mehreren Ländern hier), ihr spiritueller Reformgeist, Seelsorge in den Gemeinden und die Öffnung der Schätze des Klosters (unter ihnen der berühmte Verduner Altar von 1081 - Foto unten) für die Öffentlichkeit schon seit 1774 strahlen aus. Das Zugehen auf Erwartungshaltungen war und ist ihr Geheimrezept. So wurde Leopold als Stiftsgründer der Nationalpatron Österreichs, sein Todestag, der 15. November, ist bis heute Feiertag in Niederösterreich. Das Fasselrutschen im Binderstadl der Weinkeller seit 1814 eine Kinderbelustigung, die Erinnerungen schafft und den Stift zu keiner Furcht einflößenden Institution macht.

Verduner Altar



Tiefpunkt war sicher die Aufhebung des Stiftes durch das NS-Regime in den Jahren 1941-45, womit man ins Mark der österreichischen Nation traf und oppositionelle Kräfte in Kreisen der Kirche ausschalten wollte. Das Stift war und ist heute eine der wichtigsten, wohl eine der effizientesten Wirtschaftseinheiten der Region mit bedeutender moderner Land- und Waldwirtschaft, prämiertem Weinbau, sozialen Projekten und Kulturförderung. So wurden der junge Egon Schiele, man bedenke seine Sujets !, bereits 1908 im Stift gezeigt. Seit 1991 gibt es regelmäßige Sonderausstellungen, 2011 wurde die neue Schatzkammer eröffnet. Hier sind der Erzherzogshut, die Schleier-Altäre, Lithurgische Geräte und Gewänder von hoher Kunstfertigkeit nun ständig zu sehen, und 2013 eröffnete noch die Galerie der Moderne. 
Den Chorherren begegnet man im ganzen Areal. Dr. Walter Simek, Kämmer des Konvents, arbeitet mit Tourismusverbänden zusammen, empfängt in seiner schwarzen Soutane mit schmalem „weißen Schlips“ (dem Saroccium, Rest des weißen Chorhemdes) zusammen mit Winfried Gerber, Leiter der Abteilung Kultur, Tourismus & Marketing des Stiftes, Delegationen und Journalisten in der ewig unvollendeten wunderbaren Sala terrena mit ihren mächtigen Atlantenfiguren. Sie berichten von Aktivitäten, Hilfsprojekten für Kinder  und ständigen Restaurierungsarbeiten bei einem Glas hauseigenen Premiumsekt die unendliche Erfolgs-Geschichte. Eine Atmosphäre gegenseitigen Respekts, wo sich Himmel und Erde unverkrampft begegnen können.
Die zum Stift gehörende „Gastmeisterei“ machte ihrem Namen alle Ehre, wartetet mit regionalen  Speisen, Weinen oder Bieren auf und verwöhnte mit einer feinen Nusstorte aus Haselnuss und Mandeln. Besonders angenehm war die Bedienung, deren einige Kollegen Ungarns Warmherzigkeit 
herüber gerettet hatten.
Wienerwald - Klosterneuburg
Weiterfahrt wenige Kilometer nach Stift Heiligenkreuz. Hilfe, noch eine solch komprimierter locus authenticus?! Das kann man logistisch an einem anderen Tag platzieren, aber auslassen, niemals!
Eingebettet in die dichten Laub und Nadelwälder des Wienerwaldes (Foto) - hier gibt’s neben den üblichen Fichten und Tannen, Dachl-Kiefern von beeindruckenen Ausmaßen - liegt die Stifts-Gründung von Leopold V., Enkel Leopold des III. Deshalb schließt die Geschichte an und muss nicht noch einmal erklärt werden. Leopold V. brachte von einem seiner Kreuzzüge einen 23 cm großen Splitter vom Kreuze Jesu mit, die hier in der Kreuzkirche verehrt wird. 

Durch das Eingangstor kommt man in den Florentinerhof des Zisterzienserkloster Heiligenkreuz. Ein Orden, der die Zuwendung zu Gott und den Menschen praktiziert. Wir Journalisten werden von Pater Karl und Frater Konrad (Foto v.l.n.r.) leutselig begrüßt. Ersterer ist eines der bekannten Gesichter des Hauses, der in einer „Wetten-das!-Sendung“ die Chants-CD vorstellte, gregorianische Gesänge in Pop-Version. Auch eine Art wirksame Öffentlichkeitsarbeit. Frater Konrad ist gerade zum Lektor berufen worden, denn hier gibt es auch eine theologische Hochschule, also ein Priesterseminar, wo aus aller Welt der Nachwuchs geschult wird, angeschlossen sogar ein Vietnam-Seminar.DSC01180
Für Besucher ist besonders bedeutend, dass sich hinter der romanischen Westfassade tatsächlich ein noch romanisches Kirchenschiff verbirgt mit einem byzantinischen Kruzifix und romanischem Altar. Das prächtige Chorgestühl und einzelne Figuren sind schon aus neuerer Barock-Zeit. Dort nehmen zu den acht Andachten am Tage die Mönche Platz und singen in alter Manie gregorianische Litaneien. 
Durch die Einheit von Raum und Lithurgieform hat Heiligenkreuz Berühmtheit erhalten. So werden die Messe (6.25 Uhr), die Vesper (18 Uhr) und das Komplet (19.45 Uhr) feierlich gesungen, dazwischen auf einem Ton „meditiert“, oder wie um 12 Uhr auf Terz und Sexte gesungen - lateinisch natürlich. Der Tagesablauf wird von „ora et labora“ geprägt, weil die Zisterzienser dem Hl. Bendict verpflichtet sind. 
Kreuzgang Heiligen Kreuz
Zwischen 8 und 12 und 14-18 Uhr gehen sie Studium, Arbeit, Forschung und Seelsorge nach. Viel darf dem strengen Zeit-Reglement nicht dazwischen kommen, da kann der liebevollen Menschenführung schon mal ein harsches Wort folgen. Hält man sich an Frater Konrad (23 Jahre) wird man im Kreuzgang mit wunderbaren roten Säulen mit Blumen und Früchten auf den Paradiesgarten aufmerksam gemacht. Vom Kreuzgang gehen die Anna-Kapelle, die Totenkapelle und der Brunnenraum ab, wo sich die Mönche vor dem Essen waschen, bevor sie das Refektorium betreten. Wundervolle Intarsienholztüren aus der Barockzeit hüten Räume, wo die Öffentlichkeit außen vor bleibt: Der Konvent gehört dazu und die Bernardi-Kapelle. Im Kapitelsaal ist die Grablege von mindestens zehn Babenberger Herzögen, darunter Markgrafen und deren Frauen.
Leopold dem V. wird der Ursprung der österreichischen Farben Rot-Weiß-Rot nachgesagt.

Der Legende nach soll während des Kreuzzuges sein weißes Gewand so Blut getränkt worden sein, dass nur noch anstelle des Gürtels das Weiß zu sehen war. 
Im Klosterladen, im Restaurant und Café vor dem Tore ist man dann wieder im Diesseits, dass man während der Besichtigung wegen der Fülle an Historie und Kulturverweisen allerdings auch nicht verlassen musste. 
www.heiligenkreuz.at

Der knurrende Magen holt uns Kulturreisende zu den irdischen Bedürfnissen zurück. 
Unsere Reisbegleiterin, Katharina Trost von der PR Plus GmbH aus Wien, und Stefan Gabritsch, Geschäftsführer der Wienerwald Destination, wissen, was Journalisten gut tut und so fahren wir zur berühmten Höldrichsmühle, Hotel und Restaurant in Hinterbrühl. 
Brühl bedeutet nichts anderes als Wiese, was unseren sächsischen Staatsminister gleichen Namens in die Ränge verweist. Das Restaurant ist wohlbekannt und gelobt seit schon vor Hunderten Jahren Berühmtheiten einkehrten und sich in Küche, Keller, Ambiente und die Bedienung verliebten. Dazu gehörten neben Aristokraten incognito auf jeden Fall unser Ludwig van Beethoven, dem man somit Gemüt nachsagen kann und der im nahen Baden bei Wien seine Neunte Sinfonie, bzw. die „Ode an die Freude“ komponiert hat, die damals noch nicht „Europahymne“ hieß. Franz Schubert war in der gastlichen Mühle oft und gerne und soll dort mindestens seinen „Lindenbaum“ in Töne gesetzt haben. 
An die Gegend von damals, an die Beschaulichkeit von einst erinnern im Restaurant noch einige Gewölbe, ein paar schöne Bilder und die Freundlichkeit der Wirtsleute. Draußen vorm Hause waren komische Töne zu hören: Pfeifen, Miauen, Handy-Klänge und Wiener Dialekt. Woher sie kamen? Aus einem Vogelbauer oben aus der Mansarde in der ein Graupapagei wohnt...

Hotel Restaurant Hoeldrichsmühle, 
A-2371 Hinterbrühl, Gaadnerstr. 34
www.hoeldrichsmuehle.at

 

Teil 3: Kaiserlicher Totenkult,
Neu-Museales und tenoraler Genießer


Wo bettet man sein müdes Haupt nach einem oder mehreren Tagen so vieler Kultureindrücke und Genussstunden? Die Wahl geht nach Gusto und Geldbeutel: In den Städtchen Baden, Laxenburg oder Klosterneuburg lassen sich Hotels oder Pensionen finden, von denen man aus abends zu Fuß noch in ein Weinlokal schlendern kann. Oder aber, man vergräbt sich tiefer in das grüne Refugium des Wienerwaldes, z.B. in das Seminar- und Eventhotel Krainerhütte im Helenental !!KH_aussen0611-5_HP
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www.krainerhuette.at

Richtig, dort wo „das (Operetten)-Weger`l für alte Ehepaare viel zu schmal“ ist wird geheiratet, geschult und entspannt. Die jungen WirtsleuteJosef und Ute Dietmann setzen die Tradition der Eltern fort in einem modernen Haus mit Küche der schmackhaften Entschleunigung, Weingenuss und einem Riesenpark (Foto), wo 25 gestaltete Stationen einladen, die Seele aufzufrischen. Dabei hilft Susanne Kindler mit mystischer Kräuterkunde und ein wenig Medizin-Frau-Tibre. Da hinein kann man sich sacken lassen oder eben weiterziehen.Mayerling

Nicht weit von hier, auf dem Weg nach Heiligenkreuz, liegt Mayerling (Foto). Gut geschulte Hofberichterstatter wissen, was hier geschah: 1889 erschoss Kronprinz Rudolf (Sisis Sohn und österreichischer Thronfolger, erst seine Geliebte, Baroness Mary Vetsera) und dann sich selbst im Jagdschloß. Eine menschliche Tragödie, die das Kaiserhaus traf und auf das es sofort knallhart reagierte. Die tote Mary wird in der Kutsche sitzend abtransportiert, Rudolfs Selbstmord als Unfall deklariert, Zeugen mit Geld für ihr Schweigen bezahlt und schließlich gleich das Anwesen abgerissen. Heute findet der Besucher ein Kloster mit Nonnen in Klausur, die immer noch für Rudolf beten, und eine Kirche mit einer von Ungarn gestifteten Seitenkapelle. Alles eingebettet in die grünen Hügel einer wunderbaren Landschaft. Die Führerin weiß zu berichten, dass Rudolf in der Wiener Kapuzinergruft bei seinen Eltern ruhen darf, Mary aber mindestens dreimal von Grabräubern in ihre Totenruhe gestört wurde. Einen lädierten Sarg kann man ausgestellt sehen. 

Ein Blick ins Depot eines der modernsten Museen Europas

In der Nähe des Stiftes Klosterneuburg bietet das Museum Essl in einem nicht zu übersehenden, zunächst unspektakulären Neubau eine tolle Aussicht zurück auf das barocke Stift. Das Museum Essl widmet sich allerdings heutigen Sichten von KünstlerInnen auf deren Weltverständnis. Die Eigentümer der BauMaxx-Kette, Agnes und Karlheinz Essl, trugen seit den siebziger Jahre selbst, oder mit mehr oder weniger sachkundiger Beratung, Werke der österreichischen und internationalen Gegenwartskunst zusammen, die sich sehen lassen kann. Mehr als 7.000 Gemälde, Grafiken, Skulpturen, Objekte oder Medienwerke befinden sich im Depot (2.500 qm), in das Kurator Günther Oberhollenzer mit Sachverstand ausnahmsweise schauen ließ. Essl-Museeum
Gegenwärtig war die Ausstellung Tim Eitel (neue Leipziger Malschule) zu sehen, der in meist dunklen Farben Fotos verfremdet, deren deutbare Bildsprache auf eine entfremdete Gesellschaft verweist, wie z.B. bei seinem Gemälde „Aufstieg“, wo sich die Personen mehr und mehr entkleiden... Ostdeutsche oder DDR-Kunst sei eher weniger vertreten, wurde auf Nachfrage bedauernd festgestellt. Nach der politischen Wende stehen osteuropäische Künstler im Fokus, ebenso asiatische Protagonisten. Bei der Schau Kurt Kocherscheidt dürften, wie bei vielen anderen Bildern abstrakter Kunst, die Museumspädagogik oder Fachkunde bei den Führungen Sinn machen. Der Rundgang im Museum offenbarte die nach innen interessante und vielgestalte Architektur des Essl-Baus (3.500 qm Ausstellungsfläche), dessen Architekt beim Ausbau des Berliner Bodemueums mitwirkte: Lichtkästen auf dem Dach, die Tageslicht in die Räume leiten. Hof-Einsichten auf Skulpturen und Rasenflächen. Kunstinteressierte werden von der Albertina in Wien zum Essl-Museum mit einem Bus-Schattel gebracht. Große Namen wie Neo Rauch und Rosa Lloyd, Kappa, Wolfgang Herzig, Baselitz (Foto unten: Skulptur im Depot), Richter, Fuchs, Alex Katz, Hermann Nietzsch, Vasarely oder Maria Lassnig sind vertreten, um nur einige zu nennen... Essl-Museeum - Skulptur von Baselitz im Depot
Selbstredend fördert man hier nicht etablierte Künstler und solche die schon als Aufsteiger gelten können mit Förderpreisen, - der Zukunft verpflichtet.

www.essl.museum  info@essl.museum

Und weil im übervollen Kunstland Österreich Platz für viel Individualität ist, auch solcher, die sich nicht selbst fördern und darstellen kann, sind wir noch ins Art Brut-Center und Künstlerhaus Gugging gefahren. Am Ort der Entstehung dieser Kunst ursprünglich geistig behinderter, in psychiatrischer Betreuung wohnender Menschen ist deren individuelle Kunst anzuschauen, zu bestaunen in der Kraft der Reflexion von Außenwelt und Gefühlsreichtum. Art Brut bedeutet soviel wie „nicht gelehrte, durch etablierte Kunstvorstellungen beeinflusste Kunstfertigkeit“. Zum ausgestellten Fundus zählen das Zimmer von August Walla (Foto unten: Zimmer von Walla), die im Künstlerhaus sich ständig verändernden Wände mit Bemalungen, das Museum mit erstaunlichen Bildserien, das Atelier, wo auch junge Gegenwartskünstler arbeiten. Bernadett Lietzow und Nina Ansperger-Vogt verstehen es, einfühlsam in die Bildwelten einzuführen, Formenvielfalt und Ausdruckskraft als individuelle Schaffensresultate zu zeigen. August-Walla-Zimmer im Künstlerhaus Gugging

Hier verwischen denn auch tatsächlich sogenannte Qualitätsunterschiede zu etablierter, insbesondere phantastischer, surrealer oder gar abstrakter Kunst. Besonders berührend sind die Fülle politischer, gesellschaftlicher und humoriger Elemente in den Exponaten der Schau.
www.gugging.at 

Ein Opern-Tenor kocht nicht nur...

Der gastronomische Höhepunkt fand dann aber in den Privatgefilden von Kammersänger Herwig Pecoraro (Foto unten mit Pater Benno) von der Wiener Staatsoper und seiner sympathischen Frau Waltraut in Klosterneuburg statt. Der bodenständige Operntenor mit einer Weltkarriere hatte „ das Glück des Tüchtigen“ wie er selbst zum Besten gab. Er konnte in Modena beim Gesangslehrer eines Luciano Pavarotti und einer Mirella Freni Gesang studieren, wo er seinen berühmten Kollegen Pavarotti persönlich kennenlernen konnte, der, bekannt als Pasta-Koch und genialer Esskünstler, ihn in die Sphären und Profiwelten des aceto balsamico einführte. Mit jedem ersungenen Schilling von Gastauftritten kaufte er sich die Fässchen mit alter Balsamico-Patina vor Ort stückweise zusammen. Bruder Benno Anderlitschka und Tenor Herwig Pecoraro

Seine Frau mit Familie unterstützten ihn zu Hause. Er kaufte Haus und Nachbar-Grundstücke auf Kredit, kämpfte mit Unwissenheit von Lebensmittelbehörden für die Anerkennung seines Wunder-aceto bis dieser in einigen Feinkostläden anwesend sein wurde. Den darf man nämlich keinesfalls mit „Essig“ verwechseln. Frau Pecoraro vertiefte sich in Abwesenheit ihres Sänger-Gatten in diese Kunst, und beide perfektionierten die Verfahren in ihrer Acetaia Pecoraro. Anschaulich demonstrierte sie uns, wie die hier verwandten Veltliner Moste oder auch ein feiner Apfel-Most aus biologischem Anbau durch genaues Erhitzen bei 80°C, dem Lagern in Holzfässer-Familien einer Reduktion über Verdunsten und Vertrocknen unterzogen werden, die dann die köstlichen Tropfen zum Ergebnis haben. Mit ihnen kocht es sich meisterlich. Pecoraro, der in einem ersten Beruf Konditor gelernt hatte, weiß mit seinen Produkten trefflich zu hantieren. Jeder Gang, jede Unterlage bringt den aceto zum klingen: Am Salat, als Soßen, als Aromaspur auf einem Apfelparfait oder zu zartem Rinderbraten. In wunderbarer Atmosphäre sparte der Maestro nicht mit Körpereinsatz. Nur eine Arie von ihm gesungen, so meinte er, könnten wir an diesem Orte nicht bezahlen. Es ertönten dann doch einige Elton-John-Duette von der Konserve mit seinem Sohn, wo man die in der Höhe großatrig sicher geführte Tenor-Stimme des Künstlers hören konnte. Aceto balsamico

Als besonderer Gast aus dem Stift Klosterneuburg, woher zunächst auch die Weine für den aceto balsamico kamen, war Pater Benno Anderlitschka anwesend, der kennerhaft Speisen und Getränken zusprach. Wie aufwendig, mit wie viel Herzblut man sein zweites Standbein im Leben aufbauen kann und wie genußvoll es nach einer Sängerkarriere weitergeht, wurde bildhaft und vollmundig demonstriert. Bravo, bravissimo – ottimo tenore e balsamico...!

www.pecorarobalsamico.at 

Wer denkt, es gäbe hier in der Welt von Kultur und Genuss im Wienerwald keine Steigerung mehr, der irrt gewaltig. Hatten wir doch am nächsten Tage das zweite Wochenende d.J. erwischt, an dem die Wiener und Hiesigen sozusagen Wandern-Verkosten-Genießen, was zwischen Mödling und Gumpoldskirchen die Weinberge und -gärten so hergeben. DSC01188

Auf ca. 20 km arbeite man sich von Winzer zu Winzer fort und probiert Most, Sturm (dt.: Federweißer) und die verschiedene Weine, viele prämierte darunter, direkt vom Erzeuger. Dazu bietet jeder seine selbstgemachten Speisen an, Schinken, Kürbiskernaufstriche, Brot, süße Gebäcke. Das hält keiner 20 km durch! Gumpoldkirchen  ist ein romantisches Städtchen. (Foto links: Die Autorin des Beitrages in den Weinbergen von Gumpoldskirchen). Hier wird zudem geheiratet was das Zeug hält, in und um die Deutschordensburg, in und um die Kirche beim  hübschen Schloss. Deshalb braucht man keine Sorge haben, dass das schöne Leben in Österreich nicht weiter ginge... Zur Nachahmung bestens empfohlen!

www.thermenregion-wienerwald.at/genussmeile

Text: Eveline Figura
Fotos: AW





Wachs und Seide

Alte Batik-Techniken in jungen Händen2013-04-10 18.11.24

Die Annaberger Textildesignerin Evelin Sachse (Foto) stellt seit dem 10.4. in der seit zehn Jahren aktiv betriebenen Galerie im Ratsherren-Café in Annaberg-Buchholz aus. Unter der Leitung der Fotografin Bärbel Rothe gedeiht die kleine, aber zentral gelegene Galerie im ersten Geschoss des Cafés zunehmend zu einem Ort des Entdeckens. Eine „geradliniger, aber nicht ohne Schwierigkeiten“ gelungener Weg, wie Frau Rothe betonte. Nicht alle Künstler hatten schon per se das Künstlerstadium erreicht, manche probierten sich 
aus, behandeln ihre Seele durch Vergegenständlichung ihrer Emotionen und Ideen, holen von der Staffelei, was interessant erschien. Immer jedoch ist es etwas Neues, was in den Fokus gerät und immer war es des Betrachtens wert.  2013-04-10 17.11.49

Nunmehr stellt die bei Insidern bereits gut bekannte, erst 27 jährige Textildesignerin Evelin Sachse aus. Sie bewegt sich zwischen Textilbildern und angewandter Kunst. Ihr Atelier hat den Ruf einer kleinen Wunderkammer, wo schöne Geschenke, Modebeiwerk und Lampen, Schmuck und Dekorationen angeboten werden. Nach ihrem Studium an der Schneeberger Fachschule für Textilgestaltung besuchte sie Indonesien und Indien, wo sie in traditionellen Werkstätten mitarbeitetet und die alten Batik–Techniken, bei denen Freihand-Motive mit elastischen Palm-Wachsen in mehreren Schritten auf Seide aufgetragen werden und in aufeinander folgenden Farbbädern von hell nach dunkel Kontrastvielfalt, Tiefe und Struktur erlangen. So entstanden auch die in Rahmen gespannten „Bilder“ von Mauern, Ruinen, orientalischen Stadtstrukturen in Zartheit und disziplinierter Verspieltheit. Das Wachs wird mit Fließspateln aufgetragen und so gestaltete Frau Sachse ziegelige Anordnungen, Türmchen oder Tore. Durch Baumwolle oder Seide als Untergrund erreicht sie Effekte, die das Material zum Schwingen bringt oder schlicht erdig wirken lässt. AW - Sachse Lampenschirme

Mit verschiedenen Motiven gelingen ihr poetische Wieseneffekte auf Grün als zierliche Wandbehänge oder auch Bespannungen auf Lampenschirmen, bei denen dann das Licht besondere Effekte potenziert. Bei der aus Nordindien „importierten“ Wachstechnik handelt es sich - ähnlich dem Blaudruck - um eine durch Model erzielte Wachsdrucktechnik. Beide Batik-Varianten verlangen akribisches Arbeiten, Geduld und wie bei aller Kunst, oder eher Kunst-Handwerk, Phantasien der Formgestaltung. Es ist keine derbe, sondern eher eine weiblich anmutend und viel Feingefühl fordernde Behandlung des Materials. 

Frau Sachse antwortete mit sichtbarer Freude auf eine Vielzahl vorgetragener Fragen am vollbesetzten Tisch, an dem auch die Hausherrin, Frau Martina Hübner, Geschäftsführerin der Annaberger Backwaren, anwesend war und bei dieser Gelegenheit dem Maler Gottfried Rothe schon mal zum bevorstehenden 85. Geburtstag mit einer Konterfei-Torte gratulierte.

Evelin Sachse lud bei dieser Gelegenheit alle Interessierten zum
Tag des Offenen Ateliers in ihre Werkstatt ein: 
Pfingstmontag, dem 20.5.2013, 10 bis 18 Uhr, Rathenaustraße 2 
in Annaberg-Buchholz.



E. Figura



Tel.: 0173/4543697, evelin.sachse@hotmail.de  
www.kunstladen12.de, 
wo sie ihre Werke zusammen mit denen von Kollegen präsentiert.



Das Alter - ein Gedicht!

Das Annaberger Wochenblatt besuchte die Satzunger Heimatdichterin Angela Thiel, eine der Töchter von Luise Pinc, kurz vor ihrem 91. Geburtstag und sprach mit dieser rüstigen Erz-Erzgebirgerin über ihr langes Leben und umfängliches Schaffen.Angela Thiel

Am 31. Mai 2013 wird sie 91 Jahre alt. Sie wohnt im letzten Haisl von Satzung, bevor das Öko-Wald- und Moor-Reservat der EU beginnt. Ein sich selbst regenerierendes Naturrefugium zwischen Deutschland und Tschechien. Anscheinend regenerieren sich hier nicht nur der Wald, sondern auch die Menschen, denn Natur und Mensch bilden hier eine seltene und wohltuende Einheit. Und das Alter von Angela Thiel gibt dieser Co-Existenz recht. Sie ist hier geboren, ihre Abwesenheiten dauerten wegen des Heimwehs nie lange an. In ihrem Haus in alter Satzunger Bauart ist sie autonom und glücklich. Wie eine Mitsiebziegerin schaut sie aus, und sie besteht darauf, allein Holz aus dem Wald zu holen, - deshalb sieht der auch aus wie gebohnert! Sie hackt es selbst, heizt die Küche, kocht, räumt auf...  „Wenn iech mich net beweng kaa, werd ich krank“, sagte sie auf die ungläubigen Blicke von uns jüngeren Frauen. Satzung Juni 2009 Angelas Häusl






Dieses Glück in der Heimat beschreibt sie nun schon sehr lange in meist mundartlichen Gedichten in den verschiedensten 
Rhythmen, Zeilenlängen und zu unterschiedlichen Themen, die den ganzen Alltag zum Gegenstand haben. Dazu natur- und jahreszeitliche Impressionen sowie die geliebten heimatlich geprägten Festivitäten mit der den Erzgebirgern eigenen Innigkeit. 

Angela Thiel ist ein heiteres und auch nach ärztlichem Zeugnis gesundes Menschenkind im 10. Lebensjahrzehnt. Ihre selbstironische Reflexionen entstammen einem Leben, das von einer schönen, geforderten Kindheit und tiefen Verwerfungen in der Familie geprägt wurde. Sie scheint sich mit ihrem Mutterwitz stets selbst aus den „Mooren des Lebens“ gezogen  und dabei wieder aufgerichtet zu haben. Dabei half ihr das Singen und Dichten wie ein Elexier.
Ihre Eltern waren prägend im Beispiel und als Partner. Ihre Mutter ist die heute noch  bekannte Heimatdichterin und Liedersängerin Luise Pinc, die im sogenannten Klinghaisl in Satzung lebte,  wo ein Platz nach ihr benannt und damit ihr reiches Schaffen geehrt wurde. Mit ihren drei Töchtern, von denen Angela Thiel die älteste ist, und ihrer Schwester trat sie als Erzgebirgsgruppe „De Tischermaad“ in den Dreißigern und später als „Luise Pinc und ihr Kleeblatt“ (Foto: v. l. Angela, Violett, Christa und Luise Pinc, April 1950) in ihrer engeren Heimat, aber auch darüber hinaus, und sogar im Rundfunk, auf.

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Nur Hochdeutsch wollte sie dort nicht singen. Sie spielte in ihrer eigenen einfachen Technik auf dem Harmonium und Angela zupfte die Gitarre dazu, die heute noch an der Wand ihrer Küche hängt. Ab und an singt sie ihre eigenen, manchmal auch von ihr vertonten Dichtungen. Es klingt noch viel nach, von der einst schönen Gesangsstimme. Sie erinnerte sich an heitere Begebenheiten bei einem Auftritt mit der Gruppe in Bautzen, wo auch der bekannte Heimatdichter Max Wenzel auftrat. Vor Müdigkeit hatte sie sich frühzeitig in ihrem  Zimmer schlafen gelegt und zugeschlossen, hörte nicht, dass die Mutter später rein wollte. Ein junger Mann „fensterlte“ dann und öffnete von innen. Angela wunderte sich, dass so viele Leute im Zimmer waren! 
Ihr Arbeitsleben begann mit 16 Jahren als Dienstmagd in einer Bäckerei in Wüstenbrand, wo sie weg vom Zuhause Brot austragen musste, aber wegen Heimweh zurück wollte. Dann arbeitet sie über dreißig Jahre in Satzung in einem Textilbetrieb. Sie erzählt über die damaligen Lebensbedingungen in dem „Händlerdorf“ Satzung: Gänsehändler, Spitzenhändler lebten dort. Angela Thiel - Klinghaisl

Mißtönen und Verfolgung war die Familie in Dritten Reich ausgesetzt. Da der geliebte Vater tschechischer Zoll-Beamter war, wurde die Familie als so genannte “Mischlinge” eingestuft. Noch heute bewegt sie das Schicksal ihres Onkels, Vaters Bruder, der im Zusammenhang mit dem Heidrich-Attentat in Prag verhaftet und 1944 schließlich in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde. Sie selbst hatte sich damals nach dem Schicksal des Onkels im schon stark zerstörten Berlin erkundigt und wurde dort von Nazibeamten selbst mit KZ bedroht. Auch ihre erste Liebesheirat stand unter dem schlechten Stern von Krieg und Diskriminierung durch den Schwiegervater und dem Verlust des ersten Kindes. Erst mit ihrer zweiten Ehe ab 1950 hatte sie Glück und lebte über 40 Jahre mit ihrem Mann zusammen. Heute freut sie sich über den Sohn und die Enkel in ihrer Nähe und immer wieder über ihre erzgebirgische Heimat, der sie immer wieder neue Gedichte und Liedzeilen widmet. Vor kurzem ist sie noch in einem Diakonie-Heim aufgetreten und ist nicht abgeneigt, das wieder zu tun bei Menschen, die zwar langsam vergehen, aber mit Liedtexten und alten Erinnerungen immer noch aufleuchten. 
Bei unserem Besuch freute sie sich über das kürzlich erschienen erzgebirgische Kinderliederbuch, das ihr von Monika Knauth aus Ehrenfriedersdorf - die selbst als Autorin und Komponistin daran mitgewirkt hat - präsentiert wurde. Doch auch heutzutage ist das Leben nicht immer nur Idylle. Sie sorgt sich um den Nachlass der Mutter Luise Pinc. Das Klinghäusl (Foto oben: Zimmer im Klinghäusl), nur ein paar Schritte von ihrem Haus (Foto unten) entfernt, sollte als Museum samt Inhalt von der Baldauf-Villa Marienberg übernommen werden. Es wird nun von Nachfahren ihrer Schwester verkauft, Gegenstände werden veräußert, der künstlerische Nachlass kommt vielleicht in unkundige Hände! DSC01022
Damit aber noch nicht genug der aktuellen Sorgen: In einer seltenen Nacht erholsamen Tiefschlafes drang ein Einbrecher Anfang Mai in ihr Haus, stahl Geld und wertvolle Erinnerungen, durchwühlte Schränke und Kästen. Der tiefe Schock für Angela Thiel, dass jemand in ihre Sphäre gedrungen ist, wich zwar inzwischen einer reflektierenden Nachdenklichkeit. Zur entgültigen Verarbeitung wird es aber wohl noch Zeit brauchen. Immerhin hat sie das kriminelle Ereignis - und was hätte noch alles passieren können - schon in einem besinnlichen Opus ihrer Dichtkunst verarbeitet.  DSC01027
Ihre Werke schreibt sie in dicke Bücher, und über Gedrucktes konnte sie sich auch schon freuen, u.a.: „Gedichte aus einem langen Leben“, Satzung 2006, Hrgeb: Monika und Reiner Knauth

Zu ihrem 91. Geburtstag, den sie in ihrem Familienkreis, in hoffentlich noch lang anhaltender geistiger Beweglichkeit und ihrer schönen Gebirgsheimat verbringen wird, wünschen wir ihr auch weiterhin, dass der unvergleichliche, ansteckende Humor erhalten bleibe und dass das Dichterinnen-Glück sie - bei stabiler Gesundheit - nicht verlassen möge.

Text und drei Fotos: Eveline Figura

´s Frühling wurn
 
Staunend stieh ich in men Garten
un bewunner äll die Pracht.
Hunnerte von Himmelschlüsseln
sei ganz plötzlich aufgewacht.
 
Un derzwischen Gänseblümeln
recken ihre Köppeln raus.
Wie e wunnerschiener Teppich
sieht mei Garten itze aus.
 
Weidenbüsch in voller Blüte
locken Hummeln, - Bienen a.
Überschwenglich holder Frühling, -
du brengst uns dos älles ra.
 
Äll dos Blühe, - äll dar Duft -
schließt mir Harz und Seel weit auf.
Wie e Lerchnlied in dr Luft,
steigt mei Dank zun Himmel nauf.

Angela Thiel


Wir danken Familie Monika und Reiner Knauth für die Unterstützung bei Recherche und Besuch.


    Musikalische Gaunerjagd
    Hotzenplotz 63
    „Räuber Hotzenplotz“ hatte in einer kurzweiligen Inszenierung seine erfolgreiche Premiere auf den Greifensteinen und eröffnete damit die Festspiel-Saison auf einer der schönsten Felsenbühnen Europas.

    Um 15 Uhr kam am Sonntag die Sonne heraus, um die Premiere vom „Räuber Hotzenplotz“ und damit den Beginn der Greifenstein-Festspiele ins rechte Licht zu setzen. Die unterhaltsame Jagd nach der vom Räuber geklauten Kaffeemühle, die Goßmutter (wunderbar komisch gespielt von Bettina Corthy-Hildebrandt) vom Kasperle (leichtfüßig und charmant von Marie-Luis Pühlhorn) und Seppel (burschikos und temperamentvoll von Marcus Sandmann) zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte, entwickelte sich zu einer kurzweiligen, temporeichen und für alle Generationen unterhaltsamen Gaunerjagd (Regie: Andreas Ingenhaag). 

    In einem märchenhaften Bühnenbild und zauberhaften Kostümen (Ausstattung:Wolfgang Clausnitzer) entsponn sich eine unkompliziert-banale Handlung, die mit reichlich Gags, Klamotte, Knalleffekten und Hollywood-Musik-Anklängen besonders das junge Publikum amüsierte. Mit Spannung verfolgten sie die Gaunereien der Hauptfigur, die von Leander de Marel in gewohnt komödiantischer Aufopferung über die Wiesen und Felsen gebracht wurde. Neben der gesanglichen und darstellerischen Leistung kommt bei ihm noch ein sportliche hinzu: Mindestens vier Mal scheucht ihn die Regie – mitunter sogar singend und sprechend - die steile Felsentreppe auf den Greifensteinen hinauf und hinunter, einmal sogar beladen mit einer Kiste voller Theater-Sand. Zum Gaudium des Publikums bewältigte er aber alle ihm abverlangten Partien in bewährter Zuverlässigkeit und erhielt dafür entsprechend Applaus. 

    Mattias Stephan Hildebrandt gab den komisch-dienstbeflissenen Polizisten Dimpfelmoser, der sich, statt auf Ganovenjagd oder Kindersuche zu begeben, lieber mit der Großmutter bei Himbeerlikör vergnügte. Einem Zauberschloß entstieg unter viel Qualm und Knall schließlich der Magier Zwackelmann, den Olaf Kaden spielerisch und sprachlich solange souverän gab, bis es ihn in der Luft zerrupfte. Hotzenplotz 88
    Aus einer dicken häßlichen, und von ihm verzauberten Kröte, entstieg schließlich per Berührung mit FeenkrautTherese Fauser als schmetterlingshaft schwebende und mit Zaubertönen singende Fee in einem Blau, das nur noch mit dem Himmel über der sehr gut besuchten Greifenstein-Felsenbühne konkurieren konnte. 
    Ein großes Lob auch dem Chor (Direktion: Uwe Hanke), der musikalisch vom Komponisten Martin Lingnau nicht unbedingt mit einer dankbaren Aufgabe ausgestattet wurde und so mehr statistische Aufgaben mit Gesang zu bewältigen hatte, die aber – auch durch die Choreographie von Sigrun Kressmann – ansprechend über die Felsen kamen und wesentlich mit zum Gelingen dieser sehenswerten musikalischen Gaunerjagd (Musikalische Leitung: Rudolf Hild/Dieter Klug) beitrugen.

    Eveline Figura
    Fotos: Theater Annaberg


„Gasparone“ auf den Felsen

Millöckers musikalische Räuberpistole hatte vor vollbesetztem Arena-Rund auf den Greifensteinen ihre erfolgreiche Premiere.

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Sänger, Schauspieler und Tänzer des Annaberger Eduard-von Winterstein-Theaters sind auf derGreifenstein-Felsenbühne ganz im Räuber-Fieber. Vor vollbesetztem Rängen, wenns nicht gerade gewittert, können die Kinder und Eltern wählen zwischen „Räuber Hotzenplotz“, den bösen Buben auf Pferden im „Tom Sawyer“, die die schöne Maid raubenden dunklen Gesellen in „Wallpurgisnächte in Flammen“ oder den gemütlichen Geldschneidern im „Wirtshaus im Spessart“. 

Mit der am vergangenen Sonntag gezeigten Variante des Räubers „Gasparone“ trat eher der idealtypische Mythos des schönen Räubers auf die Bretter. Die harmlosen sizilianischen Schmuggler wollen die Bürger in Angst und Schrecken versetzen. Aber: „Gasparone“ gäbe es gar nicht, würde nicht der ansehnliche wirkliche Graf unter den Räuber-Mantel und -Hut schlüpfen, der Gräfin ihre gerade zurück prozessierte Million rauben, um sie so für den gierigen Bürgermeister als Braut für dessen untauglichen Sohn unattraktiv zu machen. Das gelingt schließlich auch! Happy-End: die Gräfin erhält ihren Grafen, die Million ist wieder da und auch alle anderen sind glücklich. DSC01112

Dass die sich die Premiere so erfolgreich über die wunderbare Felsenbühne spielte, dürfte wohl der Tatsache geschuldet sein, dass die Generalprobe wegen freitäglichen Regengusses ins Wasser gefallen war. Das Ensemble war so gut wie das Sonntags-Wetter aufgelegt und hat die ulkigen Handlungsstränge in dennoch nachvollziehbare Operetten-Logik gebracht. Allen voran einmal mehr Leander de Marel als nach Geld gierender Bürgermeister: intrigierend, parlierend, charmierend und keinen Gag oder Kalauer auslassend, darunter auch dankbar beklatschte Anspielungen auf heutige Finanz- und Bankenkrisen auskostend. Kongenial sein Frauen- und Hüften schwenkender Sohn: Frank Unger gab den gar nicht heiratswilligen Filius Sindolfo mit viel Körper-Witz und einer waghalsigen Fahrt mit dem Handwagerl. Aber was für eine Unterforderung dieses Stimmmaterials in dieser sonst herrlich albernen Rolle! Mit strahlendem Sopran und elegantem Spiel glänzte als Gräfin Bettina Grothkopf, die ehrsam zu ihrem Heiratsversprechen steht, sich aber doch in den Grafen verliebt. Jason-Nandor Tomory baggert als dieser redlich, singt mit schönem Bariton „Dunkel rote Rosen“ bis in die Tenorlagen des Parts, die er sich vielleicht mit Frank Unger hätte teilen können. Schön gewandet (Bühnenbild und Ausstattung: Wolfgang Clausnitzer), leichten Trab reitenden, frisch gebräunt fällt er schließlich mit dem Räuber-Trick wohlverdient in die Arme seiner Gräfin. Seinen Freund Luigi gibt Olaf Kaden und die Zofe der Gräfin wird von Therese Fauser gespielt.
Das Buffo-Paar, Kneipenwirt/Schmuggler und seine Liebste, spritzig gesungen und verrückt gespielt vonMarkus Sandmann und der quirligen Madeleine Vogt, zusätzlich mit einer Atem beraubenden Harlekin- und Kolombine-Szene in reizende Tanzfiguren gesetzt (Choreographie: Stefan Haufe), ließen fast die etwas dürftig geratene Tarantella des Extraballetts vergessen. Ein etwas verständlicher zelebrierter Text hätte allerdings die Comedia dell arte-Szene noch weiter perfektionieren können. DSC01110

In der zweiten Reihe als mannstolle Hofdame,Bettina Corthy Hildebrandt, komödiantische akzentuiert singend und spielend. Als Schmuggler-Onkel László Varga mit gewohntem Bass die musikalische Szene ergänzend. Lustig inszeniert war auf der oberen Spielebene dann auch der „Flotte Dreier“ zwischen Vogt, Sandmann und Varga über die Freuden der sizilianischen Ehe. Insgesamt war es dem routinierten Regisseur Prof. Hans-Hermann Krug gelungen, das riesige Spielfeld mit Bildung „schöner Gruppen“, bewegtem Chor, tanzenden Mädels, komischen Bütteln, Kutsche, Pferden und vor allem gut spielenden Solisten in Bewegung zu bringen. 

Musikalisch hatte die Erzgebirgs-Philharmonie Aue und der Chor (Einstudierung: Uwe Hanke) unter dem1. Kapellmeister Dieter Klug mit ihrer temperamentvollen Einspielung und musikalischen Treffsicherheit für dieses Genre die Basis gelegt. Wie anspruchsvoll solch eine harmlos anmutende Operette für das gesamte Ensemble auf der schönen Felsenbühne dann doch zu bewerkstelligen ist, konnte man am intensiven Blickkontakt zwischen den Protagonisten und ihrem versierten Kapellmeister sowie den präzis gegebenen Einätzen über mitunter große Distanzen beobachten.
Reichlicher Applaus vom vollbesetzten Rund fürs dieses großartige Theater unter freiem Himmel und zu dieser charmanten, temporeichen und kurzweiligen Räuberpistole!

Keinen Beifall allerdings für die gelangweilt wirkende Gastronomie nebenan im Restaurant, 
die es u.a. noch nicht einmal zu richtigen Capuccino-Tassen gebracht hat...!

Eveline Figura
Fotos: AW (2), Theater (1)



Schöne Momente festgehalten

Sandra Göckeritz`“gestickte“ Blumenportraits sind seit Donnerstag in der Galerie im Ratsherren Café am Annaberger Markt zu sehen und zu kaufenDSC01124

Wieder einmal ist es eine junge, in Annaberg geborene Künstlerin,  die Protagonistin in der Ratsherren-Galerie am Markt ihrer Heimatstadt ist. Unter der Leitung von Bärbel Rothe finden hier nun schon im zehnten Jahr kleine, feine Präsentationen von bildender Kunst statt, die immer wieder Staunen hervorrufen. Oft wenig mehr als zehn  Bilder werfen die  jeweils ganz eigene Weltsicht und Formensprache in den bescheidenen Raum, der leider immer noch verfremdet durch Kunstblumen und unpassenden Fensterschmuck, jedoch doch den immanenten Zauber der Kunstwerke entfaltet.DSC01122
Sandra Göckeritz (geb. 1980) hat in Plauen zunächst einen Fachschulabschluss für grafische Gestaltung und in der Hochschule Burg Giebichenstein ihr Diplom als Textilkünstlerin erlangt. 
Seither schafft sie Stickereien in freier Manie, malt Bilder, die Entwürfe dafür sein könnten. Bemalt großflächig Wände und Decken oder sägt Holzportraits nach Fotos (von irgend etwas muss man ja leben!). In der Vielfalt der Techniken, und auch zwischen diesen, sucht sie ihr Wirkungsfeld und mischt so zwischen Drucktechniken einmal Textiles, dann wieder in Malweisen Gesticheltes zu erstaunlichen, meist zarten Gebilden. Das Thema ihrer Ausstellung sind Blumen im Moment ihres prachtvollsten Seins. Sie lässt in unendlichen, fleißigen Strichelkombinationen plastisches Blattwerk und Blütenstauden wachsen. Mit Buntstiften blühen die kräftige Farben von Chrysanthemen wie Gobelinstoff, und fragile Aquarell-Sträuße werden zum Feuerwerk vor dunklem Grund. Immer lohnt es sich den Gesamteindruck der Bilder zu komplettieren durch genaues Hinschauen, um im Detail Entdeckungen zu machen.DSC01125
Dort kann man den Schöpfungsweg nachvollziehen, der nicht immer in sieben Tagen seine Vollendung findet, aber dafür verständlich wird. Ihre Strich- und Schattendynamik könnte  Stickmuster-Vorlagen abgeben. Doch stehen die Bilder für sich und den Moment, die Einmaligkeit der Naturschönheiten von Blumen festzuhalten, - ein unendlicher befriedigender Prozess wie man ihn bis Januar 2014 betrachten und - wie die Besucher der Vernissage – mit unterschiedlichen Auffassungen darüber reflektieren kann.

Bärbel Rothe, Leiterin der Galerie im Ratsherren-Café, mit ihrem Gatten Gottfried Rothe während der Vernissage am 11.9.2013.

Text und Fotos: Eveline Schicker-Figura



Großer dramatischer Wurf

Gleich zu Beginn der neuen Spielzeit überraschte das Annaberger Schauspiel-Ensemble mit einer sehr erfolgreichen Wilhelm-Tell-Inszenierung, - die noch Reserven in sich birgt.

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Die Farbe der Blätter zeigt es, dass sich der 9. November, ein mehrfach dramatischer Tag der deutschen Geschichte, bald wieder jährt. Warum erinnert man sich an einen solchen Tag einer endlich friedlichen und siegreichen Revolution nicht nur anhand von ewig wieder gezeigten Fernsehbildern, sondern verbindet die erlebten Momente der Skepsis, des Freifühlens, des Glücks mit farbigen Blättern an den Platanen des Ku`damms, mit Erinnerung an hilflos drein schauende Grenzer oder der Gerüche von Einkaufstempeln? Weil der Mensch ein sinnliches Wesen ist. Das Verstehen erst später kommt und mancher manches gar nicht verstehen muss, weil es erlebt wurde. Deshalb gibt es das Theater! Es holt aus den Tiefen der Menschheitstraumata die Erkenntnisse aus dem Erleben auf die Bühne, dem lebendigen Mitleiden am Unrecht, der Unterdrückung, aber auch die mitfühlende Bewunderung für Menschen, die andere befreiten, weil sie sich ihrer eigenen Bedrängnis erwehrten. 

Den Tell-Stoff hatte unser Freiheitsdichter Friedrich Schiller, der als Historiker stets an Authentizität interessiert war, von seinem Spätfreund Goethe als „Mitbringsel“ von dessen Schweizerreise, die eigentlich seine zweite Italienreise hätte werden sollen, quasi geschenkt bekommen. Bei diesen literarischen Platzhirschen ein eher seltenes Verhalten. Aber das zeichnet die Großen aus: Neidloses Gönnen können. Goethe wusste als Theaterdirektor Weimars um die dramatischen Qualitäten Schillers, der sogar Goethes Werke spielbar für die Schauspieler eingerichtet hatte. Und darauf kommt es an. Sollen doch die schönen kraftvollen Dichterworte nicht nur in Goldrandbüchern stehen, sondern die Herzen berühren.Wilhelm Tell_HP2-025

Das ist Tamara Korber, der Tell-Regisseurin am Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz, mit ihrer aktuellen Inszenierung überzeugend gelungen: Aus dem Fünfstundenstück hat sie ein reichlich zweistündiges temperamentvolles Drama mit Tiefgang hingelegt, das mit wachsendem Interesse des Publikums und schließlich mit viel Zustimmung belohnt wurde. 
Die Fülle der Rollen - viele Darsteller waren bis zu sechsmal besetzt - ergaben sich aus den wechselnden Spielorten und Situationen in einem wahren Volksstück, in dem das Leben gezeigt wird. Das ist anfangs nicht immer so aufregend, und so war denn auch der erste Teil eher Introduktion für das Publikums in die Situationen. Zunehmend hoben sich die Charaktere der die Handlung voran treibenden Figuren heraus. 
Alle zusammen leiden mehr oder weniger unter der Fremdherrschaft der (damals noch) Grafen von Habsburg, die die verbrieften Freiheitsrechte der Leute der Schwyz, aus Uri und Unterwalden, nicht nur außer Kraft setzten, sondern durch Lebens bedrohliche Schikanen (das Grüßen des Hutes des Reichsvogtes) radikalisierten. Schillers Figuren sind wandlungsfähig. Und so gestalten die Darsteller die Entwicklung. Zuförderst Nenad Žanić (Foto oben) als kraftvoller Wilhelm Tell, die wahre Volksfigur des Stückes. Der, zunächst mit seinen legendären Schießkünsten nur seiner Familie dient, sie beschützt, ernährt und wieder abgeht. 
Mehr aus Unachtsamkeit und gesundem Menschenverstand missachtet er den unsinnigen Hut-Grüß-Befehl und gerät in Lebensgefahr, aus der er sich nur „Freischießen“ kann, indem er einen Apfel vom Kopfe seines Sohnes treffen muss, der Kulminations- und Wendepunkt! Žanić ist einfach und deswegen eindringlich im Nicht-Fassen-Können und Ringen mit sich und im ganzen Stück wunderbar im Zusammenspiel mit seiner Frau (Marie-Luise von Gottberg) und seinem Sohn Walther (Paul Wiehe) als munterer und selbstbewusster Kamerad des Vaters. Der Schuss passiert und geht im Protest-Tumult unter. Kongenialer Gegenpart zu Tell ist Sven Zinkans (Foto links) Hermann Geßlers besagter grausamer Reichsvogt der Habsburger, der grenzenlos in seiner Machtverblendung nicht mitbekommt, wie die Stimmung im Lande kippt. Zinkan spielt nicht in ausuferndem Bewegungschaos, sondern mit aristokratischer Geste. Jedes Schillersche Wort artikulierend, zynisch genießend, verständlich bis in die letzte Reihe und deshalb den Hass des Volkes auf ihn mit transparent machend. Toll auch Kostüm und Maske an dieser Stelle (Ausstattung: Robert Schrag). 
Zur sich formierenden Opposition wird Freiherr von Attinghausen (Gerd Schlott), der zunächst den Musik hörenden, gelangweilten Snob gibt und so auch seine Handlungs tragenden Monologe spricht. So kann er seinen Neffen, Ulrich von Rudenz (Oliver Baesler), zunächst genauso wenig überzeugen wie das Publikum. Erst auf dem Totenbett gelingt ihm mit „versiegender“ Stimme die Präsenz. Baesler spielt den Rudenz als den nassforschen Hof-Karrieristen ohne Interesse an der Heimat, auch als Generationskonflikt, der sich von seiner Angebeteten von Winkelried/von Bruneck (beide Helene Aderhold) schließlich eines Besseren belehren lassen muss und sich der Opposition anschließt, - auch in weiteren Rollen ist er ein hoffnungsvolles Neuengagement am hiesigen Theater! 
Die differenziert agierende Garde der schließlich im Rütli-Schwur Verbündeten konnte sich hören lassen. Denn immer mehr zeigt sich, wer auch heute als Schauspieler überzeugen will, muss seinen Text zelebrieren, seine Stimme zum Klingen nutzen, der Geste das Wort hörbar folgen lassen. (Nicht nur weil heute, dem 7.10.2013, ein Gustav Gründgens seinen 50. Todestag hat! Die „Nachwelt“ im Zeitalter von DVD und Tonaufnahmen flicht seinen/solchen Mimen also doch noch Kränze...!)

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Robert Bittner als Stauffacher überzeugte in überlegter Ruhe und Argumentation. Udo Prucha wandelt sich als Walter Fürst aus Uri vom bodenständigen Selbstbewusstein über den Familienmenschen (Tells Familie) zum Vaterländler. Glaubhaft sein männliches Ringen mit sich, sonore Männlichkeit und gesundes Pathos überzeugen dabei. Dennis Pfuhl als Ruodi und Arnold von Melchthal mit bewegtem und deswegen manchmal nicht gut verständlichem Gestus. Großartig seine anarchistischen Attitüden. ZinkansBaumgarten ist ein Gejagter, eine tragische Figur als immer wiederkehrende moralische Instanz. 
Dann die zwei Volks-Frauen: Marie-Louise von Gottberg als warmherzig liebende und unnachsichtige Frau Tells und Mutter sowie als Am Bühel und Bäuerin spielerisch vielfältig, in der Lautstärke stimmlich aber nicht überzeugend. Die andere, Gisa Kümmerling, als Stauffachers Frau Gertrud, gibt die verstehende, argumentierende, sich zurücknehmende Partnerin als Kind ihrer Zeit, schön in Wort und Gestus. Fast gegensätzlich ihre Elsbeth, um den Mann kämpfend, von Geßler gedehmütigt, vergewaltigt. Ihre Verzweiflung ist echt, die Extemporés hier begründet. 
Aber was machen die Kostüme von roten Wollmützen, Mini-Voilantröcke, grelle Farben aus den Frauen?  Kein Wunder also, wenn Geßler an Vergewaltigung denkt...? Tragische Menschendarstellung verlangt nach adäquater Form, schließlich ist Elsbeth Bäuerin im 14. Jahrhundert. Was glaubhaft gespielt, wird so unglaubwürdig verflacht. Dazu zählen jedoch nicht die aktuellen Anspielungen von der mit Zeitungen tapezierten Bergwand, den Gasometer-Wänden, das Kofferradio, die CD-Anlage oder gar die musikalischen Zitate aus Rock und Klassik. Immerhin wurden Schillers Wünsche nach Lokalkolorit - die Kuhglocken und das Schellengeläut – akzeptiert.

Zuletzt, aber nicht am Ende, sollen die nunmehr unübersehbaren Kleindarsteller-Praktikanten Samuel Schaarschmidt und Leroy Barth genannt sein. Beide in drei verschiedenen Rollen mit viel Text haben sie sich tapfer - auch sprachlich gut verständlich - geschlagen und mit Körpereinsatz schlagen lassen. Dass die Regie bei ihnen in ihren Söldner-Rollen an Kindersoldaten dachte, liegt auf der aktuellen Hand, wie die gesamte Inszenierung in das Heute verweist.
Das macht auch Schillers fesselnde Sprache, die vielen, inzwischen als bekannte Sprichwörter in den Alltag aufgenommenen Versatzstücke. Eine Sprache, die eingefügte Kraftausdrücke aus unserer aktuellen Sprachkultur mühelos verkraftet, aber auch gut ohne diese auskäme.
Der „Tell“ ist eine ewig aktuelle dramatische Kollage darüber, wie Bündnisse des Volkes gegen Willkür, Bevormundung, Arroganz, aber auch Unterdrückung und Fremdherrschaft geschlossen werden können und zum Erfolg führen. Das Annaberger Ensemble hat erfolgreich einen großen dramatischen Wurf an den Anfang der neuen Spielzeit gesetzt. Sei diesem die weitere Reifung in jeder kommenden Vorstellung gewünscht und diese erfolgreiche Inszenierung vielen Schülern und deren Eltern empfohlen.

Eveline Figura
Fotos: Theater Annaberg


Über den Kamm geschaut: 

Nejdek im Tal der Rolava

Kleine böhmische Stadt mit vielen Gemeinsamkeit zu unserer Geschichte, die im Orts-Museum auch eine Verbindung zu einer gemeinsamen Zukunft vermittelt.

Langsam wird es wieder normal, sich über die Grenze des Erzgebirgskamms gegenseitig zu besuchen. Dennoch ist es nicht so oft, dass sich jemand in die kleineren Orte seitab des Wegs Richtung Karlovy Vary verirrt. Es sind wie immer die Kulturinteressierten, die wie Pfadfinder alten Spuren der Geschichte, manchmal der Familie nachspüren. Erstere werden fündig, Letztere eher enttäuscht, denn von den Straßennamen, vielen Häusern, Geschäften oder Restaurants aus der Vorkriegszeit ist hier am westlichen Rande Tschechiens nicht viel übrig. Aber es entsteht Neues, würdig Altes wird bewahrt und museal liebevoll aufbereitet. Die Wintersportler finden hier wenig überlaufene Langlauf- und Abfahrtslaufpisten mit Liften an unvermuteten Stellen. Und wie man weiß, kann man in Tschechien weder verhungern noch verdursten...!

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Der 8.000 Einwohner-Ort Nejdek/Neudeck liegt kurz hinter Boši Dar/Gottesgab nach rechts über Abertamy/Abertham führend, inmitten riesiger Wälder, die bis an die Straße reichen, im Tal der Rolava/Rohlau, einem Nebenfluss der Eger. Der immerhin 974 m hohe Peindlberg/Tisovsky vrch mit altem Turm steht wie ein Beschützer des Tales im Norden. Wie viele unserer sächsischen Erzgebirgsstädte, ist auch Nejdek durch den deutsch-böhmischen Bergbau geprägt worden. Insbesondere reiche Zinn- und Eisenerzvorkommen brachten Arbeit und Wohlstand, bescheidenen denen, die die Knochenarbeit verrichteten. 
1340 erstmals erwähnt mauserte sich der Ort an der Handelsstraße Passau-Karlsbad-Leipzig bis 1602 zur Stadt. Die Grafen von Schlick und Csernin prägen mit ihren restaurierten Burg-, Schloss- und Kirchenbauten das Stadtbild und machen es lohnend für Besucher und Durchreisende. Nach dem dreißigjährigen Krieg, in dem sich kleine Städte weniger wehren konnten als unser damals starkes Annaberg, war Armut auch hier präsent. Aufschwung gelang erst wieder im 19. Jahrhundert durch die industrielle Entwicklung. Da waren die weit reichenden Verbindungen deutscher und manch tschechischer Unternehmer nützlich. Das gab auch der tschechischen Bevölkerung Auskommen, die ja bis zur nationalistischen Hitler-Politik und der folgenden Kriegskatastrophe friedlich miteinander lebten und über den Kamm Handel trieben. Eisenwerke, Kammgarnspinnereien, Holzproduktion, Papier- und Glasherstellung war in der Region Nejdek mit Orten wie Galgenberg, Grund, Hahnberg, Hochtanne und Seifertberg bestimmend.
Durch die Benes-Vertreibung der Deutschen in Folge des von uns angezettelten Zweiten Weltkrieges, verlor alleine Nejdek nach 1945 fast 3.000 Einwohner, - eine spürbare Zäsur! 
Viele von ihnen, die keine Verwandten im sächsischen Erzgebirge hatten, wurden in Göggingen bei Augsburg aufgenommen. Kein Wunder also, dass man auch im Hotel-Restaurant Anna an der Hauptstraße von Nejdek heute öfters fränkischen Dialekt vernehmen kann. Neue Partnerschaften sind entstanden, die auch investieren wie der Großbetrieb Witte AG (1.500 Mitarbeiter), die Schließsysteme für die Autoindustrie fertigen. Oder Städtepartnerschaften nach Johanngeorgenstadt, wo kurz nach der ersten Eisenbahnlinie 1881 schon 1899 deren Erweiterung hin verlief. 
Ortsnamen künden rund um Nejdek noch heute vom  Gründungserwerb: Hochofen, Trinksaifen, Hohenstollen,  Frühbuß oder Gibacht. 
Die schönsten Zeugnisse der kreativen Bevölkerung findet man indes im liebevoll eingerichteten Heimatmuseum der Stadt, untergebracht im elegant restaurierten Bürgerhaus mit handgezogenen Glasfenstern von 1888 am Platz Karl IV. Genau dort kann dann anhand von Karten die Besiedlungsgeschichte nachvollzogen, bergbauliche Exponate wie Gesteinsstufen oder Zinnadern angesehen werden, die bis Portugal gehandelt wurden und dort in versunkenen Schiffen geborgen worden waren. 2013-09-24 13.28.30
Gleichzeitig spult sich eine Art erzgebirgische Parallelwelt ab: Besonders viele, fantasiereich dekorierte Bauern- und Bürgerschränke neben Alltagsmöbeln sind zu bewundern. So ein Tellerschrank, wo im Winter im Unterfach die Hühner Platz fanden, - auch hier wars kalt! Mit dem Rückgang der Erzvorkommen wurde auch in Nejdek und UMgebung geklöppelt, geschnitzt und gedrechselt. Manchmal sind die Formen ähnlich wie bei uns, und doch überraschend. Gelangten doch auch die Sagen und der Glaube Böhmens in diese Gestaltwelt, so wie der Hl. Nepomuk. 
Unfangreicher und an Formen veilfältiger zeigt sich die Glasproduktion. Böhmisches Glas wurde weltberühmt in vom Kobalt herrührenden tiefen Blautönen oder von Gold in strahlendes Rot verwandelt. Die selten zu sehende Schusterlampe, die zwischen Lichtern durch ihren mit Wasser gefüllten Gefäßen deren Strahlkraft verstärkte oder wunderbare Stühle mit örtlichen Originalen geschmückt, können hier im liebevoll eingerichteten Museum entdeckt werden.Nejdek - Museum
Besucher von „hiem“ ham sich „driem“ durchaus heimelig gefühlt und doch auch Neues erfahren. Und wenn dann noch derDirektor der Nejdeker Koch- und Restaurant-Fachschule, Mgr. Josef Dvořáček, die kenntnisreiche Führung übernimmt, sind authentische Einblicke in die Geschichte zugleich Verbindung in eine gemeinsame Zukunft.

Eveline Schicker-Figura

Muzeum Nejdek, Náměstí Karla IV. 238, Tel.: 420 736 650 047.
Öffnungszeiten: März-Dezember, Mittwoch bis Sonntag, 
8.30-12, 13-16.30 Uhr



Die Lady hat noch Biss...


Das wohl berühmteste Musical „My fair Lady“ feierte am Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg erfolgreiche Premiere und traf mit seinen Evergreens erneut beim begeisterten Publikum mitten ins Herz.

Die Handlung des Musicals, das in Annaberg am vergangenen Sonntag Premiere hatte, ist von Alan J. Lerner nach Bernard Shaws „Pygmalion“ und der Musik von Frederick Loewe (geborener Friedrich Loewe aus Berlin) so bekannt, dass viele Zuschauer Texte und Songs hätten regelrecht mitsingen mögen. Die „Lady“ ist weltweit deshalb so populär, weil den Schöpfern das idealtypisches Stück des Genres Musical gelang. Die Szenen, die sich zudem an dem berühmten Film mit Audrey Hepburn und Rex Harrison anlehnen, sind textlich so dicht und originell, die Musik so mitreisend rhythmisch, im Walzertakt, im Marsch, swingend und ironisch die Handlung stützend, dass man den Schauspielern die Spielfreude anmerkt und man sich selbst von Szene zu Szene vorfreuen darf.

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In der Inszenierung vom Schauspielregisseur Dietrich Kunze ist diesem Amüsement mit reizenden Einfällen reichlich Zucker gegeben worden.
Immerhin traut sich das Theater sechs Jahre nach der letzten Inszenierung mit diesem Kassenschlager schon wieder auf die Bühne, - ein Selbstläufer eben. Aber die Zuschauer erinnern sich natürlich noch an Details, und so muss man den Vergleich aushalten, der hin und wieder positiver für die Inszenierung von 2006 ausschlägt. my_fair_lady_HP2-033
Die neue Besetzung ist dennoch gelungen:Jörg Simmat als Gast, auch bekannt von Fernsehrollen, spielt den Higgins als lässigen Hagestolz und verbohrten Phonetiker zunächst ohne ausladende Geste. Er ist der Spielmacher und überdies über Frauenvolk und feine Gesellschaft erhaben. Im Laufe des Stücks lässt er das Publikum immer wieder an seinen Verwunderungen teilhaben, die die Erziehung eines so „minderen“ Frauenzimmers wie Eliza zur Lady mit sich bringen. Die Extemporés des Machos sind nachvollziehbar, und sein Schwanken zwischen Tyrannen und verständnisvollem Lehrer setzt Pointen zum Genuss aller Ehekrüppel. Dabei gelingt ihm die Kunst, zwischen den schlagfertigen Dialogen auch die Gesangseinlagen als Fortsetzung der Inhalte zu harmonisieren, Pointen elegant auskostend, stimmlich angenehm eingepasst in die strahlende Dynamik des Orchestergrabens. Dieter Klugs (1. Kapellmeister der Erzgebirgs- Philharmonie Aue) Fable zu dieser Musik ist bis in die letzten Plätze hörbar und geradezu feinmotorig auf die Sänger-Schauspieler abgestellt, klanglich sehr sauber und trotz relativ kleiner Besetzung voll- und wohklingend organisiert, - einfach mitreißend! Extra Bravos erhielt Dieter Klug dafür am Ende der Vorstellung vom begeisterten Publikum - und von seinen Kollegen in der Kantine des Theaters...

Kein Problem also auch für die Eliza der Kerstin Maus, die burschikos berlinert, sich selbstbewusst aus ihrem Elend in die fremde Welt katapultiert und sich in immer schöneren Kleidern (Ausstattung: Erika Lust) selbst adelt. Stimmlich leicht, treffsicher in den Höhenlagen und überzeugend spielend brachte sie „ihre Eliza“ jung und temperamentvoll über die Rampe. Warum ihr im Pressematerial immer die ätherische Audrey Hepburn vor die Nase gewedelt wird, ist nicht nachvollziehbar, zumal hierzulande dieser Frauentyp längst ausgestorben scheint. my_fair_lady_HP2-066
Oberst Pickering von Michel Junge ist ein Zack-Zack mit Manieren, der kontrastierend zu Higgins die Wette, aus Eliza eine Herzogin zu formen, provozierte und mitträgt, aber in schönem Einklang mit Mrs. Pearse (Bettina Corthy-Hildebrandt) um menschliche Behandlung der jungen Frau ringt. 
Chormitglieder (Chöre: Uwe Hanke) geben das Hauspersonal und begleiten mit schönen Cantilene-Szenen im Hause Higgins, insbesondere die mit den beiden kommentierenden Kammerzofen in der Nachthemdnummer. Der des Lebens untüchtige Freddy, von Marcus Sandmann dargestellt und gesungen, bietet in seiner „Straßenanbetung“ eine buffoneske Kaprice erster Qualität. Stimmlich angenehm, muss er die einfallsreiche Choreographie (Sigrun Kressmann) umsingen, was mit kleinen verzeihlichen Brüchen in der Höhe gelang. Leander de Marel im Althippie-Outfit ist Alfred P. Doolittle (nachdem er in der vergangenen Inszenierung den Higgins gegeben hatte!). Und den gibt er mit Spaß an den gut artikulierte Texten sowie mit Routine in den Tanzszenen. Seine leichte - und vor dem Vorhang vom Intendanten Ingo Huhn angesagte - Indisponiertheit passte ideal zu den Trinkszenen und könnte so über den ganzen erzgebirgischen Winter beibehalten werden...
Überhaupt waren die Gesangseinlagen des Männerchores, das Quartett, der Extrachor (Chordireltor: Uwe Hanke), die Typisierungen und Tänze im ersten Bild mit Eliza und später mit Doolittle kurzweilig und originell.my_fair_lady_HP2-057
Auch das berühmte Ascot-Bild wie fast immer schön anzusehen. Mimiken und Rhythmik zwar etwas eintönig in den Gesten und nur von der Coolness und Souveränität Mrs. Higgins` (Gabriele Kümmerling) verklärt. Auch Pferdegetrappel will beherrscht werden: Es war einfach zu laut über Elizas Bonmot gelegt und der Blackout kam zu spät, - schade. 
Der Regieeinfall, Elizas großen Ballabend, ihr Auftritt mit dem Prinzgemahl und ihren Erfolg in der feinen Gesellschaft nur im Dialog Higgins mit Pickering aufscheinen zu lassen (damit das Stück nicht zu lang wird), war neben den vielen gelungen Ideen, die Amputation des eigentlichen Höhepunktes und die Relativierung Elizas Leistung. Als ob man aus der „Fledermaus“ den Csárdás weggekürzt hätte... Wer würde es wagen?- ein Sakrileg! Das kann nur die Idee eines Mannes gewesen sein, der ungern tanzt oder der vergessen hat, wie gern sich eine hübsche Frau im Ballkleide präsentiert und dialogisiert, er dafür aber an jedem – auch durchaus strichfähigen Dialog - festhält. Auch fehlte damit der originelle ungarische Sprachexperte, der Doolittle mit 4.000 Pfund Erbschaft belegt. Diese Einsparung an der falschen Stelle bleibt unverzeihlich, Herr Regisseur! 
Das dennoch großartige Spektakel fand statt - oder eben auch nicht - vor dezenten, sich schnell drehenden Bühnenprospekten, die - gut gemalt (Erika Lust) - London symbolisierten, einigen wenigen einschwebenden Kulissenteilen wie Türen, Fenstern, Bücherregalen und Requisiten wie u.a. Londons Händler mit Schwibbbögen und Männeln im Bauchladen.
Soviel Neuheit hatte dagegen das Programmheft nicht zu bieten. Die Stückinhalte sind schließlich bekannt, die Higgins-Weisheiten auch. Wären doch eher ein paar Inszenierungsabsichten des Regisseurs oder Biografisches über die Hauptdarsteller interessant (vielleicht mal ein Interview, ein Porträt), was man auf der Homepage des Theaters ebenfalls vermisst, weil beide leider nicht zum festen Ensemble gehören. Mit diesem Programmheft (Dramaturgie: Annelen Hasselwander) verschenkte sich das Theater wiederholt „Werbeflächen“ in Form von Information an die Zuschauer über das Haus, sein Ensemble und die zahlreichen Leistungen im Hintergrund – die an diesem Premierenabend allesamt mit viel Beifall und Bravos bedacht wurden.

Eveline Figura


Schlussakkord

Ein Leben für die Musik hat sich vollendet: Gottfried Baden, der langjährige und verdienstvolle Annaberger Musikpädagoge verstarb am 1. November 2013 und wird am Freitag beigesetzt.

Gottfried Baden


Wenn er das Klassenzimmer in der Pestalozzi-Oberschule betrat, stand ein wahres Mannsbild im Raum. Groß und kräftig vertrat er Zeit seines Lebens mit Überzeugung und Charisma, mit Kraft und Ausdauer die Musik. Der Wert dieses Fachs wurde zu allen Zeiten nur von denen verstanden, die von Zuhause die Liebe am Singen , am Musizieren oder auch nur am Hören mitbekommen hatten. Für diese Schüler-Klientel waren die Musikstunden Erlebnis und Erholung, ja Spaß zugleich. Aber auch das biedere „Mittelfeld“ hat bis heute schöne, heitere Erinnerungen an die Gesangsstunde, denn jeder musste vor zum Blüthner-Konzertflügel und die gelernten Lieder, damals noch die DDR-Nationalhymne, Volkslieder, Weihnachten „Tausend Sterne sind ein Dom“ oder auch „Freude schöner Götterfunken“ zu intonieren versuchen. Dabei war bei Gottfried Baden viel Verständnis und Geduld für alle vorhanden, denen es schwer fiel zu singen, die gehemmt waren, sich vor der albernen Klasse zu produzieren, oder den wenigen, die wirklich nicht einen geraden Ton heraus bekamen. Doch auch die Störer oder allzu viel Blödelnden hatte er mit kräftiger Stimme im Griff und stellte sie schon mal vor die Tür. Meistens gelang es ihm, manchmal auch mithilfe der Musikinteressierten, die Inhalte interessant und entgegenkommend - sogar für die Rock- und Popmusik-Begeisterten - an die vielen Jahrgänge zwischen etwa 1955 und 1995 zu vermitteln und manchmal doch auch an diese eine Ahnung der Schönheit des Klanges zu bringen. Besonders zugewandt war er musisch talentierten Schülern bei der Entwicklung ihrer Fähigkeiten. Über viele Jahre leitete er den anspruchsvollen Schulchor der Oberschule I und gewann in allen Klassen langjährige Mitsänger, die auch in der Flötengruppe, im Schulorchester mit taten. Auch solistische Kräfte, die Privatunterricht an verschiedenen Instrumenten oder gar Sologesang studierten, wusste er in den vielen Schulveranstaltungen auf der Bühne der Turnhalle, bei Feierstunden im „Erzhammer“ im damaligen „Haus der Freundschaft“ („Loge“) einzusetzen und an deren Vortragsreife zu feilen.
Dieser Musiklehrer hatte Anteil an einigen „anständigen“ Musiker-Karrieren von Annaberg in die Welt: Klaviersolisten, Geiger in der Robert-Schumann-Philharmonie, Sängern an Staatstheatern bis Berlin und - wie im Falle von Kammersänger Jürgen Freier - durch ganz Europa und Japan. Auch er wurde von Gottfried Baden bei Veranstaltungen der „Jungen Talente“ begleitet und gefördert. Solch besonderen Ober-Schüler wurden dann von ihm im Unterricht oft gebeten, vorzuspielen oder vorzusingen, was beim ungewohnten Hören von solch werdenden Opernstimmen oft zu Gekicher und komischen Bemerkungen der Schulkameraden führte. 
Schwamm drüber! Alle hatten was davon. Geige
Gottfried Baden trat selbst bei vielen kulturellen Anlässen in Annaberg und Umgebung mit seinem Baden-Quartett auf, das auch oft eigene Kompositionen von ihm uraufführte. Seine besondere Hochachtung gegenüber den Großmeistern der Literatur und Musik wie Goethe, Mozart und Bach brachte er mit interessanten, auch witzigen biografischen Details an die Schüler. Manchmal lag ein Vergleich mit sich selbst auf der Hand, wenn er Bach mit dessen Schaffens- und Kinderreichtum als „allseits potenten Mann“ charakterisierte. Auch konnte er sich über seinen Geburtstag (28.8.1931) - am gleichen Tag mit Goethe - einfach nur freuen...

Am Freitag, dem 8. 11. 2013 um 12.30 Uhr, wird dieser engagierte Musikpädagoge und Musiker auf dem Neuen Friedhof in Annaberg-Buchholz beigesetzt. Mögen seiner Frau Eveline, seinen vier Kindern und deren Familien das Mitgefühl vieler Bürger der Stadt gewiss sein und die Erinnerung dankbarer Schüler den letzten Weg von Gottfried Baden begleiten.

Eveline Figura und Gotthard B. Schicker

 



Kraftvoll in Form und Farbe

Der Maler Diethard Mey stellt zum zweiten Mal in der Annaberger Ratsherren-Galerie aus -  diesmal bis zum 14.5. seine “Arbeiten auf Papier”

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Diethard Mey freut sich, als  nunmehriger Frühruheständler endlich mehr Zeit für die Malerei in seinem Malzimmer in Buchholz zu haben. Er meint, dass die mitunter dunklere Licht-Stimmungen in unserem Erzgebirge auch Einfluss auf seine Bilder habe und sie dadurch schwermütiger mache. Umso mehr verwundert ist man dann, in der allzu grell ausgeleuchteten Ratsherren-Galerie eine Farbexplosion zu erleben. Seine „Arbeiten auf Papier“, die seit dem 22. Januar 2014 dort zu sehen sind, spiegeln sowohl gediegenes Lernen in der Malschule des Karl-Heinz Westenburgers von den siebziger bis neunziger Jahren wider sowie auch viele Einflüsse aus Ausstellungen der Moderne. Besonders hat ihn der Besuch des Folkwang-Museums in Essen beeindruckt und vermutlich auch beeinflusst. In der Ausstellung sind  deshalb auch solche Bilder am ansprechendsten, die räumliche und bauliche Strukturen zeigen, mit denen die Betrachter mehr als abstrakte Farb- und Formspiele identifizieren. Leichte Anklänge an die Türme Feiningers lassen sich vielleicht ausmachen, doch sonst sucht Mey seine eigene Ikonographie. Bilder in blauen und grünen Tönen mit wenig Formverweise auf Deutbares. Manches Abstrakte mag an Kirchenfenster oder Traumgebilde erinnern. 
Immer wieder überrascht er mit kräftige Rot-, Gelb- und Brauntönen in schwarzen Konturen, die in eine lebensvolle Gebirgslandschaft münden oder auch städtische Strukturen adaptieren. Maler
Der Betrachter mache sich dazu selbst „sein Bild“ und bilde sich „seine“ Meinung. Qualitätsunterschiede zwischen den Werken sind jedoch spürbar, die gibt es  in den abstrakten Werken mehr als in den der konkreteren Formensprache. Soll heißen: Auch abstrakte Gebilde bedürfen selbstredend Elemente  „genialer Ideen“, um den Betrachter zu begeistern oder wenigstens intellektuell anzusprechen. 
Im Jahr 2004 stellte Diethard Mey am selben Ort schon einmal Blumenbilder aus. Wäre interessant gewesen ein bis zwei noch einmal neben den neueren Arbeite zu sehen, um den Vergleich oder die Entwicklung seiner Sicht- und Gestaltungsweisen nachvollziehen zu können. Bärbel Rothe, die langjährige Leiterin der Galerie, freute sich mit den zahlreich erschienen Gästen über Form und Farbe in Diethard Meys „Arbeiten auf Papier“, die sich in den  mit eigenwilligen Dekorationen mehrfach verfremdeten Räumen dieses Cafés durchaus Gesicht verschafften.


Eveline Figura


Entschleunigung auf dem Bauernhof

Astrid Lindgrens „Michel aus Lönneberga“ ist das Weihnachtsmärchen 2013 im Eduard-von Winterstein-Thater Annaberg, das am Erfolgsstück des vorigen Jahres nicht anknüpfen kann.

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Beschaulich ging es zu bei der Premiere am 17.11. 2013 in Astrid Lindgrens vor 50 Jahren geschriebenen Geschichten um den Dorfschlingel Michel (Oliver Baesler), seiner jüngeren Schwester Klein-Ida (Helen Aderhold), den Eltern, Bauer Anton (Nenad Žanić) und Mutter Alma (Gisa Kümmerling) sowie Magd Lina (Marie-Luis Pühlhorn) und Knecht Alfred (Sven Zinkan). Zweimal muss der Arzt (Robert Bittner) eingreifen. Das war´s dann schon, denn mehr Personen sind nicht nötig, die Regisseur Andreas Ingenhaag auf dem schwedischen Bauernhof rustikal agieren lässt. Der Hof allerdings spielt aktiv mit. Rund um die Drehbühne hat Wolfgang Clausnitzer (Ausstattungsleitung) ein Dorf im Dorfe errichtet: Die große weiße Wohnküche, den Hof mit Fahnenmast und Ställen, die Speisekammer, den Holzschuppen, oben drüber Mond und Schneeflocken, hinter einem Tüllprospekt dann Kutschfahrten der Familie. Märchenhaftes zum Wohlfühlen! Dazu erklingt sanfte Musik (komponiert und eingespielt von Peggy Einfeldt), Mundharmonika von Sven Zinkan und lustige Lieder auf Schwedisch gesungen und getanzt.Michel_0163
Michel macht Streiche, die unseren heutigen Medienkindern harmlos erscheinen, vor 50 Jahren aber von der eigenen Phantasie diktiert werden mussten und aus dem Lebens Umfeld entsprossen. So muss er die leere Suppenschüssel aufsetzen, in der er promt stecken bleibt. Beim Fahne hissen an einem Feiertag hievt er stattdessen seine Schwester hoch und lässt sie dort hängen. Dafür wird er mit Strafsitzen im Holzschuppen „belohnt“, wo er Figuren schnitzt und seinen Ausweg in die Speisekammer findet, sich durch die Würste futtert und im Schrank einschläft. Alle suchen ihn und sind froh, dass ihm nichts passiert ist. Oliver Baesler spielt den aufgeweckten Jungen ohne Schnörkel, liebenswert normal, der eher hineingetrieben wird in seine Erlebnisse. Überhaupt ist die Familie, in die Magd und Knecht fast gleichberechtigt integriert sind, sehr menschlich und nicht unschuldig an den Streichen. Nenad Žanić spielt den Vater stiefelschwer, gutmütig, dem es weh tut, seinen Sohn zu bestrafen und selbst seine Gefangenschaft im Klo mit Gezeter und Drohungen, Blitz und Donner, flößt niemandem Angst ein. 
Gisa Kümmerling ist die allerliebste Mama zwischen Küche, Kammer, Kirche. Magd und Knecht mögen sich, sind die Freunde der Kinder. Sven Zinkan als Alfred wehrt erfolgreich die Heiratspläne seiner überschäumenden Lina ab. 
Marie-Luis Pühlhorn liegt die skurrile Körpersprache der verdrehten Naiven und ihre sprachlichen Lispler sind hier wohl platziert. Die Klein-Ida scheint Helene Aderhold auf den Leib platziert. 
Mit Kleinmädchenstimme und harmlosen Augenaufschlag mischt sie kräftig mit, ohne je Strafe befürchten zu müssen. Genüsslich „prüft“ sie die Frische der vom Huhn verschleppten Eier, ohne dass auch nur eines verwendbar bleibt. Doch am Ende siegt der Mut Michels, der seinen Freund Alfred durch Schneesturm zum Arzt fährt, Angst überwindet, Leben rettet.Michel_0008

Stück und Ereignisse sind dennoch keine Durchreisser im Vergleich zum Weihnachtsmärchen im vergangenen Jahr („Die Bremer Stadtmusikanten“). Und die Leistung der Regie besteht hauptsächlich darin, kaum versucht zu haben, am Erfolg vom vergangenen Jahr anzuknüpfen. Der naive Humor einfacher Menschen, sich am Leben zu freuen, sich zu entschleunigen, muss erst wieder verstanden werden. Ebenso die Ruhe, die einzieht, wenn sich Kinder - und sicherlich auch Erwachsene - über Weihnachten freuen.

E. Figura



Loriot - hautnah

„Lassen Sie sofort meine Frau ins Bett“ - Unter dieser unmissverständlichen Aufforderung LORIOTS startete am Samstag das Annaberger Loriot-Feuerwerk um die menschlichen Komödien auf der Studiobühne des Eduard-von Winterstein-Theaters zum Amüsement des Publikums

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Es hatte sich die Komödianten-Crew unseres Musentempels getroffen, um LORIOT zu seinem 90. Geburtstag in Szene zu setzen. Das entspannte Publikum war für jede Pointe aufgelegt und die Darsteller gut präpariert. Vicco von Bühlow, so der adlige Name Loriots, noch vorstellen zu wollen, hieße Pirole (das Wappentier der von Bühlows, frz.: Loriot) nach Athen zu tragen. 
Einer der vielseitigsten Humoristen, Komödianten, Kabarettisten, Pressegrafiker, Schauspieler, Regisseure und Opernliebhaber steht nun mit dem Spiegel vor uns. Er seziert von liebenswerter Ironie bis scharfem Sarkasmus im Schafspelz über das unmögliche Zusammenleben zwischen Frau und Mann, die tagtägliche Rechthaberei in den kleinen Lebensdingen, die Schrullen der Männer, Nervereien der Damen, die Plattitüden der Politiker. Viele Texte sind zum Mitsprechen bekannt und doch hat die dem Publikum so nahe gelegene Bühne mit den Darstellern eine Präsenz des Geschehens parat, die die legendäre Loriotsche Perfektion der Fernsehszenen allemal  ersetzt.Loriot_HP2-103
Gabriele Kümmerling und Gerd Schlott bieten gekonnt und mit geübter Sprachdisziplin das reife Paar an der „Opernkasse“.Marie-Louise von Gottberg und Dennis Pfuhl das jüngere, die um Plätze und Stücke feilschen bis sie sich endlich neu gruppieren oder auch von der Oper drücken können. Gleiche Paarung mit ganzem Körpereinsatz beim „Bettenkauf“, umwerfend dabei Udo Prucha als Slogan dreschender, aber total überforderter Verkäufer. Willig, aber als stoisch instrumentierter „Lottogewinner“ oder im Fotoshooting für “Wahlplakat“ agiert Gerd Schlott. Ans Äquilibristische dagegen gemahnen die Stunts von Herrn Prucha und Frau von Gottberg bei der „Liebe im Büro“ oder ihre Wortakrobatik in der „Inhaltsangabe“ einer englischen Fernsehserie. 
Das fand durchaus auf dem Niveau einer Evelyn Hahmann statt. Bravo! Dennis Pfuhl war in seinen Szenen „Eheberatung“, „Jodelschule“ oder „Herren im Bad“ der ideale hochnäsige, näselnde, nervende, besserwisserische Querulant. Übrigens in der Badewanne mit Prucha beide im Trikot (die Feiglinge!), aber mit kleiner Überraschung beim „Standing talk“. Die Quietschente mit Heiligenschein und Flügeln gehört zu den vielen Regieeinfällen von Rolf Voigt, denn die Bühnenabläufe verlangen nach manch logistischer Kreativität gegenüber dem „schummelnden Fernsehen“. 
Große Anforderungen waren an Austattung (Franscesca Ciola) und Requisite sowie Souflage (Leroy Barth, Anselm Hühnel) gestellt, wie auch an die zaubernden Ankleider und Maskenbildner, in Windeseile neue Charaktere zu kreieren. Loriot_HP2-091
Am besten war jedoch auf dieser Studio-Nähe zu beobachten, welch  Körpereinsatz, Pointengenauigkeit, Sprachkonzentration in diesem sogenannten leichten Genre verlangt wird. Relativ unbekannt waren den Besuchern dann doch die skurrilen „Kochrezepte“ Lorios, die von den Darstellern in der jeweils eigenen Mimik und Gestik zelebriert und an die Zuschauer auf Karten übergeben wurden. 
Zur speziellen Aura des Abends gehörte unbedingt die musikalische LeitungPeggy Einfeldts, die gekonnt aus dem Repertoire der Klassik schöpfte, ob die „Träumerei“ nun passte oder nicht! Zur Freude des Publikums - eine gelungene und erfolgreiche Hommage an den ernsthaften Komik-Genialen LORIOT.

Eveline Figura




Endlich wieder Mozart!

Eine großartige Ensembleleistung, kurzweilige Regie und mitunter zu laute Musik waren zur erfolgreichen Annaberger Premiere von „Figaros Hochzeit“ zu erleben.DIR_2112

Mozart war mit Lorenzo da Ponte (eigentlich: Emanuele Conegliano) als Librettist eine geradezu idealtypische Allianz für die Opernliteratur eingegangen. Aus dessen Feder stammen die großen späteren Würfe “Don Giovanni“ und „Cosi fan tutte“. Er war ein hochintelligenter, weltgewandter Abenteurer, und wie auch Schikaneder, der Librettist der „Zauberflöte“, mit allen Wassern des Lebens gewaschen. Genauso einen Mann braucht Mozart, der den Riecher für sensationelle soziale Stoffe mit quirligen Ideen für die Bühnenpräsenz mitbrachte. Der „Figaro“ (auf Beaumarchais: „Der tolle Tag oder die Hochzeit des Figaro“ von 1784 zurückgehend) kam also schon zwei Jahre später auf die Opernbühne. 
Das war provozierendes Gegenwartstheater im Zentrum der damaligen Macht Wiens, bestimmt von persönlicher Zensur Kaiser Josef II., der mit seinen Reformen allerdings auch der Aufklärungsbewegung den Wind aus den Segeln nehmen wollte. 
Nicht nur, dass im Mittelpunkt des Stücke und Mozarts Oper Dienstpersonal mit höheren moralischen Ansprüchen steht als die Elite, sondern das einfache Volk beim Grafen auch noch selbst dessen Wort einklagt, auf das Recht der ersten Nacht gefälligst zu verzichten. Doch die Katze lässt das mausen nicht...! - und alle Konflikte sind vorprogrammiert. Mozart stellte mit seiner Musik dazu eine scheinbare Leichtigkeit auf die Bretter, die die Gesellschaftskritik durch Komik, Hintersinn und großen Gefühlen zwar verdaubar und sie dadurch noch einprägsamer wirkt. Alles was an Sing-Spiel-Erfahrung in ihm war, wurde hier potenziert. Alles an Dramatik von Liebe und Eifersucht der späteren Werke an- und vorgedacht.

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Und so gelang es auch gleich bei der Premiere am 26. Januar 2014 mit der Ouvertüre Schmiss und Tempo zu platzieren. Der Erzgebirgischen Philharmonie Aue unter der Leitung von GMD Naoshi Takahashi war die Spielfreude anzuhören und es bewältigte die immanenten Genres vom preußischen Defiliermarsch bis Fandango, die zarten wie die dramatische Passagen bei den großen Arien kompetent. In der Rage des musikalischen und szenischen Gefechts allerdings war häufig die Lautstärke bei der Begleitung der Arien zu vordergründig. Mehr Feingefühl, Grazilität müsste Einzug halten, um Textfeinheiten, Verständnis der Handlungs- und Emotionslagen besser entfalten zu lassen. Was die Streicher können, sollte den Holzbläsern und dem Blech auch gelingen... 
Studienleiter Fabian Enders war der exzellente Tonangeber am Cembalo unter den vielen Rezitativen, die vom Regisseur Dr. Ingolf Huhn mit blitzgescheiten Einfällen ausgerüstet, zur Spielfreude des Ensembles anregten. Das Konzept, nicht modernistisch herum zu experimentieren, sondern es in Zeit und Logik zu belassen, was die Frechheiten des Personals, die Freiheiten der Erotik, aber auch die letztliche Distanz zum gräflichen Dienstherrn beinhaltete, ging auf.DIR_2014
Graf Almaviva, Bryan Rothfuss als Gast von der Staatoperette Dresden, gab denn auch in Gestalt, Spiel und Stimme einen überzeugenden Einstand. Sein Bariton mit komfortabler Höhe und auch Kraft, wenn es unbedingt erforderlich war, entsprach der Rollengestaltung zwischen elegantem Höfling, Chef des Hauses und des Personals, eifersüchtigem Ehemann und liebestollen Galan. Das wurde elegant unterzeichnet von den schlichten Kostümen und dem Bühnenbild, das sich auf der Drehbühne schnell wandelte und in dem sich die Protagonisten bewegen konnten (Ausstattung Robert Schrag). Ein wenig abblätternde Patina und ein üppiger Rubens-Gobelin über dem Bett der Gräfin sollte wohl auch die Überlebtheit adliger Sitten symbolisieren. 
Die dunkellockige Gräfin wurde von Bettina Grothkopf souverän, aber ohne jede herrschaftliche Geste mit schönem Stimmklang, sowohl kraftvoll-edel, aber auch mit wundervollen Pianos in ihrer verwundeten Liebe gestaltet, dabei ausgelassen in den Szenen mit ihrem Zimmermädchen Susanna und dem Pagen Cherubino tändelnd. Therese Fauser als überschäumender Jüngling, frech, unbelehrbar und liebestoll war zusammen mit dem Grafenpaar, wohl auch in ihren beliebten Cherubino-Arien, stimmlich am nächsten beim Mozartschen Ideal. Die stimmliche und darstellerische Entwicklung der Fauser am hiesigen Theater ist beachtenswert! 
Figaro und Susanna, Jason -Nandor Tomory und Madelaine Vogt, passten sehr gut in ihrem Bewegungsdrang und der gebotenen Situationskomik zusammen. Was Tomory im ersten Akt an Rezitavibeherrschung bot, war schon der Anerkennung wert - textlich und musikalisch. Bei Madelaine Vogt gingen mitunter Inhalte durch die etwas gehetzten Tempi verloren, manch Rezitativ in seiner melodiösen Ausführung gelang dadurch nicht immer. Ihre Rolle der Susanna dürfte wohl auch eine der anspruchsvollsten für eine Opernsoubrette sein, weil gerade Spiel und Gestus der Musik so eng verwoben sind und die Ensembles Einfühlungsvermögen und Achtsamkeit erfordern. Frau Vogts Spielfreude, ihr kesser Ton jedoch sind entwaffnend. Das Duett mit der Gräfin „Wenn die sanften Abendwinde...“ und die Arie in der Verwandlung nach dem 4. Akt: „Endlich nahet sich die Stunde...“, sang Madelain Vogt sehr modulationsfähig, mit angenehmer Tongebung und überaus ausdrucksstark. Bravo! 
Jason-Nandor Tomorys Figaro, jung, aktiv und geradlinig, bringt viel Sympathie über die Rampe. Seinen durchaus kräftigen, warmen Bariton hätte man sich in der Auftrittsarie „Will der Herr Graf ein Tänzchen nun wagen“ mit mehr Aggression in der Stimme gewünscht, ist es doch die eigentliche musikalische Kampfansage gegen den Absolutismus schlechthin. In manch einem Moment sollte auch ein guter Sänger-Darsteller zugunsten des Stimmklangs auf etwas Spieldynamik verzichten dürfen. In „Nun vergiss leises Flehn“ war vom richtigen Maß zwischen Bewegung und Stimme viel zu spüren, was sich im weiteren Stückverlauf befestigte. 
Zwischen den Hauptfiguren intrigieren nun bei Mozart noch die verrücktesten Typen über die Bühne: zuförderst Bartolo mit László Vargas kräftigen Bass, der mit seiner Vendetta-Arie im ersten Akt ein Schlaglicht setzte und der auch noch den höchst einfach gestrickten Gärtner Antonio mit komischen Migrationsakzent gab, dazu jeweils wunderbar alberne Perücken tragend. Der Musikmeister Basilio war einmal mehr eine Schmunzelnummer des Tenors Frank Unger, der ganz uneitel auf große Gesten verzichtet und mit kleinen Hüftschwüngen, den Effekten hoher Töne und Dirigat-Choreografien amüsiert. Dazwischen wuseltBettina Corthy-Hildebrandt als liebestolle und stimmfrohe Alte (leider ohne die „Ziegenbock-Arie“) auf Figaro zu, die sich dann als seine Mutter heraus stellt. Und nochmal Frank Unger als Richter Don Curzio in komischen Verrenkungen. Am Ende wird Cherubino schließlich noch mit der Gärtnerstochter Barbarina (Gloria Ebert) entschärft, die ihr Lied von der verlorenen Nadel ganz hübsch sang.DIR_2131
Der Chor (Uwe Hanke) hatte kleine Aufgaben, agierte aber in diversen Gratulationsständchen und Rosenhymnen sehr harmonisch. Ebenso organisch eingebaut in die Handlung ein Volks-Fandango, zu dem auch noch zwischen Susanna und Figaro, Marcellina und Bartolo kommuniziert werden musste. Alles sehr ansprechend choreografiert von Susi Schönfeld. 
Das Finale ist bei Mozart immer der musikalische und moralische Höhepunkt. Das Ensemble tritt vor den Vorhang und damit aus sich heraus. Abgehoben von den Handlungsläufen vereint sich ungleiches Volk zu hoffnungsfreudigem Menschsein. Das hier zur Oper gesteigerte Singspiel ist in der Annaberger Inszenierung seiner Ursprünge nicht entkleidet, um so kurzweiliger war der Premierenabend. Ein animierend gestaltetes Plakat lockt hoffentlich viele Zuschauer zu dieser großartigen Ensembleleistung.

Eveline Figura

Fotos: Theater Annaberg



    Weihnachten en miniature

    Menottis orientalische Weihnachtsoper „Amahl and the Night Visitors“ hatte im Annaberger Winterstein-Theater erfolgreiche Premiere.

    Das Annaberger Theater ist immer für eine Überraschung gut. Diesmal, am 1. Dezember, just am 1. Advent war es Gian-Carlo Menottis amerikanische einaktige TV-Oper „Amahl und die heiligen drei Könige“. Seit 1951 wird diese Oper alljährlich, gleichsam kultartig, dort bei NBS über die Äther verbreitet, und von daher ist sie jedem Kinde bekannt. Bei uns weitgehend unbekannt, steht das Stück nun auf der Bühne und, oh Wunder, kommt es uns gar nicht amerikanisch überladen, sondern schlicht, poetisch und in den Aussagen fast á la Brecht entgegen.

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    Erzählt wird die Geschichte des behinderten lebhaften Hirtenjungen Amahl, irgendwo im Morgenlande, der mit seiner Mutter in Armut geriet. Am Himmel entdeckt er einen hellen Stern mit Schweif, was ihm die Mama nicht abnimmt. Nachts stehen plötzlich drei prunkvoll gekleidete Könige vor dem Zelt, wollen ruhen und zeigen ihre Schätze, die für das Jesus Kind bestimmt sind. Die Mutter gerät in Versuchung, könnte sie doch mit dem Reichtum ihrem Amahl helfen, und wird beim Diebstahl erwischt. Ihre Reue führt zu Vergebung, doch sie kann das Geld behalten. Amahl kann plötzlich wieder gehen - nach dem Motto: „Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott?!Amahl_HP2_049
    Doch bevor diese Geschichte mit überraschend schöner Musik in kleiner Besetzung und dynamischer Verve dirigiert (am Pult: 
    1. Kapellmeister der Erzgebirgischen Philharmonie Dieter Klug) über die Bühne geht, hat man quasi eine musikalische Einführung, ein Vorspiel inszeniert. Beide Teile des Abends in der Regie vonBirgit Eckenweber. Die Komposition des ersten Teils ist Bejamin Brittens „A Ceremony of
    Carols“, ursprünglich für Knabenchor, von 1942. Mit diesem Spiel stellte man das Publikum auf Menottis nachfolgender Oper ein. Huldigende Frauen und Hirten stellen die Weissagung von der Geburt des Jesuskindes dar. Der Junge mit seinem Stern-Erlebnis ist auch schon zugegen. Solisten und Chor gestalten die Chor-Partitur gemeinsam. Einfache, ans Gregorianische erinnernde lateinische Gesänge zu Beginn und am Ende stellen hohe Anforderungen an Einfühlung und Gemeinsamkeit des Singens, vor allem in der Bewegung über die sparsamen Kulissen und in der Hirtenkleidung in warmen Erdfarben (Ausstattung: Robert Schrag). Chordirektor Uwe Hanke hat die Damen und Herren des Chores davon überzeugen können, so wenig wie möglich hervorzustechen, und die Solisten haben sich wirkungsvolle in die Abläufe und Klänge integriert. 
    Fürs Publikum entstand eine Art Meditation, die Zuhören und Erfühlen von Stimmungen und Ruhe mit sich brachte. Solistisch und begleitend war nur eine Harfe in kraftvoller Zartheit und auch introvertiert im Flageolett gespielt dabei, - exzellent interpretiert vom Solo-Harfenisten des Hauses Friedhelm Peters.
    Im Hauptstück nach der Pause geht es dank der überschaubaren Handlung, lebhafter, rhythmischer und melodiöser Vielfalt kurzweilig zu. In den Hauptrollen agieren Therese Fauser (Amahl) und Bettina Corthy-Hildbrandt (Mutter) mit Temperament und liebevollem Aufeinandereingehen. Frau Fauser ist der charmante, phantasievolle Junge, der seine Behinderung angenommen hat und optimistisch sogar die Armut akzeptiert, sich in Musik und Phantasie flüchtet. Locker und leicht spielt sie und singt die durchaus anspruchsvollen Melodien. Frau Corthy-Hildbrand kann in der Rolle der besorgten, liebenden, jugendlich wirkenden Mutter endlich einmal wieder ihre spielerischen Vorzüge entfalten. Sowohl stimmlich als auch in gekonnter Artikulation meisterte sie ihren Part. Ihr „Lied vom Gold“ hat sozial berührende Tiefe, die auch heutige Fragen stellt. Amahl_HP2_074
    Optischer Höhepunkt ist dann ohne Zweifel die Ankunft der drei Könige mitFrank Unger als Kaspar, László Varga als Balthasar und als Gast Alois Walchshofer (als der schwarze Melchior) und ihres Dieners (Max Lembeck). Die Ausstattung hat alles gegeben: Samt, Seide, Flitter, Turbane, Federkragen und sogar Humor. Ein Papagei auf der Schulter, ein Riesenhörrohr für einen tauben Kaspar, Lakritzbonbons in der Schatztruhe und dazu sagenhafte Menschlichkeit der Könige. Stimmlich hatte Frank Unger weniger Gelegenheit, mit seinen sonstigen Schmelztönen die etwas matte Mittellage vergessen zu lassen, wog aber mit spielerischem Witz auf. László Varga war der Mann schöner Tiefe, zuständig für orientalische Teppiche, und Alois Walchshofer, vermutlich eine Art Bariton, der Dritte im Bunde. 
    Mit Großmut gehen Könige über den Diebstahl des Goldes durch die Mutter hinweg (deshalb sind sie wohl auch die „Heiligen“ und dürfen im Kölner Dom begraben liegen!)
    Das Wunder der Weihnachtszeit geschieht: Amahl kann wieder laufen und darf mit den Königen schließlich zum Christuskinde ziehen. Bis dahin hat die Regie die Hirten und Frauen des Chores zu schönen Gruppen drapiert und die Choreographie Siegrun Kressmanns die Sänger zu wirklich einfallsreichen Volks-Tänzen bewegt.
    Alles in allem eine adventliche Einstimmung auf das Weihnachtsfest - ohne Konsumrausch und Warenhauslärm. Besinnlichkeit und die Hoffnung entsteht, dass vielleicht die Heilige drei Könige auch bei Ihnen vorbeikommen könnten, - spätestens am 6. Januar.

    Eveline Figura


    Junge Kunst im GDZ

    Ausstellung von Schülerarbeiten der Fachrichtung Gestaltung des "Institutes für die Ausbildung Jugendlicher" in Annaberg-Buchholz offenbart anspruchsvollen Gestaltungswillen

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    Schon zum fünften Mal präsentiert sich die Bildungseinrichung mit Werken der bildenden Kunst ihrer 12. Klasse der Fachoberschule/Fachrichtung Gestaltung mit einem breiten Spektrum von Themen im GDZ, dem Haus gegenüber der Schule. Die Direktorin, Dr. Ilona Jurk, bedankte sich bei der Eröffnung der Ausstellung deshalb herzlich beim GDZ-Chef Herrn Matthias Lißke für die Möglichkeit, die Schülerarbeiten einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Eine lohnenswerte Sache, wie alle Beteiligten bestätigen. Immerhin sind in den vier bis fünf Wochenstunden und zusätzlichen Praktika  im Fach künstlerisch-ästhetische Praxis viel Formensprache und Themenreichtum zu lernen und umzusetzen. Nun bedürfen die Resultate der Betrachter, um sich gesellschaftlich zu spiegeln. In dem großzügigen Foyer im 1. Stock des GDZ ist genügend Raum, um all die groß- und kleinformatiken Malarbeiten, Kollagen, Tuschfahnen, Kaligraphien und plastischen Figuristik zu präsentieren. Schule 2
    Eine der Kunsterzieherinnen berichtete über den anspruchsvollen Prozess, indem sich die Schüler den verschieden Themenkreisen nähern, sich konzentriert dem Material widmen und ihren Weg zum hier gezeigten Resultat fanden. Dabei sind im Fach künstlerisch-ästhetische Praxis Arbeiten von 2012/13 zum Thema 200 Jahre Märchen der Gebrüder Grimm unter dem Titel „Phantastische Landschaften“ zu sehen, die bereits die Weihnachtsausstellung im Erzhammer umrahmten und mit Tusche auf Packpapier-Wandbhängen mit reichen, oft witzigen Einfällen märchenhafte Berg- und Burgwelten, Bienen und Pilzenornamenten die Welt gestaltetet.
    Gegenüber Pastelle von Pflanzen, Portrait-Kopien aus berühmten Gemälden der Weltkunst, Kollagen zu Themen wie „Lustige Vögel“ oder Skulptürchen, die von  Alberto Giacometti inspiriert wurden, Vogelhäuser wie Puppenstuben eingerichtet, Tierformen und an Grafitty erinnernde Popbilder. Schule 1
    Zur Vernissage wurde der Klasse 12 S gedankt, die als „Kreativteam“ die Ausstellung aufgebaut hat, und dem Fachbereich Soziales, der die Vernissage mit Musik, selbstverfaßten gefühlvollen Gedichten und Rap-Songs umrahmte. Die von den Arbeitsprozessen gedrehten Videos  hatten sich selbst zu originellen Kunstwerken gemausert und wurden mit viel Applaus gewürdigt. Eine Modenschau, die mit Müllbeuteln und Restposten Kleiderteile vorstellte, gemahnte an Nachhaltigkeit- mit Augenzwinkern und Spaß bei der Vorführung.
    Die Schau macht macht optimistisch in einer Welt geschmackloser Vermassung. Hier ist zu sehen, mit wieviel Herzblut Kunsterzieher und Schüler um  eigenen Ausdruck in künstlerischer Form ringen und nach Neuem suchen. „Der Weg ist das Ziel“ wurde als Motto verlautet. Zu dem gehört die Freude am Tun, am Ausprobieren, am Aufsteigen. Die Direktorin, Dr. Ilona Jurk, gab der Hoffnung Ausdruck, dass manch einer der Schülerinnen und Schüler bald als Dienstleister in eigenen Firmen erfolgreich, vielleicht sogar am gleichen Ort, gestalterisch tätig sein könnten.

    Die lohnende Schau ist täglich von 8-18 Uhr, noch bis zum 8. April 
    im GDZ (Gründer- und Dienstleistungszentrum), Adam-Ries-Str. 16 geöffnet.

    Eveline Figura

     



Da bricht etwas auf,
wächst, verfärbt sich, bricht ab
oder in sich zusammen –
ein stumpfes Schwarz schließt
in lichternde Farben ein.
Was da aufhellt an den Blättern
und müllbestückten Kapackplatten,
ist der Glanz – ein feiner Lack
über den Erinnerungen.
Was sich da einbrennt sind:
Farben, Zeichen und Fragen.
Fiebrig zerreiben Finger Pigmente,
morsen Signale: Hoffnung, Schlucht, Echo,
einer würfelt sich eine Landschaft zusammen.
Zwischen Sperrmüll und Werbung,
zwischen Klöppelspitzen und Uranhalden,
zwischen Neubauten und Abrisshäusern
spanne ich mich einzufangen,
aufzufangen, mein
Netz aus Bildern.

Michael-Thomas Sachs


Von der Bedeutung der Dinge

Michael Thomas Sachs stellt seine Collagen und Assamblagen in der Naturparkgalerie des Thermalbades Wiesenbad vor, dort sind sie bis zum 5. Mai 2014 zu sehenSachs 3

Er ist kein spartanisch agierender Künstler, dieser Michael Thomas Sachs.Ein breites Schaffen ist ihm eigen: Malerei, Grafik, Illustrationen für Bücher und seine in verschiedenen Ausstellungen Annabergs und andernorts teilweise schon gezeigten Assamblagen und Collagen. Dies alles kündet von seinem gegenständlichen, abbildenden Talent als Künstler, und so ist das hier gezeigte abstrakte Schaffen nicht getarntes Unvermögen, sondern Befreiung vom Gewohntem, Ausleben von Formen, Farben und Strukturen in ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit.
In der Vernissage am am vergangenen Freitag werden eine Vielzahl dieser Objekte gezeigt, können mit ca. 40 Werke mittlerer Größe in der weitäufigen Räumlichkeit der Naturparkgalerei, 1. Stock, mit ihrer Wirkung wuchern. Helmut Windrich, der die Galerie seit Jahren betreibt, freute sich bei der Begrüßung deshalb über „die neuen Impressionen“ für die Besucher und die Beleuchtungseffekte, mit denen diese Kunstwerke hier ins rechte Licht gesetzt sind. Einige der Assamblagen werden am Tagen von außen besonnt, weil auf Glas montiert.Sachs 2
Wie interpretiert man abstrakte Bildwerke aus verleimten Papp- und Papierresten, Versatzstücken, aufbewahrten Erinnerungen, Karten, Eintrittsbillets und Preisschildern, gefalteten Büchsen und Windlichtern, Holz und Metallteilen? 
Der Laudator, H. Schönemann, tat das mit reichem Wortschwall, indem er das bereits umfängliche Werk des 1962 geborenen, und deshalb noch zu den Jungen zählenden, Michael Thomas Sachs würdigte. Er betonte, dass nicht Protest an der Massenkultur und Konsumgesellschaft Hauptantrieb dieser Collagen sei, sondern eher der Kultur- und Werteverlust, der im Verschwinden von Sachen unmerklich einzieht. Sachs rettet Vieles vom Müll hinüber in seine neue Gestaltwelt, „Details erhalten Mitspracherecht“. Ob sie deshalb gleich dem Werke eine „Seele zurückgeben“, darf allerdings bezweifelt werden. Aber eine überraschende Aussage für den Betrachter transportieren sie allemal. Sachs 4

Es sind keine Kunstwerke, die eine neue „Idylle“ vorgaukeln wollen, wie in so manch anderer Ausstellungen auch in Wiesenbad. Die Betrachtung darf dem Rezipienten Mühe machen, insofern er nicht einfach Unbekanntes ablehnen kann, sondern Wiedererkennen von Details, Kompositionsgeschick, Bewunderung von Materialästhetik und Wirkung eines neuen Ganzen abverlangt werden. Gerade für junge Leute kann diese Technik sogar Anregung für eigene Beschäftigung sein, denn kleben (Collage) und Farbsprühen, mit Farbe umgehen kann doch jeder. Allerdings nicht so wie Sachs, zugegeben, der auch als angewandter Künstler den Gebrauch von Formen, das Komponieren von ihnen und verpflanzen in neue Bedeutungen im Blute hat. Seine Werke sind bodenständig und sphärisch zugleich, insbesondere die auf Metall aufgebrachten Versatzstücke. Übrigens steckt auch viel Humor in den Ergebnissen. Eigene Erinnerungen an etwas. Aha-Erlebnisse und „Behutsamkeit“ (Lothar Kühne), die im Umgang mit den Dingen und uns selbst schon verloren gegangen zu sein scheint. Die Vorbilder von Michael Sachs sind u.a. Carlfriedrich Claus, unser großer Annaberger Unverstandener, der selbst ein Sammler alles Menschlichen war: Bücher, Musik, Situationen in Fotos und Schriftgefügen. Des weiteren Sachs` bekannter Mal-Lehrer Karl-Heinz Westenburger, für den galt: „Unser Müll zeigt und selbst“, und das darf sehr wohl gesellschaftskritisch verstanden werden.

Musikalisch kongenial begleitet wurde die Eröffnung der Ausstellung vom Duo „Tuya Klangwerk“ aus Chemnitz, die mit E-Geige und Schlagwerken, zu denen auch viele ungewöhnliche Naturobjekte oder Wäscheklammern, Schnurschnarren, Mitschnitttechnik/Wiedergabe und Phantasie zählten.



Bewegendes Holz

Die Jubiläums-Ausstellung in der Marienberger Baldauf Villa anlässlich des 80. Geburtstages
des dortigen Schnitzervereins setzt Maßstäbe.2014-01-11 16.03.38

Zum 80. Geburtstag des Marienberger Schnitzvereins vereinen sich viele Hand-“Schriften“ der Schnitzmesser in dieser langen Zeit. Die begeisterten Besucher genießen nicht nur die schönen Räume der Jugendstil-Villa, sondern die Fülle der Objekte von Kleinfiguren, Lichterträgern, Wichteln und Bergleuten, denen man Entwicklungen der Figurengestaltung ansehen darf. Trotzdem hat man nicht wie andernorts das Gefühl, dass nur das gerade einmal Entbehrliche aus den Kammern und Stuben für die Schau schnell und relativ planlos geholt wurde, sondern oft gerade die schönsten Stücke der begabten Volkskünstler den Verein über die Zeit repräsentieren dürfen. Viele Schwibbögen und mindestens zehn Großpyramiden mit wunderbar handgeschnitzten Figuren bringen die durch den grünen Winter in diesem Jahr erheblich verlorene Weihnachtsstimmung wieder in Fahrt. Der mit viel Humor bestückte, große mechanische Märchenberg von 1950 bildet den zauberhaften Hintergrund. Doch das Schönste für Klein und Groß sind die zahlreichen bewegten Holzszenen, wo die Besucher Drehkurbel oder Schalter bedienen könne und sich dann Rehe im Wald, Bergleute, Erzgebirger in verschiedenen typischen Situationen tätig in Gang setzen. Die fantasievollen Objekte lassen die Mechanik erkennen, die sonst bei Weihnachtsbergen oft im Verborgenen wirkt. 
Für kreative Väter und Opas besonders anregend - dieses Dahinterschauen!20140111_134909
Die geschnitzte Idylle der „Hutzenstub“ aus der Familie Kunis ist auch unbewegt schön ansehbar, in Betrieb und Beleuchtung ein Schmuckstück auf dem „Buffet“ der Herrlichkeiten. 
Zum 125. Geburtstag des Mentors der Marienberger Messerkünstler, Schnitzmeister Rudolf Kunis, ist eine Personal-Schau integriert, die die Vielzahl von Sujets zeigt, in denen er sich versuchte. Die Scherenschnitte in Holz sprechenden Betrachter besonders an, erinnern sie doch an die reizenden animierten Märchenfilme der Fünziger. Natürlich kann man im Hutzen-Salon der Baldauf Villa auch Schauschnitzen und Klöppeln live  erleben und einer alte Spieluhr zu Gehör verhelfen, die die Stimmung in dieser liebevoll gestalteten Schau so recht zum Klingen bringt. Danach einen Kaffee und ein Stück Kuchen im Baldauf-Villen-Café runden die sehenswerte Ausstellung der hölzerner Widerspiegelungen unserer Region ab.2014-01-11 16.05.34


Bis zum 26.Januar 2014, täglich von 10-18 Uhr kann man sich dem heimatliches Vergnügen in Marienberg hingeben , gefolgt von der 9. Mineralienbörse am 8. und 9. Februar: 8.2., 10-17 Uhr, 9.2., 10-16 Uhr.

E. Figura

Baldauf Villa, Anton-Günther-Weg 4, 
09496 Marienberg, Tel.: 02735-22045, 
www.baldauf-villa.de, 
info@baldauf-villa.de




Lustig ist das Ganovenleben

(7.2.2013) Mit der schrillen Komödie „Zwei wie Bonnie und Clyde“ unterhielten Gisa Kümmerling und Dennis Pfuhl als Gangster-Paar das Publikum zur Premiere am Donnerstag im Annaberger Theater prächtig.
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Was echte Komödianten aus einem eigentlich schwachen Stück herausholen können, war am Donnerstag zur Premiere der Komödie„Zwei wie Bonni und Clyde“ von Tom Müller und Sabine Misiorny auf der Studiobühne des Annaberger Theaters zu besichtigen. 
Zu erleben sind zwei Stunden permanentes Scheitern wegen Naivität, Dummheit, Selbstüberschätzung und viel Pech eines kriminellen Paares, das sich mit dem Einbruch in eine Sparkassenfiliale seine Hochzeitsreise finanzieren will und sich dabei das USA-Gangster-Duo aus den 1930er Jahren Bonni Parker und Clyde Barrow zum Vorbild nimmt. Dass andere immer schon vor ihnen an der Kasse waren, von Chantal und Manni (wie sie im Stück heißen) die falschen Geld-Tüten mitgenommen wurden, oder die Strumpf-Gesichtsmasken nicht immer durchsichtig waren, treiben das Stück mit vielen Gags, Slapstick, Witzen und Witzchen, über und unter dem Tisch, zwischen unzähligen Schuhkartons (gesponsert vom Schuhhaus Sehm, Annaberg) sowie mit gekonnter Mimik, Gestik und Sprachbeherrschung durch die beiden Protagonisten voran. 
Gisa Kümmerling als naive und teilemanzipierte Gangsterbraut Chantal hat dafür ein schier unerschöpfliches komödiantisches Register zur Verfügung, das sie in zahlreichen Rollen an unserem Theater schon oft zum Einsatz bringen konnte, sich aber an diesem Abend damit selbst übertraf. Dabei handelt es sich nicht nur um eine mimisch und gestisch umfangreiche Palette, die ihr zur Verfügung steht, sondern auch um einen sehr differenzierten Umgang mit Stimmmodulationen und Sprachbeherrschung. Ihr Vater, der legendäre ehemalige Intendant, Regisseur und Schauspieler des Hauses, Roland Gandt, hätte garantiert seine helle Freude an der schauspielerischen Entwicklung seiner Tochter. Das Publikum honorierte die überaus komödiantischen Leistungen von Gisa Kümmerling mit viel Heiterkeit, Applaus und Bravos.

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Als kongenialer Partner agierte Dennis Pfuhl in der Rolle des mit ihr überforderten Manni. Großartig, wie er seiner Partnerin zum wiederholten Male und mit wunderbar gespielter Engelsgeduld die Einbruchspläne erklärte, vorspielte und verzweifelt an die Naivität oder Frauenschläue anpasst. Auch mit Pfuhl stand ein beachtliches Talent auf der Bühne des Annaberger Theaters, von dem sich das Publikum nun schon mehrfach auch in anderen Inszenierungen überzeugen konnte. 
Der Regisseurin, Christine Zart, ist es, unterstützt vom ansprechenden Bühnenbild (Sandra Linde), gelungen, eine kurzweilige Komödie á la „Lustig ist das Ganovenleben“ auf die Studiobühne zu bringen, die das Publikum vielleicht auch fröhlich davor warnen soll, sich jemals an Sparkassen zu vergreifen. Solche Versuche sind nicht nur auf dem Theater, sondern meist auch im richtigen Leben zum Scheitern verurteilt...

Eveline Figura



Formschön und alltagstauglich

Unter dem Titel "Von Chemnitz in die Welt und wieder zurück - Die Bauhauskünstlerin Marianne Brandt" sind bis zum 8. Juni 2014 in der Chemnitzer Villa Esche Bauhaus-Exponate aus Privatsammlungen zu sehen.

Kunstvoll aber dennoch nützlich. Formschön und dennoch alltagstauglich. Marianne Brandt, Chemnitzer Bauhauskünstlerin und Schülerin des belgischen Designers Henry van de Velde, machte Dinge des täglichen Gebrauchs zu Designobjekten. In der neuen Sonderausstellung der Villa Esche kehren Entwürfe, Dokumente und Objekte Brandts aus Privatsammlungen in ihre Heimatstadt Chemnitz zurück. Gezeigt werden überwiegend Gebrauchsgegenstände, die Marianne Brandt zwischen 1929 und 1932 gestaltete.

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Ergänzt wird die Präsentation mit aktuellen Produkten der italienischen Design-Firma Alessi, die bis heute nach Entwürfen der Chemnitzer Künstlerin gefertigt werden. Esche 3

Die von dem belgischen Künstler Henry van de Velde entworfene Villa Esche (Foto) gilt als ein Baudenkmal von europäischem Rang und gehört neben dem Kaufhaus Schocken von Erich Mendelsohn, dem Kaßberg, als einem der größten, noch geschlossen erhaltenen Jugendstil- und Gründerzeitviertel Europas, und imposanten Bauten der Industriearchitektur zu den herausragenden Architekturleistungen in Chemnitz.

Nach dem Abschluss der aufwändigen Restaurierungsarbeiten beherbergt die Villa Esche das erste Henry van de Velde Museum Deutschlands und dient als Kommunikations- und Begegnungsstätte für Wirtschaft, Kunst und Kultur. Sie knüpft damit an den Geist der langjährigen Freundschaft zwischen der Chemnitzer Unternehmerfamilie Esche und dem belgischen Künstler Henry van de Velde an.Villa 2
Im Henry van de Velde Museum werden Exponate aus dem umfangreichen Konvolut der Kunstsammlungen Chemnitz gezeigt: Im Erdgeschoss vermitteln das ehemalige Speisezimmer (Foto) und der Musiksalon weitgehend original möbliert einen Eindruck des ursprünglichen Ambientes der von van de Velde gestalteten "Lebensräume". Im Obergeschoss der Villa gewährt eine Dauerausstellung im ehemaligen Schlaf-, Kinder- und Badezimmer Einblicke in das weitgefächerte Gesamtschaffen des vielseitigen Künstlers.

Der junge Chemnitzer Textilunternehmer Herbert Eugen Esche - ein Kenner und Liebhaber zeitgenössischer Kunst - erteilte 1902 dem belgischen Künstler Henry van de Velde den Auftrag zum Bau einer repräsentativen Villa. Bereits zuvor hatte van de Velde Mobiliar für die Wohnung des jungen Ehepaars auf dem Kaßberg entworfen.

Herbert Eugen Esche ( 1874 - 1962) entstammte einer angesehenen Fabrikantenfamilie, deren Wurzeln im nahegelegenen Limbach bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen. Johann Esche ( 1682 - 1752) gebührt das Verdienst, mit der Erfindung des ersten funktionstüchtigen Strumpfwirkstuhls Deutschlands den Grundstein für eines der erfolgreichsten Unternehmen der sächsischen Textilindustrie gelegt zu haben.esche_velde
Herbert Esche (Foto: Mit Henry van de Velde und Sohn) war Mitinhaber der Firma Moritz Samuel Esche, die ab 1870 in Chemnitz tätig war und zur größten Strumpffabrikation Deutschlands expandierte. Das internationale Ansehen des Unternehmens dokumentierte u.a. die Berufung Theodor Esches als Juror der Weltausstellungen in Paris und in London.
Aber auch das Engagement der weitläufigen Familie Esche in künstlerischem, öffentlichem und sozialem Interesse hinterließ vielfältige Spuren:
In Limbach erinnert noch heute die Anna-Esche-Straße an das Wirken der Gattin von Dr. Carl Julius Esche. 

Herberts Vater Eugen Esche war Mitglied des Sächsischen Landtages. Seine Stiftung bot langjährigen und verdienten Arbeitern der Firma Moritz Samuel Esche angemessenen Wohnraum in der Chemnitzer Forststraße. Herberts Bruder Fritz Esche engagierte sich nach dem Tod seines Vaters an dessen Stelle in der Chemnitzer Kunsthütte, später trat auch Herbert Esche selbst bei.
1905 weilte der norwegische Maler Edvard Munch auf Einladung Herbert Esches in der Villa Esche und portraitierte u.a. die Kinder Esche.

E.F./red.

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Mi08:00 Uhr - 16:00 Uhr
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Mundraub mit Moral

(31.3.2014) Das groteske Werk des Italieners Dario Fo „Bezahlt wird nicht“  fand zur Annaberger Premiere ein amüsiertes Publikum und ließ auch an darstellerischer Leistung und politischer Brisanz nichts zu wünschen übrig.
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Das Fünf-Personen-Stück, das am vergangenen Sonntag in Annaberg Premiere hatte, konnte vor genau 40 Jahren in Mailand seine Uraufführung feiern. Kurz darauf trat genau das ein, worum es im Werk von Dario Fo ging: Arbeiterfrauen holten sich erst zu halben Preisen, dann ohne Geld Waren aus dem Supermarkt, weil die Krise, Teuerung, Arbeitslosigkeit ihnen keine andere Wahl mehr ließen. Die Theatermacher wurden der Aufwiegelung angeklagt. Eine bessere Reklame für Stück und Sozialkritik war kaum möglich. Zum Werk des Italieners gehören 47 Theaterstücke, 80 Inszenierungen und ein Nobelpreis, über den sich der Theatermann Dario Fo halbtot lachte, weil er es für unmöglich hielt, dass endlich seine Gebrauchs-Dramatik solche Anerkennung erlangte und ihn weltberühmt machte. 
In den 80er Jahre hatte das Stück schon einmal Premiere in Annaberg, wo es eher auf amüsiertes Unverständnis des Publikum stieß, weil dessen damalige Probleme ganz andere waren. Das sieht heute etwas anders aus in einem Land, einer Region, wo sowohl Arbeitslosigkeit als auch Armut angekommen sind, aber wo Hunger noch kaum ein Thema ist. So lacht man über die fünf jungen Italiener mit sattem Verständnis, weiß man doch um hohe Jugendarbeits- und Perspektivlosigkeit in Italien, Spanien, Griechenland oder auch in den armen ehemaligen Staaten des Ostblocks. Dario Fo arbeitet auch in diesem Stück “Bezahlt wird nicht” mit bewährten Formen des italienischen Theaters der 
Commedia dell'arte, der grotesken Personenverfremdung und absurden Wendungen der Handlungslinien.Bezahlt_wird_nicht_HP2-8853
Zwei Paare sind in oben beschriebener Situationen, die beschäftigungslosen Ehefrauen haben nichts mehr  zum Kochen für ihre hungrigen Männer und kommen von einem Raubzug mit anderen aus dem Supermarkt. Sie verstecken alles unter dem Bett, weil sie wissen, dass ihre klassenbewussten Männer nichts mehr fürchten als Gesetzlosigkeit. Kampf ist hier Klassen-Kampf gegen die Ausbeuter und den Staat, aber nichts Kriminelles.  Gisa Kümmerling (Antonia) und Dennis Pfuhl (Giovanni) spielen das dominierende, die Handlung führende Paar verrückt, grotesk und skurril, aber in ihrer Beziehung und bis in die Agitation hinein glaubhaft und sympatisch. Die Texte sind in ihrer sozialen Drastik wichtig, und so genau sind sie auch gesprochen, verständlich und Charaktere formend. Im Spiel, in Gestik und Mimik ist die Kümmerling ein thatralischer Wirbelwind, die dem italienischen Original diesbezüglich - auch im Deutschen - überaus nahe kommt, gleich gefolgt von ihrem Gatten Giovanni-Pfuhl.
Giovannis Freund Luigi wird von Oliver Baesler als gradliniger, naiver, ihm folgender Freund gegeben, der vor Verwunderung über die Unfasslichkeiten der Geschehnisse schier verzweifelt, ebenfalls sehr gut in der Artikulation. Helene Aderhold als dessen Frau Margherita und Freundin Antonias gibt die infantile, ständig entgleisenden Vollzugsgehilfin, mitunter zu schrill, dadurch vielfach unverständlich, aber vielleicht lernfähig.
Es ist ja auch schier unglaublich, was dem Dario Fo so alles eingefallen ist: Die geklauten Waren werden als dicke Bäuche in Schwangerschaften verwandelt, was genug Sprengstoff in Richtung katholische Kirche und Papst birgt. Polizist und Carabiniere werden in ihren Zwickmühlen, individuellen und politischen, karikiert. Der überaus wandlungsfähige Robert Bittner durfte sich neben diesen Vollzugsbeamten gleich in weiteren drei Rollen ausleben und tat das durchaus differenziert und lustvoll. Sein Bestatter in Gruselmanie und als Großvater in Udo-Lindenbergs Ton und Gestik hatte schon eine sehr eigene, fast Goldoni-Komik. Bezahlt_wird_nicht_HP2-9142
Die Regie des Abends lag bei Karl Georg Kayser mit vielen überraschenden Einfällen. Trotz Klamauk und Tollerei blieben die Aussagen verstehbar und die Figuren menschlich verständlich. Manch aktuelle Anspielung dagegen hatte Fo`s Vorlage nicht nötig und ging auch ins Leere. Annabel von Berlichingen setzte auf eine einfache Häuslichkeit: Einraum-Apartment, Herd, Bett, Schrank, Licht und Farbeffekte, was wieder einmal bewies, dass Theater vorrangig Schauspiel-Kunst ist. Oliver Baesler als Neuzugang im Ensemble schuf zudem noch die Musikcollagen - unaufdringlich und stimmig. Die Inszenierung dürfte auch bei jungem Publikum ankommen. Insgesamt: Bravo!

Eveline Figura


Musikalisches Lebensgefühl


Erfolgreiche Premiere der dritten Schlager-Revue-Staffel „Lollipop forever“ am Annaberger Theater unterhielt ein die Generationen übergreifendes PublikumLollipop_HP2-011

Es ist die dritte „Staffel“ nach den Schlager-Revuen von 2007 und 2010, die das Schauspiel-Ensemble des Eduard von Winterstein Theaters am vergangenen Sonntag zur Premiere brachte. Aber diesmal wurde nicht nach einer vorhandene Vorlage gesungen, gebackroundet, getanzt und gespielt, sondern nach einer eigens fürs Haus kreierten Handlung, Song- und Hit-Zusammenstellung und musikalischen Arrangements unter der Leitung von Bandleader und Keyboarder Rudolf Hild neu geschöpft. Der musikalische Leiter steckt bereits so tief in der Geschichte der „Lollipops“, dass wohl auch diesmal deren Höhenflug geschafft werden konnte. Es wurde gleich atmosphärisch klar, und das anhand der Publikumsrekationen von Anfang an, dass generationsübergreifende Glückshormone mit ausgeschüttet wurden. Die Älteren hatten sogar die Texte zum Mitsingen im Kopf, die sie an ihre Kät-Zeiten an der Schlickerbahn erinnerten, an Flirts und an erste Lieben. Die Jungen im Publikum erkennen die Evergreens der ganz großen Stars, Revivals ihrer heutigen Bands und vor allem: Was doch ihre „Alten“ für tolle Musik hören und diese noch richtig tanzen können durften!
Alles das war durch die sparsame und wirkungsvolle Ausstattung von Wolfgang Clausnitzer und die technische Mitwirkung des Regisseurs Jan Mixsa auf die groß wirkende Bühne mit viel Beinfreiheit gestellt. Schwarz glänzende Bahnen aus Förderbändern unterstützten die Wirkung der Farbscheinwerfer und performten die auf zweidrittel Höhe sitzendes Band, zu deren Füßen die außer Rand und Band geratenen sieben Schauspieler und eine Rocksängerin agieren. Die allerdings müssen zu ihren Tanzkreationen und Gesängen auch noch Dekoteile aus gestückelten, farbig geschminkten Lüftungsschächten mitbewegen und ständig zu neuen Kulissen gruppieren. Dadurch entsteht bewegter Raum und witzige Situationen, in denen die Raumstation Enterprise, Bars, Balkons, sitz- und betanztbare Ebenen entstehen.Lollipop_HP2-057
Der rote Faden heißt wiedermal Udo Prucha, der sich in Träumen an Tänze, Reisen, an Italien und Filme erinnert. Sich dort wiederfindet und mit einer erotischen Stimme von oben (Marie-Louise von Gottberg) kommuniziert. Die Themen-Bilder werden durch eine abwechslungs- und einfallsreiche Regie von Jan Mixsa in Gang gesetzt. Im Fortgang des Abends singt und tanzt Prucha sich selbst, - sympathisch-bärig als Identifikationsfigur. Schnelligkeit, zügig wechselnde Gruppierungen und viel Witz in der Darstellung lassen das Schauspieler-Ensemble funkeln. Unwichtig, ob dabei jeder perfekt singen kann oder nicht. 
Tanzen können alle, und manche der Protagonisten wurden so in die vielfarbigen Ideen der ChoreographinSigrun Kressmann hineingezogen, wobei man sich wunderte, dass nichts Schlimme(ere)s passierte. Lollipop_HP2-046
Den ersten Vogel schoss Nenad Žanić gleich mit schwarzer Lockenperücke als „Boney M“-Tänzer unter seinen flippigen Mädels ab. Klar, ohne Parodie, Ironie oder Spiel geht es nicht. Das sind auch die wirklichen Pfunde des Abends, denn die reine Imitation einer Nummern-Schlager-Revue würde nur Gähnen produzieren, genau wie die technisch durchstylten TV-Shows sogenannter Stars, die ohne Geist nur sinnlose Berieselung und Massengeschmack bedienen. Nenad Žanić spielt, tanzt und singt beachtlich, setzt er doch seine wirklich gut sitzende, sonore Stimme gekonnt ein. Ebenso der Musical erprobte Sven Zinkan mit Chanson-Qualität und Eleganz, dank auch seiner langbeinigen Schlacksigkeit. So brilliert er mit Marie-Louise von Gottberg im Arm beim Tango genau so gut wie einzeln beim Rock`n Roll. Frau Gottberg überraschte sowieso nicht nur mit äußerst hübscher Ausstrahlung, sozusagen vom Kopf bis Zeh, sondern auch durch schauspielerisch zelebrierte Textbeherrschung, modulationsfähige Stimme und viel weiblichen Charme.Marie-Luis Pühlhorn hat sowieso vor nichts Respekt und agiert am liebsten in komischen Posen. Sie beherrscht gekonnt den erotischen Unterton, und so macht es auch nichts, wenn ihr „tee-age“ die englischen Texte etwas verlispelt. 
Helene Aderhold ist der Floh „im Zirkus“. Sie singt, was ihr unter die Zähne kommt, oft gelingt das erstaunlich gefühlig, dann wieder mädchenhaft naiv. Aber bewegen kann sie sich enorm geschmeidig und sicher. Ihr Part im Pas de deux aus „Dirty dancing“ war sehr wirkungsvoll. 
Die Rock-Röhre des Abends ist Elisabeth Markstein a.G. (dem Publikum aus „Walpurgisnächte in Flammen“ noch in Erinnerung). Konzentrierte Stimmdynamik bei ihrer Version von Whitney Houstons „Bodyguard“-Song, viel Feeling in ihren anspruchsvollen Titeln. 
Auch bei Robert Bittner dominiert der Spaß am Spiel gegenüber dem Ehrgeiz, die Originalstars übertreffen zu wollen. Oft erstaunlich wohlklingend gelangen die Backround- Chöre. Die Kostüme unterstützten reizvoll, farbig, stilsicher und bewegungsorientiert die Wirkung der Musik. Es klitzerte und funkelte figurbetont (Kostüme: ebenfalls Wolfgang Clausnitzer).

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Diese Revue ist durchaus auch eine Form des anspruchsvollen Musik-Theaters. Gerade durch das mitunter Unvollkommene mancher Elemente, kam Lockerheit über die Rampe mit viel Spaß am Detail. Die Persiflage feierte Urstände. Die Titel- und Bilderwechsel haben Pepp. Bravo dem Regisseur Jan Mixsa, der die Gruppen-Solo-Abwechslung, die Ruhepole, das Tempo sowie die Umbauaktionen lustvoll koordinierte. 
Das Publikum war animiert und beklatschte kreuz und quer die in mehreren Sprachen gebotenen über 70 Titel (siehe Programmheft: Dramaturgie - Silvia Giese). Dass man dabei die Texte nicht vollständig versteht und auch im Zuschauerraum mitgesungen wird, reproduziert die alten Zeiten, das Sich-Jung-Fühlens, die Lebensfreude. Dazu haben wesentlich die Band unter Rudolf Hild und Peggy Einfeldt (Einstudierung) ihren Anteil. 
Die Gitarren-Soli (Hans-Peter Marx/Andreas Gemeinhardt), die „Schießbude“ (Bob Korward), das Saxophon sowie Klarinette u.a. (Ronny Wiese) oder Hartmut Pohles Trompete seien nur stellvertretend für einen inspirierten musikalischen Abend der unterschiedlichsten Stilelemente hervorgehoben und gewürdigt. 
Der Revue wird ihr gut unterhaltenes Publikum quer durch die Generationen finden.

Eveline Figura


Theatralische Kreuzfahrt

Paul Abrahams Operetten-Revue „Die Blume von Havaii“ hatte am Annaberger Theater ihre unterhaltsame, amüsante, aufwändige, musikalisch köstliche und abendfüllende Premiere.

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Eine Revue jagt gerade die andere: Nach „Lollipop forever“ mit dem Schauspielensemble, nun “großes Kino“ mit dem Musiktheater in der Premiere „Die Blume von Hawaii“ vergangenen Sonntag. Das Annaberger Winterstein-Theater surft gerade auf einer Welle von musikalischen Inszenierungen Europa weit mit, die aus Schlager-Revivals, aus Operetten oder aus komischen Opern Revuen produziert. Was ist das eigentlich, eine Revue? Im Journalismus eine Zusammenstellung nicht unbedingt zueinander gehörender Artikel zu einer interessanten Schau. Nun haben wir es aber bei Paul Abrahams Werk mit einer Operette zu tun, also ist daraus eben eine Operetten-Revue geworden. Das hat den Vorteil, dass man die musikalisch schönen, sentimentalen oder witzigen Gesangsnummer, Soli, Duette und Ensembles gerne auch ohne die Handlung genießen könnte, diese aber durch spritzige Lied-Texte doch in einer solchen behalten, um damit ein abendfüllendes Vergnügen zu bereiten. Das Dreigespann der Librettisten und Songschreiber Alfred Grünwald, Fritz Löhner-Beda und Imre Földes waren in ihrer Zeit omnipräsent und wegen ihrer komischen Texte überaus beliebt.

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Die Fabel ist durchaus nicht ohne, nicht mal ohne politische Präsenz! Geht es doch um die Besetzung der Insel Havaii durch die Amerikaner um 1870. Der Gouverneur, ganz Weltmann (Leander de Marel), will seine Nichte(Kerstin Maus) mit dem heimgekehrten Prinzen Lilo-Taro (Frank Unger) verkuppeln. Der ist seit Kindheit mit Prinzessin Laya (Madeleine Vogt, Foto oben) verlobt, die er liebt und die so zufällig als Sängerin Suzanne Provence getarnt auf der Insel ankommt, nunmehr aber gerade frisch verliebt in den amerikanischen Kapitän (Jason-Nandor Tomóry). Die Havaijaner wollen die Prinzessin zur Königin krönen, mit ihrem Prinzen zusammenbringen und die Amis verjagen. Welch eine sympathische Vorstellung! In einer Operetten-Revue also fast wie im Leben, aber nicht durchführbar. Also wird alles so lange – mitunter zu lange - besungen und vertanzt, ja nahezu zum Suizid gesteigert, bis jeder Topf seinen Deckel gefunden hat.Blume_von_Hawaii_HP1_207
Der Star des Abends ist jedoch der Komponist Paul Abraham, der mit seiner „Viktoria und ihr Husar“, 1930 in Budapest uraufgeführt, seitdem als Meister der Jazz-Operette schlechthin gilt. Die „Blume von Havaii“ erlebte 1931 in der Messestadt Leipzig ihre Weltgeburt und wurde als echte Sächsin gleich in massenwirksame Konsistenzen verpackt: Radio, Schallplatte und der Film machten die Lieder zu Schlagern, die eingängigen Melodien zu unwiederbringlicher Tanzmusik. Unwiederbringlich? Stimmt gar nicht! Wir haben es ja zur Premiere auf unserer Bühne und aus dem swingenden, ragtimenden und mittanzendem Orchestergraben gehört. 
Bravo! an die feinfühlige, aber auch temperamentvolle Stabführung vom 1. Kapellmeister der Erzgebirgs Philharmonie Dieter Klug und die begeisternd eingestellten Musiker, voran die Saxophone, Klarinetten, der oder die Schlagzeuger und insbesondere das Piano. Nicht zu vergessen die Streicher, die immer dann agieren, wenn der Zuschauer merken soll, dass es um Sinnlichkeit geht. Und natürlich die obligatorische Hawaii-Gitarre, die uns eine Kreuzfahrt in die Südsee allein durch ihre süß-jaulenden Klänge erspart...! 
Das Verhältnis von dezenter Begleitung des Geschehens auf der Bühne und der anspruchsvollen und lebhaften Orchester-Soli aus dem Graben war sehr ausgewogen. Und dass die nun wiederholt eingesetzte, aber nicht durchgängig beherrschte Microport-Anlage da und dort als störend empfunden wurde, liegt weder an der Musik noch an den Darstellern, sondern vielmehr an der Technik und der Regie, die daran erinnert sein sollte, dass zu Abrahams-Zeiten diese Melodien auch ohne künstliche Verstärkung Triumphe feierten. Das bewusste Hinhören auf die kurz nach ihrer Entstehung als „entartete Nigger-Musik“ verbotenen Klangkreativität, die mitunter verblüffende Instrumentierung sowie der ins Blut gehende Rhythmus lohnt sich. 
Auf der Bühne hat das fast vollständige agierende Musiktheaterensemble ausreichend zu tun und engagiert sich dabei mit Verve. Madeleine Vogt gibt eine elegante, anschmiegsame „Königin“, und zusammen mit Frank Ungers Prinzen ein schön anzusehendes und wohlklingendes Südsee-Paar. Bewegt und amüsant das Buffo-Paar Bessie und Buffy: Kerstin Maus und Marcus Sandmann (Foto unten) hatten konzertierte Aktionen zu bewältigen, nicht zuletzt, weil das Sujet aus der ungarischen Operette stammend, tänzerisch und singend viel fordert. Blume_von_Hawaii_HP1_179Dabei haben sie witzige Titel zu singen wie z.B. den vom „Diwanpüppchen“. 
Der Kapitän von Jason N. Tomory in seiner uniformierten Verliebtheit brachte tenoralen Wohlklang und baritonalen Trost im Happyend mit Maya-Ersatz Suzanne Provence (Doppelrolle für Madeline Vogt). Sehr hübsch anzusehen und  anzuhören war sie dabei auch in ihrem „Schwipserl“-Lied mit französischem Akzent. Sängerisch dominantLászló Varga, zunächst als alter Hawaijaner, dann in der berühmten Rolle als Jim Boy, dabei die Skala von des Basses Tiefen bis zu ausgelassener Höhe auskostend. Man spürt wie wohl er sich im Musical-Bereich fühlt und die menschliche und musikalische Tiefe von „Bin nur ein Jonny...“ auslotet. Dabei kann er auch albern in seiner Liegstuhlaufstellnummer wie auch beim Einsammeln holder Weiblichkeit aller Couleur daher kommen. Als tanzende und flirrende Havaijanerin Raka präsentierte sich Therese Fauser erneut stimmlich sehr beachtlich, leicht und stilsicher, grazil, aber zupackend und überaus bewegungsfreudig. Mit solchen Musik-Theater-Kräften konnte in der Inszenierung wahrlich gewuchert werden. 
Der Regie unter Tamara Korber gelang es, dieses etwas arg verwirrende fast dreistündige Spiel vom “Paradies am Meeresstrand” erfolgreich zu entflechten und damit genießbar zu gestalten, wobei die Übergänge zwischen Gesangsnummer und den Dialogen noch etwas zu viel Luft enthielten, was vermeidbare Längen verursachte. 
Während Michael Junge als „Spielmacher der Revolte“ die Handlung noch mit Temperament und temporeich voran trieb, waren die Buffo-Dialoge und Dienerszenen eher gestrig fad angelegt und damit der ansonsten gestandene Komödiant Matthias Stephan Hildebrandt künstlerisch unterfordert. Das Esprit der Musik kam durch die Choreographie von Alexandre Tourinho in Fahrt und wurde adäquat umgesetzt. Manchmal nur durch überraschende Arm- und Handeffekte blieb so auch die Kondition der Sänger erhalten. Der Chor und Extrachor (Uwe Hanke) war singender Partygast: schön gewandet (Kostüme: Brigitte Golbs) und intensiv mitspielend. Das Extraballett schaffte Hula-Hopp schwingende Atmosphäre. Besonders war das Bühnenbild vonFrancesca Ciola: Ein einfacher Rahmen mit Treppe oder Palme. Im Hindergrund „agierte“ eine flexible Projektionsfläche von der neuen Wundermaschine des Theaters aus: ein teurer Beamer für Film- und Diaprojektionen. Mit Urwald bis Haifischbecken und Meereswogen, oder mit Wolkenbildern können nun die Bühnenbretter oder die Plafonts für noch vollständigere Illusionen präpariert werden. 
Zusammen mit der Beleuchtung verlangte das Ganze dann sicherlich eine arbeitsintensive Probenzeit. Kompliment auch an die Technik!
Die „Blume von Hawaii“ als Theaterrevue sollte als Meditation in die Anfänge des europäischen Jazz als eine die Völker und Kontinente verbindendes Musik-Genre und die Texte als amüsanter „höherer Blödsinn“ eines entspannungssüchtigen Publikums, oder auch nur als eine Art theatralisch-musikalische Kreuzfahrt genossen werden...

Eveline Figura


Tanhäuser - fast ein Bühnenweihespiel

Am vergangenen Sonntag hatte der „Tanhäuser“ von Carl Armand Mangold am Theater Annaberg seine üppige Premiere. Der Intendant des Hauses, Dr. Ingolf Huhn, ist der Regisseur der gegenwärtig einzigen Inszenierung dieses Werkes, - weltweit..

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Man kann es schon fast als archäologisches Steckenpferd bezeichnen, was Intendant Dr. Huhn in den letzten Spielzeiten diesbezüglich auf die Bühnenbretter stellte: „Götz von Berlichingen“ (Carl Goldmarck), „Der Löwe von Venedig“ (Heinrich Köselitz alias Peter Gast aus Annaberg) oder „Der Studentenprinz von Heidelberg“ (Sigmund Romberg), um nur die letzten drei Jahre Opern- und Operettenausgrabungen zu nennen. Alle Entdeckungen waren lohnend, ob alle bleibend in der Erinnerung der Zuschauer überdauern, sei dahingestellt. Nun wird diese Tradition mit dem Darmstädter Opern- und Konzertchor-Direktor Carl Armand Mangold und seinem „Tanhäuser“ fortgesetzt. Der Komponist ist nicht nur im gleichen Jahr wie unser Leipziger Großopernschöpfer Richard Wagner geboren worden (1813), sondern hat fast zur gleichen Zeit wie dieser seine Oper „Tanhäuser“ beendet (UA 1846). Während der Wagnersche „Tannhäuser“ eine seiner populärsten Schöpfungen ist und Arien daraus im Volke Bekanntheit genießen, ist die Mangoldsche Version unbekannt geblieben, beruht enger auf der Sagenvorlage der Gebrüder Grimm über den fahrenden Ritter Tanhäuser. Librettist Eduard Duller stellt das Ritterleben mehr als das des Minnesängers ins Zentrum, bei dem dann der  Sängerkrieg – wie bei Wagner vorhanden – hier nicht berücksichtigt wird.Tannhaeuser_HP1-062

Die Handlung ist überschaubar: Tanhäuser verfällt auf dem Hörselberg der Liebeskunst der Venus und deren Gespielinnen. Er kehrt  reuig in die Welt zurück und pilgert nach Jerusalem, um Absolution seiner Sünden von Patriarch Urbanus zu suchen, der ihm diese verweigert, bis aus einem toten Stock Holz wieder Leben erwachse. Begleitet wird Tanhäuser von Innigis, einem reinen Mädchen, das ihn selbstlos liebt. Ihr Vater, der getreue Eckart, ist Tanhäusers Dienstmann, der mit Schwert und Kreuz gegen Sünde und Verfall streitet. Am Ende widersteht Tanhäuser - dann wieder zu Hause - der inzwischen ergrauten Venus. 
Er erkennt die wahre Liebe, besingt, - ganz Vormärz! - markig das „geliebte deutsche Vaterland“. Der trockene Stock erblüht – mit einer kleinen Rose. Ihm ist Vergeben und die ganze Bühne fällt sich betend und schluchzend und Halleluja singend in die Arme. Und all das ist auch tatsächlich und leibhaftig in Annaberg inszeniert und so zu sehen!
Es sei noch erwähnt, dass die deutsche Romantik tatsächlich in Rückbesinnung auf so genannte edle Tugenden der Ritter und Ruinenherrlichkeit schwelgte, da das in 360 zerklüftete Kleinstaaten reaktionär vegetierende „Vaterland“ gerade die Intellektuellen, Schriftsteller und Künstler verfolgte. Einige gingen ins Exil oder zum Studium nach Frankreich wie Heine oder Mangold, setzten auf Revolution wie Marx oder sowie Eduard Duller als Deutschkatholik auf das Papst-freie Evangelium.

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Die Annaberger Inszenierung ist durchaus vielschichtig und hintergründig, sie hat dadurch aber auch manches Verständnis beim Publikum erschwert. Wie z.B. im wahrsten Sinne das viel zu üppige, enge Bühnenbild (Tilo Staudte) die Bewegungsfreiheit der Volksmassen behinderte. In anderthalb Balkonen einer Art Shakespeareschen Globe-Theaters findet die Handlung auf dem Theater statt. Das Volk beobachtet Tanhäuser (Frank Unger), Eckart (László Varga) und Innigis (Madelaine Vogt), die ihre Gefühle in anspruchsvollen Kantilenen ergießen und dazu stilisierte Bewegungen vollführen, damit die Zuschauer merken, dass es sich hierbei um Theater auf dem Theater handelt. Ingolf Huhn hat die mittelalterlichen Mysterienspiele als Regiedetail mehrfach eingesetzt. So sitzt der Chor mit Extrachor als Zuschauer auf der Bühne, wenn  er nicht als Volk, Pilger, Mönche wunderbare Chöre (einschl. Extrachor) intoniert (Leitung Uwe Hanke). Tatsächlich sind die Chöre musikalische Höhepunkte des Abends. Die schönen Gruppen stauen sich allerdings in den Kulissen, manchmal auch sinnfällig bewegt, wenn man sie nur öfter ließe! Die kleinen Choreographien (Extraballett) von Sigrun Kressmann brachten immerhin ein wenig Lockerheit in die Reihen.

Der Hörsel- oder Venusberg in Thüringen ist von der Annaberger Venus (Bettina Grothkopf) beherrscht worden, die in höchsten und strahlenden Tönen, mal als Frau Holle mit einem Vulva-bestückten Bett, andermal als sehr ansehnliches Weib im Bade, Tanhäuser zu verführen versucht. Sowohl sie als auch ihre Mädels waren mal wieder mit knall-roten Perücken ausgestattet, so dass der letzte Depp merken musste, welchen Gewerbe sie unterliegen. Überhaupt lassen die Kostüme viele Jahrhunderte unberücksichtigt. Die Story spielt im 13. Jahrhundert, aber Tanhäuser und Eckhart müssen in klappernden Rüstungen aus dem 15./16 Jh. hausen, wo doch damals Kettenhemden und eigentlich fließende Umhänge Beweglichkeit gaben. Das Volk rennt hingegen schon mal in Renaissance-Gewändern herum. Einzig Madelaine Vogt, schlank und jung, in langem Weiß und mit angenehm-klarer Stimmgebung in dieser anspruchsvollen Partie. Für sie und ihre Wallfahrt, jahrelang Jerusalem hin und zurück, dann auch noch Übernachtung im Thüringer Vogelnest, wären ein paar Schmutzflecken oder eine Knappen-Kleidung charmanter gewesen.Tannhaeuser-GP-228

Mangolds Musik ist drangvolle Romantik, Anlehnungen in den zarten Teilen an Mendelssohn, bei den Hörnern, wenn sie mal sauber klangen, eher an Carl Maria von Webers deutschen Wald malend, oft aber auch an volkstumhaftes Treiben mit Schlagwerk und Tschinellen erinnernd. Allemal ist die studierte Erzgebirgische Philharmonie Aue (LeitungGMD Naoshi Takahashi) um so besser zu genießen, wenn eine feinfühlige Hand noch stärker an die Sänger denken würde und man das Orchester mit ihnen atmen hören könnte. Frank Unger mit seiner hellen, oft strahlenden Höhe, hatte mühelos seine schwierige und anspruchsvolle Partie über den Graben gebracht und mit viel Ausdruck auch sein deutsches Vaterland besungen oder in der Badewanne seinen sportiven Körper präsentiert. László Vargas Eckhart war stimmlich überzeugend, spielerisch eher eine steife Vaterfigur. Mag es auch teilweise an dem entstellenden Helm gelegen haben, den ein Ritter im Dialog mit der Tochter wohl auch mal abgelegt haben dürfte, oder vielleicht auch an einem überdimensionierten Schwert-Kreuz-Symbol, das er ständig mit sich herumschleppen musste und so die ungewollte Nähe zu einem Bühnenweihespiel suggerierte. 
Das mögen Nebensachen sein, doch die Form wirkt stets auf den Inhalt aktiv ein, - und transportiert ihn direkt ins Publikum!
Jason Nandor-Tomory sang den Patriarchen von Jerusalem aus einem hohen Turm. Allerdings in einem vom Orchester viel zu schnell vorgegeben Tempo, was spannungsgeladenes Pathos vermissen lies. Sein Bariton konnte die Töne daher auch zu wenig formen, um die Gnadenlosigkeit der Rolle deutlich zu gestalten. Ausgerechnet zur Premiere war Marcus Sandmann als Sänger mit Hofnarren-Kappe und als Wallfahrer stimmlich indisponiert, was ihn selbst wohl am meisten ärgerte. Rebekka Simon gab den pantomimischen Amor, der mit Handpuppen, ent- oder verführte Kinder auf dem Hörselberg andeuten sollte.

Allemal darf sich das Publikum Annabergs glücklich schätzen, in kurzen Abständen noch nicht gekannte Exotika der Opernliteratur erleben zu können, mit einem Aufwand, der dem der Schöpfer des Stücke in Nichts nachsteht. Zur Premiere war auch der Leiter des Darmstädter Konzertchores, Wolfgang Seeliger, anwesend. Dort war das Werk 2006 zu den Darmstädter Residenzfestspielen konzertant aus der Versenkung gehoben und das dabei erarbeitete Notenmaterial Annaberg jetzt zur Verfügung gestellt worden. Der anerkennende Applaus des Publikums galt auch dieser Zusammenarbeit.

 

Eveline Figura

Fotos: Dirk Rückschloß, BUR-Werbung



Die Macht der Weiblichkeit

Der Maler Gotthard Richter aus Pöhla stellt in der Annaberger Ratsherren-Café-Galerie am Markt sehenswerte Akte und Porträts aus.

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Gotthard Richter stellt seine Aktgemälde in Öl, Ölkreide und Bleistift aus, die er in den letzten
fünf bis sechs Jahren geschaffen hat. Dabei betonte er, nicht nach der Natur, sondern rein aus seiner Fantasie heraus geschöpft zu haben. In seinem vollen Künstlerleben haben sich aber Erfahrungen angesammelt - schließlich ist er schon 83 Jahre auf der Welt - die er sinnenreich gestaltet. Er selbst bevorzugt „volle Figuren”, die in zarter Farbigkeit den schön empfundenen Moment in Posen verharren lässt. Aber auch eine zierliche Tänzerin ist dabei, zwei junge Köpfe mit frechen Frisuren oder den experimentellen Moment zwischen Maler und Modell, den er leider nicht mit ausgestellt, sondern nur beim Künstlergespräch gezeigt hat. Immer bannt er auch Körper-Haltungen, z.B. in den Zeichnungen mit einfachen Strichen, die alltäglich, sich dennoch einer idealen Linie nähern, - im Gehen, Stehen, am PC sitzend.DSCN2034

Der Betrachter sieht Angenehmes in traditionellem Stile und auch in einem charakteristischen, besonders gelungenem Porträt den Künstler selbst. Ihn begeistere das Akt-Sujet, „weil ich nunmal die Frauen liebe”, wie er betonte, aber gleichermaßen ist es ihre Widerspiegelung, die ihn fasziniert. Gotthard Richter aus Pöhla tritt den Besuchern der Vernissage in der sympathischen Bescheidenheit des Kunst-Handwerkers und Bildhauers gegenüber, der keine großen Worte darüber macht, dass kreatives Bilden sein Leben war, ist und bleibt, wie sehr die Jahre auch zunehmen. Dass Malen ihm heute körperlich leichter fällt als seine Profession des Steinmetzen, versteht man sofort. Gezeichnet habe er schon immer. Es waren oft Entwürfe zu Skulpturen, Büsten und Stelen, die er, der in Leipzig und Dresden studierte, bei Kreis- und Bezirksaustellungen präsentieren durfte. Bei Plain Airs der letzten Zeit in Schlettau, Scheibenberg und am Pöhlberg/Annaberg waren Tierskulturen in Holz dabei, die leider zu oft dem Wetter geopfert sind, um die sich die örtlich Verantwortlichen oder auch Sponsoren nach dem Schaffensprozess und dem Ankauf den Werken gegenüber gleichgültig verhalten, oder ihnen inkompetent begegnen? Darüber und über andere Erfahrungen wie die zu geringen Präsentationmöglichkeiten von Malerei und Grafik im Zentrum der großen Kreisstadt Annaberg tauschten sich Mitglieder des Annaberger Kunstvereins im Künstlergespräch aus.

Bärbel Rothe, die die Galerie-Initiative im Ratsherrencafé, gleich neben dem Rathaus, ins Leben rief und und immer wieder mit sehenswerten Ausstellungen und Gesprächen darüber am Leben erhält, freut sich über viele Besucher, die vielleicht auch anlässlich des 30. Klöppelspitzenkongresses die Werke von Gotthard Richter betrachten werden.

Eveline Figura
 
GOTTHARD RICHTER, BILDHAUER, LUDWIG-JAHN-STR., 808352 PÖHLA, SACHSEN



Spaßig und lehrreich


Die musikinteressierte „Hexe Hillary“ lädt zur zweiten Minioper auf die Studiobühne des Annaberger Theaters. So zwischen 4 und 10 sind die Rangen, für die die Kinderoper von Peter Lund (Text) und Winfried Radeke (Musik) „Hexe Hillary und der beleidigte Kontrabass“ mit Erfolg inszeniert wurde.

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Die Hauptperson ist die freche, wissendurstige Hexe Hillary (Juliane Roscher-Zücker) und deren Handpuppenratte, die beide ihre Freundin, die Opernsängerin Maria Bellacanta (Bettina Corthy-Hildebrandt), im Theater besuchen und mit ihr die Welt der Instrumente entdecken. Dritter im Bunde ist der zunächst griesgrämige Orchesterwart Gottlieb Marotzke, wandlungsfähig gespielt von Matthias Stephan Hildebrandt, der seine Instrumente beschützt und nur nach und nach bereit ist, ihre Funktionsweise preiszugeben. 
Stellt sich doch heraus, dass er früher den Kontrabass gespielt hat. 
Was bleibt der quirligen Hexe anderes übrig als die Instrumente selbst auszuprobieren, ihre Begriffsirrtümer zu klären und von der Sängerin zu lernen, dass z.B. auch die Stimme wie ein Instrument mitwirkt. 
Bettina-Corthy-Hildebrandts Olympia-Arie aus „Hoffmanns Erzählungen“ ist ihr Auftrittslied, das als von ihr gesungene Einspielung aus der Konserve kommt und zu der sie Oper als ziemlich ulkige Darstellungskunst bietet. Die Papp-Instrumente: Tuba, Fagott, Klarinette, Oboe, Posaune erhalten vom Keyboard (Peggy Einfeldt) ihre typische Stimme. Erst als die Hexe ihre Zauberkünste ins Feld führt, kommt es zu Einspielungen realer Töne aus dem Backround. Eltern oder Großeltern, die bei „Kinderoper“ an so was wie „Hänsel und Gretel“ denken, müssen ein wenig runtergeholt werden. Es ist ein musikalisches Spiel mit einer Sängerin und zwei Schauspielern, in dem Instrumente, deren Klänge, Mundstück bei der Tuba oder Rohr beim Fagott, erklärt werden, und Matthias Hildebrandt, schon sehr komödiantisch, Blastechniken und Mundstellungen vormacht. Hexe Hillariy 2
Die Kinder haben ihre Freude an den originellen Einfällen der Regie (Birgit Eckenweber): So bleibt die kleine Hexe in der Tuba stecken, unterhält sich zwischendurch mit ihrer Ratte oder wirft das zerknüllte Notenpapier in die Kinder, was sofort Orchesterklänge zur Folge hat. Dazwischen trällert die Opernsängerin  Kostproben ihrer Stimme. Überhaupt sind die drei Darsteller alles lustige, sympathische Leute, die die Oper nicht als unverständliches Medium erscheinen lassen. 
Schade, dass die vergrößerten Pappinstrumente oder bestimmte Begriffe nicht mehr zum interaktiven Mittun der Zuschauerkinder eingesetzt wurden, ließen doch spontane Zwischenrufe schon anwendungsbereite Kenntnisse der Kleinen vermuten. Die Ausstattung wurde von Francesca Ciola „gezaubert“. Eine kleine Bühne auf der Bühne, hübsche Kostüme und originelle Perücken trugen zu einer vergnüglichen, unangestrengt lehrreichen Stunde mit Musik bei.
Warum allerdings gerade in den Osterferien nur noch eine Vorstellung nach der Premiere (9.4.2014) angesetzt wurde, bleibt ein Geheimnis des Theaters, wie auch in den vergangenen Winterferien (immerhin zwei Wochen) nur noch eine Kindervorstellung des „Michels aus Lönneberga“ für die kleineren Kinder stattfand. Dass die Kinder alle mit ihren Eltern in den Ferien wegfahren, stimmt nämlich nicht, sondern es kommen sogar viele Enkelkinder hierher zu ihren Großeltern, die sicher gerne solche Vorstellungen mit ihnen besuchen würden. Verschenkte Chancen für die Zuschauer von morgen?

Eveline Figura








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